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  • Der schwarze Hund…

    …verfolgt Winston Churchill und Charlie Chaplin. Michael Köhlmeiers „Zwei Herren am Strand“ beschreibt ihre Freundschaft und was sie eint: der Kampf gegen Depressionen und Adolf Hitler.

    Der Titel ist Programm, dachte ich mir. Gerade im Urlaub, wo ich die ein oder andere faule Stunde an der Ostsee verbringen konnte. Ein „Herr“ am Strand liest „Zwei Herren am Strand“. Irgendwie witzig – obwohl ich dann wohl doch eher wie ein „Bube“ daherkomme. Und zugegeben: Das wäre auch schon das einzig Lustige an diesem Roman, denn die Themen „Depression“ und „Zweiter Weltkrieg“ sind nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Doch es waren die Protagonisten, die meine Interesse an dem Buch weckten. Charlie Chaplin als Pionier der Filmindustrie, Winston Churchill als eines der politischen Gesichter im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland. Dass die beiden sich tatsächlich kannten, ist auf zahlreichen Bildern dokumentiert. Darüber, wie eng diese Bekanntschaft war, ist jedoch herzlich wenig bekannt. Grund genug für den mehrfach ausgezeichneten Michael Köhlmeier, dieses Bruchstück der Realität in einem Roman zu verpacken.

    Am Anfang steht ein Spaziergang. Von einer extravaganten Dinnerparty flüchtend, lernen sich Churchill und Chaplin kennen. Auf einem Spaziergang am Strand (daher der Titel) tauschen sie sich aus: über ihre Kindheit und ihr jetziges Leben. Auf den ersten Blick könnten beide nicht unterschiedlicher sein. Der Komiker ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, mit einer positiven Einstellung zur Arbeiterbewegung. Der Politiker aus einem wohlsituierten Haushalt, der stark an der Zerschlagung von Gewerkschaften interessiert ist. Doch beide spüren, dass sie mindestens eine Gemeinsamkeit haben: ihr Leben als verhinderte Selbstmörder, verfolgt von Depressionen, im Buch besser bekannt als „der schwarze Hund“. „Sind Sie krank?“, fragt Churchill. Darauf Chaplin: „Wie sehe ich aus?“ Und Churchill erwidert: „Wie ein Mann, der an Selbstmord denkt.“ Von da an schwören sie, füreinander da zu sein, wenn sie vom „Hund“ befallen werden.

    Der Verlauf des Buches folgt bekannten Ereignissen aus dem Leben der beiden Männer: Filme Chaplins sowie politische Entscheidungen Churchills. Dabei gerät die Männer-Freundschaft oft in Vergessenheit, und das Buch wirkt stellenweise wie eine arg verkürzte zweiteilige Biografie. Wenn jedoch der „Hund“ zubeißt, lebt diese Freundschaft wieder auf. Dabei läuft das Leben der beiden jeweils auf einen individuellen Höhepunkt zu: Zum einen Chaplins Arbeit an „The Great Dictator“, ein Plädoyer gegen den erstarkenden Nationalsozialismus. Zum anderen Churchills politische Verpflichtungen angesichts des sich anbahnenden Zweiten Weltkriegs. Beide kämpfen auf ihre Art gegen Adolf Hitler, der eine mit Kunst, der andere mit den Mitteln der Politik.

    Tolino; Eric

    Auch mit dem E-Reader liest es sich gut. Foto: privat

    Köhlmeier schafft es meisterhaft, Fiktion und Fakten zu vermischen. Die Grenzen sind fließend, weshalb ich des Öfteren den Drang verspürte, Nachrecherche zu betreiben. Habe es am Ende doch gelassen: Ist einfach viel zu romantisch, mir Churchill zufrieden beim Malen vorzustellen, während der Zweite Weltkrieg zu toben beginnt. Und frei nach George R. R. Martin sind Halbwahrheiten immer noch mehr wert als echte Lügen.

    Dennoch fühlte ich mich beim Lesen allzu oft orientierungslos und stellte mir die Frage, was ich denn hier überhaupt lese. Ich hätte vielleicht vor der Lektüre des Buches wissen müssen, dass es ein schwieriges Unterfangen ist, zwei so große Persönlichkeiten detailliert auf rund 250 Seiten unterzubringen. Einem wirklichen Handlungsstrang folgt die Geschichte nicht. Sie ist vielmehr wie eine stilistische Literaturrecherche zu verstehen, die Teilaspekte der Biografie beider Männer aneinanderreiht. Dieser Umstand macht es teilweise schwer, einen wirklichen Lesefluss zu finden. Deshalb kamen mir die (für meine Verhältnisse wenigen) Seiten deutlich länger vor. Schachtelsätze, die sich zwischen genial und stilistisch ausbaufähig bewegen, taten ihr Übriges.

    Angesichts dieser Umstände und der vielen Tippfehler, die nach einer neuen Auflage schreien, ist der Roman dennoch sehr lesenswert. Zurecht wurde „Zwei Herren am Strand“ für den deutschen Buchpreis 2014 nominiert. Man sollte zwar kein Werk erwarten, das vor Spannung trieft und ein absolutes Muss für jede Person ist. Doch das Buch ist ein super Anstoß, sich weiter mit den zwei Leben Churchills und Chaplins zu beschäftigen. Köhlmeier schafft es atmosphärisch, den dunklen Zauber der späten 1920er-Jahre einzufangen und in den bisherigen Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte hinein zu kanalisieren. Vor allem gibt er jedoch zwei so unheimlich groß wirkenden Persönlichkeiten die Menschlichkeit zurück.

     

    Grafik: Sara Wolkers

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