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  • Vielfältige Abhängigkeiten

    In der autofiktionalen Kopenhagen-Trilogie erzählt Tove Ditlevsen herrlich unverblümt vom Aufwachsen in Kopenhagen, ihrer Leidenschaft zum Schreiben und ihrer Medikamentenabhängigkeit.

    Das Wohnzimmer als Zentrum der Familie, ein Ort an dem zusammen und dennoch getrennt voneinander abends Zeit verbracht wird. Mit dieser Szene eröffnet Tove Ditlevsen den ersten Roman und bringt die Vorlieben, Interessen und Charakterzüge ihrer Familie, dem Kern ihrer Kindheit, zum Vorschein.  

    Die Kopenhagen-Trilogie ist in drei Teile gegliedert und spaltet sich in die Werke „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“. Dabei beginnt der erste Teil bereits in ihrer frühen Kindheit. In allen Teilen berichtet sie von alltäglichen Dingen, die sie beschäftigen. Sie schreibt in einem Style, der einem das Gefühl vermittelt, in einer freundschaftlichen Beziehung zu ihr zu stehen und würde immer wieder Updates über ihr Leben bekommen. Beispielsweise wird sie während all der Teile nie die Namen ihrer Eltern nennen, als wäre es selbstverständlich über wen sie schreibt. Tove Ditlevsen lebte von 1918- 1976 und ist in Kopenhagen geboren. Sie wächst in einer Arbeiter*innenfamilie auf, welche geprägt von der kommunistischen Weltanschauung ihres Vaters ist.  

    Die Leser*innen werden durch den Alltag der Arbeiter*innenklasse Kopenhagens Anfang des 20. Jahrhundert geführt. Wie der Esstisch mit Zeitungspapier gedeckt ist, der Vater jeden Nachmittag auf dem Sofa schläft und die Mutter ein Problem mit dem Altern hat. Sie liebt das Lesen und ganz besonders das Schreiben. Und so wird man schon im ersten Band an ihre größte Leidenschaft herangeführt. Hautnah erlebt man alle großen Etappen und Rückschläge ihrer Karriere mit. Das Schreiben wird während der drei Bände zentraler Bestandteil ihres Lebens bleiben und wandert wie ein Staffelstab durch alle großen Abschnitte ihres Lebens. Von einem schambehafteten, unschuldigen Hobby wächst das Schreiben zu einem Beruf. Durch das Schreiben und die sich verändernden Themen, kann man ihr beim Erwachsenwerden und altern zusehen. Zweiter zentraler Pfeiler ihres Lebens ist die Liebe, schon früh fragt sie sich wie sich dieses Gefühl anfühlt. Dabei hadert sie lange mit dem Gefühl der Liebe, von dem alle sprechen und von dem sie so gerne schreibt. Lange wird sie das Gefühl haben, nicht richtig zu lieben, zumindest nicht so, wie es in ihrer Vorstellung ist.  

    Hannah liest

    Versunken in Abhängigkeit. Foto: Chiara Schmidt

    Mit 18 werden ihre Gedichte das erste Mal in einer Zeitung veröffentlicht. Der Verleger der Zeitschrift ist 58 und fasziniert sie, er hat Wissen und eine Position, welche sie beeindruckt, und außerdem hat er Geld. Sie beginnen miteinander auszugehen und heiraten ein paar Monate später. Zwei Jahre nach der Hochzeit knüpft der dritte Teil an. Sie wird eine lieblose, aber dennoch harmonische Ehe führen, bis sie irgendwann das Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung entwickelt. In ihren Mittzwanzigern heiratet sie erneut und bekommt ihr erstes Kind. Nebenbei veröffentlicht sie weiterhin Bücher und wird immer bekannter, doch rückt dies so langsam in den Hintergrund ihrer Geschichte. Sie wird ungewollt schwanger und treibt das Kind ab. Durch die Schmerzmittel, mit denen sie dort in Berührung kommt, wird sie abhängig. Doch wird sie nicht nur von den Medikamenten abhängig, sondern auch von dem Mann, der sie ihr verabreicht. Auch ihre zweite Ehe geht in die Brüche und trotzdem sie den Vater ihres Kindes weiterhin liebt, heiratet sie den Mann, der ihr die Medikamente beschafft. Tov berichtet von dieser Zeit und der Abwärtsspirale, in der sie sich befindet, doch schafft sie es irgendwann, die Reißleine zu ziehen und versucht die Abhängigkeit zu bekämpfen. Hautnah nimmt sie die Lesenden mit in die Zeit der Entzugsklinik und den Neuaufbau ihres Lebens.  

    Während des Lesens spürt man, dass die Erlebnisse ihr Alltag waren. Durch einfache Worte schafft sie es, dem Erlebten Raum zu geben, genau den Raum, den es Bedarf. Es wird deutlich, was sie mehr beschäftigte und was weniger. Es ist eine Gradwanderung die Dinge so auszuschmücken, dass man ein Gefühl für diese bekommt, sie aber nicht überdramatisiert werden und genau das ist in diesen Werken gelungen.  

    Neben all den bedeutenden Ereignissen passieren tausend kleine Dinge, von denen sie berichtet. Es entstehen und es zerbrechen Freundschaften, Familienmitglieder sterben und das Verhältnis zu ihrer Mutter ist mal schlechter und mal besser. All diese Dinge und noch viel mehr geben ihrem Leben und den großen Ereignissen einen Rahmen und es entsteht ein Gesamtbild, welches eine*n in ihr Leben Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts eintauchen lässt. Man wird in eine Welt gezogen, die vorher unbekannt und neu war, und bekommt am Ende der Trilogie das Gefühl, diese Welt zu kennen und sie ein bisschen mehr verstehen zu können. Dabei war es besonders interessant, in den Alltag mitgezogen zu werden, da einer*einem diese Welt, abseits großer historischer Ereignisse, doch eher weit entfernt scheint. Mit kurzen vollgepackten Sätzen zieht Tove Ditlevsen eine*n in ein anderes Jahrhundert und in ein anderes Land und schafft es, ihr Leben, ihre Ängste und ihre Freuden so selbstverständlich und unverblümt vor einer*einem auszubreiten, dass man bis zum Schluss gefesselt mitliest. 

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