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  • Obdachloser Ausblick

    Wenn sowieso schon alles drunter und drüber geht, kann ein Zuhause mehr Halt geben als gedacht. Kolumnistin Henni berichtet über den unfreiwilligen Abschied von ihrem.

    Neulich wurde mir quasi mein Zuhause weggenommen. 

    Es klingelte. Vor meiner Tür stand das Sondereinsatzkommando der Immobilienbranche. Drei hagere, junge Männer mit gegeltem Haar, in blauen Anzügen, daneben eine Frau in weißer Bluse mit Klemmbrett. Da das Wohnhaus vor kurzem weiterverkauft worden war, wollte die neue Vermietung ihr Objekt besichtigen, also mein Zuhause (zumindest noch zu diesem Zeitpunkt). Denn wenige Minuten später stand der Vermieter in meinem Flur und nahm es mir mit den Worten: „Und dann werden sie selbstverständlich gekündigt” einfach weg. Das geht. Vielleicht würd ichs mir nicht glauben, würd ichs hören, ja eigentlich kann ich diesen Wendepunkt immer noch nicht fassen, aber ich war ja dabei, es hat sich tatsächlich so zugetragen! 

    Ich und meine beiden Mitbewohnerinnen waren außer uns. Eine heulte, mir kamen die ersten Tränen während ich diskutierte und die Dritte wurde aufbrausend, alle Beteiligten schrien sich fast an. Die Vermietung schrie zur Machtdemonstration, wir aufgrund der Bodenlosigkeit ihres Auftritts. Mein Fazit: Es gibt sie, die Bösen, und sie hatten uns an diesem Oktobermorgen in ihren teuren Anzügen einen Besuch abgestattet, um sich bald noch mehr teure Anzüge kaufen zu können. 

    Ich war keine gute Mieterin, habe gegen Ruhezeiten und Hausordnung mehrfach verstoßen. Doch obwohl sich die wilde Bewohnung meines Zuhauses der Vergangenheit mittlerweile veranständigt hat, hat sich mein Vermieter dafür entschieden, lieber keine WG mit Risikopotential das Dachgeschoss bewohnen zu lassen. 

    Henni auf einem Dach. Die Sonne geht unter.

    Zu Hause ging es hoch hinaus. Foto: privat

    Jetzt bin auch ich eines dieser Opfer auf Wohnungssuche. Das geht doch nicht, denke ich mir, sobald ich Immoscout öffne. Ich kann doch nicht so viele Kompromisse machen und trotzdem 50 Prozent mehr Miete zahlen. Ich will nicht in Gohlis wohnen und ein 10 Quadratmeter großes Zimmer ist mir zu klein, eigentlich brauche ich wirklich eine Einbauküche und seit wann bezahlt man drei Kaltmieten Kaution – geht mir durch den Kopf, bevor ich das Kontaktformular ausfülle um einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Ich fühle mich ein wenig wie in einer sehr verlustbehafteten Phase im Sommer vor zwei Jahren, in der mir etliche Gegenstände gestohlen wurden: Fahrrad, Rucksack, Handy etc. Die ganze Zeit musste ich irgendwelche Neuanschaffungen für mehr Geld als vorher tätigen, nur um wiederzubekommen, was ich eigentlich schonmal besaß. So fühlt es sich auch jetzt an. Ich habe eine perfekte Wohnung, für den perfekten Preis, in perfekter Lage mit perfekten Mitbewohnern. Kein Bock, dass alles schlechter wird und trotzdem mehr kostet. 

    Von außen betrachtet ist die Situation nervig, doch die Konsequenz ist klar: Eine neue Wohnung muss her. Ein Umzug wird von Veränderung begleitet sein. Doch aus Sicht der meisten Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe, ist das nichts Dramatisches, vielmehr etwas Natürliches. 

    Irgendetwas liegt jedoch in der Situation, das mir den Boden unter den Füßen wegreißt. Irgendein tiefer, kindlicher Glaube in mir an das Gute gerät dabei ins Wanken. Der Glaube, dass Gutes für immer bleiben könne, wenn man es nur genug festhält, genug darum kämpft. Ich wohne nun seit drei Jahren, und ab jetzt noch für weitere drei Monate, in dieser WG mit meinen beiden besten Kumpanen. Unser Zuhause war unser Göttertempel, es war die erste Wohnung, in die wir nach der Schule gezogen sind, und jeder Zentimeter wurde von uns gebrandmarkt. Alles ist bunt und voller Leben, trägt die Spuren der einzigartigen Zeiten, die wir inmitten dieser paar Wände verbracht haben. Nun werden wir in drei Monaten die Tür hinter uns zuziehen dahinter alles leer und geweißt, und mir wird vor allem noch die Erinnerung an diese Zeit bleiben. Was dramatisch klingt, ist es auch, wenn nicht auf existentieller Ebene, zumindest auf persönlicher. Und wenn man sich anschaut, wie schnell neue Wohnungen wieder vergeben werden, vielleicht doch auch auf existenzieller. Ich sag nur so viel: Zu einem Besichtigungstermin bin ich noch nicht durchgedrungen. Auch meine Mom hatte letztens interessanterweise erstaunlich große Angst, dass ich obdachlos werden könnte. Hoffentlich lag es an der Situation und nicht an meiner Fähigkeit, damit umzugehen. 

    Ich fühle mich unfair behandelt und unterdrückt, dabei habe ich lange Zeit vergessen, dass es sowas gibt. Wütend denke ich mir wie eine Sechsjährige: Ich will aber kein neues Zuhause. Und überlege dann wie eine 21-Jährige, ob ich mich nicht erst mal schnell aus Leipzig verdrücken sollte, wo doch das Schicksal eh gerade interveniert. 

    Tipp an euch: Falls ihr mit derartigem konfrontiert werdet, holt euch sofort eine Rechtsberatung, bevor ihr aus Unwissenheit dumme Entscheidungen trefft. Häufig sieht die Rechtslage nämlich wesentlich komplizierter aus, als von einer fordernden Vermietung dargestellt. 

     

    Titelbild: Pixabay

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