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  • Im Namen des Vaters, des Sohnes und der religiösen Toleranz

    luhze-Kolumnistin Isabella glaubt an Gott – aber nicht an die katholische Kirche.

    Letztes Wochenende wurde mein Bruder zum Diakon geweiht. Falls ihr nicht wisst, was das bedeutet, ist das sicher keine Bildungslücke, für die man sich schämen müsste. Die einfachste (und vermutlich aus theologischer Sicht nicht ganz korrekte) Erklärung wäre „Priester in Ausbildung“. Eine Vorstufe sozusagen zum eigentlichen katholischen Priestertum. Ein Amt in der katholischen Kirche. Ein Amt in einer Institution, die von manchen buchstäblich vergöttert und von anderen verteufelt wird. 

    Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der der Glaube an Gott so selbstverständlich zum Alltag dazugehörte wie Essen, Schlafen oder Zähneputzen. Mein Vater war katholischer Priester, bevor er mit meiner Mutter zusammenkam und unter anderem ihretwegen sein Amt niederlegte. Ich selbst wurde als Baby getauft (übrigens obwohl ich an dem Tag gefährlich hohes Fieber hatte – manche Termine können nun einmal nicht verschoben werden), bin als Kind zur Erstkommunion und als Jugendliche zur Firmung gegangen. Ich habe im Kirchenchor gesungen (was schrecklich war, weil ich überhaupt nicht singen kann), beim Krippenspiel mitgespielt und zehn Jahre lang am katholischen Religionsunterricht an meiner Schule teilgenommen. Fast wäre ich wie mein älterer Bruder auf ein katholisches Gymnasium gegangen, habe mich aber schließlich doch für eine andere Schule entschieden, wo Religion eine untergeordnete Rolle spielte. 

    Der Katholizismus war jahrelang ein so selbstverständlicher Teil meines Lebens, dass ich ihn nicht hinterfragt habe. Es dürfen halt nur Männer Priester werden, das ist eben so. Der Missbrauchsskandal ist schrecklich, klar, aber dafür kann doch die Kirche nichts. Nur dass die katholische Kirche homosexuelle Paare nicht als solche anerkennt, habe ich nie verstanden. Den Rest habe ich einfach so hingenommen, und wenn in meinem Umfeld irgendjemand den katholischen Glauben und die dazugehörige Institution, die die Kirche nun einmal ist, kritisierte, habe ich zwar nichts gesagt, doch innerlich wurde ich irgendwie wütend. Als wäre gerade ich persönlich angegriffen worden. 

    Im Dom von Trier fühlt Kolumnistin Isabella sich ein bisschen beklommen. Foto: André Klose

    Doch irgendwann habe ich angefangen, zu reflektieren. Es gab keinen direkten Auslöser, es ist einfach irgendwie passiert, und inzwischen könnte ich längst nicht mehr sagen, dass ich mich mit der katholischen Kirche identifiziere. Eine Institution, die den sexuellen Missbrauch von Kindern teilweise hinnimmt, teilweise sogar aktiv vertuscht, die Menschen aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert und alle namhaften Ämter auf ein einziges Geschlecht reduziert, ist keine Institution, von der ich ein Teil sein kann oder möchte. Aber, und das spreche ich nur selten offen aus, ich glaube an Gott. Vielleicht liegt es daran, dass mir von frühester Kindheit an beigebracht wurde, an Gott zu glauben. Vielleicht wurde mir dieser Glaube „antrainiert“, vielleicht sogar irgendwie aufgezwungen. Aber Fakt ist, ich glaube. Egal, wie es dazu gekommen ist. Ich glaube an Gott.  

    Mein Gott ist ein anderer als der, auf den sich Vertreter der katholischen Kirche, Homophobe und Abtreibungsgegner*innen berufen. Mein Gott freut sich, wenn er sieht, dass zwei Menschen sich lieben – egal, welches Geschlecht sie haben. Mein Gott hat uns absichtlich so geschaffen, dass wir selbst unser Geschlecht bestimmen können. Mein Gott will, dass wir eigenständig denken und fühlen, unsere Unterschiede zelebrieren und uns darüber freuen, wie einzigartig wir doch alle sind. Mein Gott steht nicht für Intoleranz, Verachtung, altmodische Werte und Hass, sondern für Respekt, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und vor allem Liebe. Mein Gott will, dass wir leben. Nach unseren eigenen Vorstellungen, Präferenzen und Wünschen. Vielleicht ist es kindisch, an so einen Gott zu glauben. Vielleicht ist es albern, überhaupt an einen Gott zu glauben. Neulich habe ich auf Social Media den Satz gelesen „Niemand mit einem IQ über 20 würde jemals an einen Gott glauben“. Aber warum eigentlich nicht? An Gott zu glauben, heißt nicht, die Wissenschaft infrage zu stellen. Ein Betreuer meines Firmkurses, der Religions- und Physiklehrer war, hat mir mal gesagt: „Die Naturwissenschaft beschreibt, wie Gott die Welt geschaffen hat.“ Und natürlich kann es sein, dass alles, was ich glaube, falsch ist. Dass es keinen Gott gibt, und wenn wir sterben, sind wir einfach weg und das war’s dann. Kann sein. Ich habe keine Antwort auf so große Fragen wie die, was nach dem Tod passiert. Deshalb heißt es „glauben“ und nicht „wissen“. Was ich aber sehr wohl weiß, ist Folgendes: Wenn ich traurig bin, wütend, verzweifelt oder hoffnungslos, denke ich an Gott und fühle mich besser. Wenn ich mich machtlos fühle, weil es anderen schlecht geht und ich ihnen nicht helfen kann, bete ich für sie. Oft fällt mir erst danach eine Möglichkeit ein, ihnen doch auch noch auf andere Weise zu helfen. Gott ist immer bei mir, dieser Gedanke hält mich aufrecht, manchmal zumindest. Und dafür brauche ich keine Kirche. Dafür brauche ich überhaupt keine Institution, denn mein Glaube lebt in mir, und nirgendwo sonst. Und wenn mein Glaube kindisch, naiv oder vielleicht sogar dumm ist, dann ist das okay für mich, denn er gibt mir Kraft und Hoffnung, und die brauche ich dringender als alles andere. Wir alle haben ein Recht auf unseren Glauben. Worauf wir kein Recht haben, ist, diesen Glauben anderen Menschen aufzuzwingen, wie es leider viel zu oft – auch von Katholik*innen – getan wird. 

    Mein Bruder ist nun fester Teil einer Institution, die ich in vielerlei Hinsicht überholt finde. Aber diese Institution wird geprägt durch den Glauben ihrer Mitglieder. Und ich weiß, dass mein Bruder sie durch seinen Glauben zumindest ein bisschen besser machen wird. 

     

    Titelbild: Pixabay

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