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  • „Gar nicht gut für’s Herz“

    Seit dem 20. Juli ist Christopher Nolans neuer Film Oppenheimer in deutschen Kinos zu sehen. Es ist ein Film über Wissenschaft, Politik und die Bedeutung von Moral mitten im Krieg.

    Funkelnde Sterne. Riesige Feuersäulen. Die unendlichen Weiten des Universums. Bilder wie diese bringen etwas Ruhe in  den Film, der durch seine zügig aufeinanderfolgenden, teilweise sehr kurzen Szenen sonst sehr schnelllebig, beinahe  hektisch wirkt. Schlag auf Schlag führt uns die Geschichte durch das Leben von J. Robert Oppenheimer, der heute als Erfinder der Atombombe bekannt ist. Von der ersten Idee über die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki bis hin zu den politischen Folgen in den Jahren danach nimmt Christopher Nolan die Zuschauer*innen mit auf eine Reise durch Oppenheimers Gewissen, bei der man häufig das Gefühl hat, dass Oppenheimer, gespielt von Cillian Murphy, gleich selbst explodieren wird wie eine Bombe.
    Im Laufe des Films wird ihm allmählich die Verantwortung bewusst, die er mit seiner Erfindung tatsächlich trägt. Eine Verantwortung, die er so eigentlich gar nicht wollte. Für eine Erfindung, die für Physiklai*innen schwer zu verstehen ist und durch den Film auch nur geringfügig verständlicher wird. Aber vielleicht ist das auch gar nicht notwendig. Oppenheimer hat nicht den Anspruch, die wissenschaftlichen Einzelheiten hinter dem Bau der Atombombe so  herunterzubrechen, dass sie simpel erscheinen. Das wäre auch eine Verfälschung der Ereignisse, denn beobachtet man Oppenheimer und sein Team, wie sie in einer extra zu diesem Zweck errichteten Stadt mitten im Nirgendwo in New Mexico tüfteln, rechnen und diskutieren, dann wird klar: Der Bau der Atombombe war alles, nur nicht simpel. Aus wissenschaftlicher Sicht ein Meisterwerk. Und aus moralischer Sicht? Hier beginnen sich die Geister zu scheiden. 

    Szenen aus der Sicht von Oppenheimers politischem Gegenspieler Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) werden im Film in schwarz-weiß erzählt. Foto: Universal Pictures

    Bei Oppenheimer geht es nicht nur um Physik. Die Geschichte vereint vielmehr Wissenschaft und Politik miteinander. Oppenheimer wird als angeblicher Kommunist verfolgt. Vor allem nach dem Bau der Atombombe drohen ihm Konsequenzen. An dieser Verfolgung beteiligt ist Lewis Strauss, Vorsitzender des „Atomic Energy Council“, gespielt von Robert Downey Jr. Er wird zu Oppenheimers politischem Gegenspieler, denn wenn man Erfinder der Atombombe ist, ist man nicht mehr nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker, wie Oppenheimer selbst im Film feststellen muss. Letztendlich steht eine zentrale Frage im Raum: Haben wir das Recht, Massenvernichtungswaffen einzusetzen, wenn wir dadurch verhindern können, dass unsere Gegner*innen sie vor uns einsetzen? Oppenheimer sagt Nein. Doch spätestens als der Bau der Atombombe abgeschlossen ist, liegt die Entscheidung nicht mehr in seiner Hand. 

    Oppenheimer ist ein verworrener Film, der viel mit Lautstärke arbeitet. Hintergrundgeräusche wie ein unaufhörliches Wummern, Streichmusik oder das Trampeln von hunderten Schuhen auf Holz werden teilweise so laut, dass man kaum verstehen kann, was gesagt wird. Einige Szenen sind in schwarz-weiß gedreht – hauptsächlich die, die aus Strauss‘ Sicht erzählt werden – und nicht immer ist klar nachvollziehbar, in welchem Jahr, an welchem Ort, an welchem Punkt der Geschichte wir uns gerade befinden, denn nicht alles wird chronologisch geschildert.
    Doch letztendlich fügen sich die Puzzleteile zusammen. Oppenheimer ist ein Film über Leidenschaft, Wahnsinn, Politik und die Frage, was eigentlich Moral bedeutet. Ist es fair, dass der Erfinder einer Waffe, die tausende Menschenleben gekostet hat, in seinem Heimatland als Nationalheld gefeiert wird, wie es im Film dargestellt wird? Es ist eine dramatische, verzweifelte Situation für alle Beteiligten. Demzufolge ist der Film auch nicht unbedingt ein Gute-Laune-Macher, aber das will er auch gar nicht sein.
    Immerhin ein bisschen Heiterkeit verspricht ein weißhaariger alter Mann an einem Teich, der sich als Albert Einstein höchstpersönlich entpuppt. Er bringt etwas Humor in den Film, doch auch das ändert nichts an der insgesamt tragischen Geschichte, die der Film erzählt. Denn selbst zwei der wohl größten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts können nicht verhindern, dass tausende Menschen durch ihre Arbeit den Tod finden. Oder wie Oppenheimer selbst sagt, als er beim Testlauf seiner Atombombe auf die Zündung wartet: „Das ist gar nicht gut für’s Herz.“ 

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