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  • „Der heutige Glaube ist wie eine Patchwork-Religion“

    In der Novemberausgabe ging es auf Thema um Religion im studentischen Kontext. Dazu führte luhze ein Interview mit Sabrina Weiß, sie ist Religionswissenschaftlerin an der Uni Leipzig.

    Sabrina Weiß ist seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Religionswissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig. Mit luhze-Redakteurin Charlotte Paar sprach sie über das Verhältnis von jungen Menschen und Religion.

    luhze: Was oder woran glauben junge Menschen?
    Weiß: Das ist in der Tat gar nicht so einfach zu beantworten. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Un­­ter­­­suchungen, wie die Shell-Studie oder den Religionsmonitor, die die Religiosität junger Menschen im Alter von 18 bis 28 Jahren erforschen. Es lässt sich erkennen, dass die Religiosität junger Menschen in den letzten Jahren eher abnimmt, zumindest wenn man auf Kirchenzugehörigkeit und Identifikation mit dem Christentum schaut. Allerdings glauben dennoch viele junge Menschen an eine höhere Macht, die sie jedoch keiner Institution zuschreiben.

    Wie kommt es zu dieser Entwicklung?
    Grundsätzlich ist es so, dass man in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland von der Säkularisierungs­these ausgegangen ist, die besagt, dass Individuen sich aus der Bindung an die Kirche lösen und dadurch der Eindruck entsteht, die Religion würde eine gerin­gere Rolle spielen. Diese These wurde in den letzten Jahren wieder zunehmend zurückgenommen. Statt­dessen wird aktuell davon ausgegangen, dass Religiosität sich lediglich verändert, individueller wird und sich ins Private verschiebt. Dabei ist der heutige Glaube wie eine Patchwork-Religion zu verstehen, die sich aus vielen Elementen religiö­ser Richtungen zu einer neuen Form zusammensetzt. Innerhalb dieser Auffassung können Meditation und Yoga ebenso praktiziert werden wie ein christliches Weihnachtsfest. Junge Menschen interes­sieren sich also nicht weniger für Religion, sie leben nur neue Arten von ihr. Es fehlt einfach an Studien, die aufzeigen, woran sie genau glauben.

    Worin unterscheiden sich Religion und Glaube?
    Aus religionswissenschaft­licher Sicht ist selbst das Wort Religion undefinierbar und ständigen Debat­­­­ten unterlegen. Im Alltagsverständ­nis würde man darunter religiöse Gemeinschaften oder Einrichtungen verstehen. Das kann eine Kirche, eine Gemeinde oder ein Tempel sein, aber auch eine kleine Glaubensgruppe. Glaube wird statt­­­­­dessen vom Einzelnen individu­ell ausgelegt und praktiziert.

    Also kann man sagen, dass junge Menschen sich von der Religion zunehmend lösen und einen individuellen Glauben ausleben?
    Es gibt immer noch sehr viele junge Erwachsene, die sich selbst beispielsweise dem Christentum oder Islam zuordnen. Allerdings gibt es auch viele Studierende, die sich eher als spirituell bezeichnen würden, ohne einer Institution anzugehören. Eine starke Natur­ver­bun­denheit, die Vorstellung einer hö­heren Macht oder von einem Leben nach dem Tod sind ebenfalls Formen des Glaubens. Genauso können auch viele gar nichts mit Religion oder Glauben anfangen.

    Wird der spirituelle Glaube genau­so gesellschaftlich akzeptiert wie eine institutionalisierte Religion?
    Esoterische Literatur, die sich mit weltanschaulichen Fragen beschäf­­tigt, hat aktuell einen großen Anteil am Buchmarkt. Elemente, die ursprünglich in einem religiösen Kontext verhaftet waren, wie Buddha-Figuren oder Klangschalen, werden zu Lifestyle-Produkten und gehören in unserer globalisierten Welt mittlerweile zur Alltagskultur. Dies führt zu einer Nor­ma­lisierung der neuen indi­vi­du­ellen Glaubensformen.

    Wie gehen deutsche Universitäten mit Religion um?
    Die Geschichte der deutschen Universitäten ist christlich geprägt. Dass Hochschulen sich als säkular verstehen, ist ein relativ junges Phänomen. Die Debatte darum, ob Religion Privatsache ist und aus dem universitären Kontext ausgeschlossen oder in den Hochschulalltag eingebunden wer­den sollte, ist allgegenwärtig. Hochschulen sind dazu verpflichtet, sich weltanschaulich neutral zu verhalten. Religion ist darin lediglich ein wissenschaftliches Thema. Auf der anderen Seite existiert die Forderung, dass Universität ein Raum für Diversität und Weltoffenheit sein soll, in dem Menschen ganzheitlich wahrgenommen werden, auch mit ihrer Religion. Die aktive Einbindung von Religion durch Einrichtung von Gebetsräumen ist eine Entwicklung davon, die an manchen Hochschulen eingeführt wurde.

    Foto: Charlotte Paar

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