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  • Zusammenhalt in Niederwald

    „Niederwald“, ein Auftragswerk des Schauspiel Leipzig, erzählt von dem Versuch eines Menschen, seiner Trauer zu entfliehen, und von der Dringlichkeit, sich der Vergangenheit zu stellen.

    Ein Spielzeugauto kullert eine Rampe hinunter, kommt von der Bahn ab und fällt kaum hörbar auf den Boden. Das Publikum soll sich eine riesige Explosion vorstellen, denn es heißt nun, darin habe eine Braut gesessen, die nun tot ist, kurz vor der Hochzeit bei einem Unfall verstorben. Es ist also kein Spiel, sondern bitterer Ernst, was wir an den Menschen erkennen, die sie zurückgelassen hat: Eine frisch geborene Tochter (Theresa Schergaut), deren Uroma (Thomas Braungardt) und einen Bräutigam, der Vater ihres Kindes (Markus Lerch). Wechselseitig und zögerlich beginnen die drei, die Geschichte zu erzählen. Wie aus einer Hochzeit eine Beerdigung wurde. Wie sie daran nicht teilnahmen. Wie sie stattdessen abbogen und nach Niederwald flohen – ein Dörfchen in den Alpen, die Heimat der Verstorbenen, ein Dorf, dessen „Häuser Augen haben“. Ihre Art der Trauerbewältigung? 

    Die Bühne verwandelt sich von einer Autobahn in eine Berglandschaft, in deren Schatten die rauchenden Schwestern Anna und Alice (Anne Cathrin Buhtz und Paulina Bittner) harren und kritisch die Neuankömmlinge beschreiben: Ein trauriger Mann, eine „alte Alte“ („halt eine alte Gestalt“) und auf deren Arm ein „Findel“. Wie sich herausstellt, handelt es sich um die Großtanten eben dieses Findels, die sich auf gehässige Lästereien, unverständliches Schweizerdeutsch und morbide Witze verstehen.  

    Mit dem Zusammentreffen all dieser scheinbar grundverschiedenen Menschen kann das „Drama“ erst richtig beginnen. Der Vater, der zum Anfang noch wie im Wahn mit seinen Emotionen kämpft, zieht sich bald in Verdrängung und undurchdringliches Schweigen zurück. Die Uroma erkämpft sich zäh einen Platz auf der Bank zwischen den „Motten“ von Großtanten, deren Abneigung gegen sie sich allmählich in Sympathie zu wandeln scheint. Und zwischen all dem wächst fast unbemerkt die Tochter auf und versauert im langweiligen Dorfleben, während die Fragen über ihre Mutter, die ihr Vater nicht beantwortet, auf ihr lasten.  

    Zwischen Vater und Tochter steht viel ungesagtes. Foto: Rolf Arnold

    Das von Wolfram Höll geschriebene Stück „Niederwald“ lebt von der Interaktion seiner Figuren, die sich gegenseitig die Sätze beenden und Regieanweisungen zu werfen. Es lebt von seinem grotesken Humor, der sich auch in die tragischsten Szenen seinen Weg bahnt, wenn zum Beispiel nach einer emotionalen Krise spontan eine Sonnenbrille aufgesetzt und ein Wanderlied angestimmt wird. Vor allem lebt es aber vom Text, in den Wolfram Höll so viel Wortwitz, Reimspiel und Tiefgang eingearbeitet hat, dass man fasst zittert vor Konzentration, weil man keine Zeile und keinen Reim verpassen möchte. 

    Jedes einzelne Wort in diesem Stück hat Bedeutung. Deshalb wird auch ausführlich diskutiert, ob es nun „Lärchli“ oder „Lärche“ heißt. Und deshalb gibt es auch so großen Tumult, als endlich das Wort „Mama“ zwischen Vater und Tochter fällt. Denn um nicht nur sein eigenes, sondern auch das Glück seiner Tochter zu retten, muss der Vater den Tod seiner Braut endlich aufarbeiten und sich der Vergangenheit stellen. Wenn ihn die Dorfgemeinschaft dabei unterstützt, könnte das gelingen.  

     „Niederwald“ erzählt feinfühlig davon, wie Trauer Menschen trennt und zusammenführt, an Orte bindet und von ihnen verscheucht. Das Stück wurde am 16. Dezember unter der Regie von Elsa-Sophie Jach in der Diskothek des Schauspiel Leipzig uraufgeführt. Weitere Aufführungen sind noch bis zum 30. Januar geplant, am 5. Januar werden neue Termine bekannt gegeben.

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