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  • Zwei Jahre #IchBinHanna

    Protest seit 2021 - Wie ist der heutige Stand?

    Vor zwei Jahren veröffentlichte das Bundesministerium für Bil­dung und Forschung (BMBF) ein Video, welches auf Twitter unter dem Hashtag #IchBinHanna die Debatte rund um die prekären Arbeitsbedingungen an deutschen Unis und Forschungseinrichtungen befeuerte. Im Video wurde anhand der fiktiven Doktorandin Hanna das seit 2007 gültige „Wissenschafts­zeitvertragsgesetz“, kurz WissZeitVG, vorgestellt.
    Das Gesetz regelt, wie die Arbeitsverträge von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ge­staltet werden. Konkret er­möglicht es, dass diese meist befristet angestellt werden, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos maximal sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion. Die Begründung: So würden Stellen nicht „verstopft“ und Platz für neue Wissenschaftler*innen gemacht.

    Was ist das Problem?

    Unter Uni-Angestellten stieß das Video, welches die Befristungsregelung als positiv und innovativ darstellt, auf massive Kritik. Tausende wissenschaftliche Mitarbeiter*innen berichteten unter dem Hashtag #IchBinHanna von den Auswirkungen des Gesetzes auf ihr persönliches (Arbeits-)Leben. Um letztlich einen der heiß begehrten unbefristeten Arbeitsverträge an der Uni, und somit Jobsicherheit, zu erlangen, sind viele Mitarbeiter*innen aktuell dazu gezwungen, sich von einem Kurzzeitvertrag zum nächs­ten zu hangeln. Denn die Befristung war zwar laut WissZeitVG 2021 auf maximal sechs Jahre angelegt, an deutschen Unis laufen einzelne Verträge jedoch oft nicht länger als zwölf Monate.
    Die permanente Aneinanderreihung von Verträgen stellt für wissenschaftliche Mitarbeiter*in­­nen, die wohlgemerkt den Großteil der Arbeitslast sowohl in Lehre als auch Forschung schultern, eine enorme Belastung dar. Hinzu kommt, dass es keineswegs unüblich ist, Überstunden, freiwillige Arbeit am Wochenende und Urlaubsverzicht für eine ersehnte Weiterbeschäftigung in Kauf zu nehmen.
    Marcus Heinz, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Leipzig, forschte und lehrte acht Jahre lang am Institut für Kulturwissenschaften und engagierte sich hochschulpolitisch im Fakultätsrat Sozial­wissenschaften und Philo­­so­phie, um auf die prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Er selbst kam inklusive vorheriger Tätigkeiten als wissenschaftliche Hilfskraft insgesamt auf weit mehr als 20 Arbeitsverträge mit der Uni. Er berichtet von seinen Erfahrungen und denen seine Kolleg*innen: Die wiederkehren­den, wenn auch kurzen, Phasen der Arbeitslosigkeit zwischen den Verträgen beschreibt er als mentale Belastung und „Motivationskiller“. Hinzu komme die Demütigung des erzwungenermaßen regelmäßigen Ganges zum Arbeitsamt. Das Thema Familiengründung musste bei ihm wie bei vielen anderen wissenschaftlichen Angestellten aufgrund der fehlenden Planungs­sicherheit in den Hintergrund rücken. Außerdem erzählt er von Kolleg*innen, die aufgrund ihrer befristeten Verträge kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben. Denn: Vermieter*innen fordern häufig den Nachweis einer langfristigen Beschäftigung – etwas, das die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen selbst gerne hätten.
    Wie sehr sich all das auf die mentale Gesundheit der Betroffenen auswirken kann, zeigt eine am Max-Planck-Institut durchgeführte Studie aus diesem Jahr. Mehr als 20 Prozent aller befragten Wissenschaftler*innen berichten von Anzeichen einer mittelschweren bis schweren klinischen Depression – zum Vergleich: In der gleichaltrigen Allgemeinbevölkerung sind es rund 8,8 Prozent, also fast dreimal weniger.
    Neben den Angestellten seien es aber auch die Studierenden, die unter dem WissZeitVG leiden, „wenn ihre Seminare von immer wechselnden Lehrenden gehalten werden oder sie vergeblich nach Betreuenden für ihre Abschlussarbeiten suchen, weil die aus dem Studium bekannten schon längst nicht mehr an der Uni angestellt sind“, wie eine Vertreterin der Mittelbauinitiative der Uni Leipzig bei der Kundgebung zu #IchBinHanna am 14. Juni kriti­sierte.

    Was hat sich seit Beginn der Debatte getan?

    Nachdem infolge der Veröffentlichung des Videos tausende wissenschaftliche Mitar­bei­ter*innen auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam machten, versprach die Bundesregierung eine Reform des Gesetzes – das ist mittlerweile zwei Jahre her. Seitdem gab es zwar etliche Reformentwürfe, so richtig zufriedenstellend war für die Betroffenen aber keiner davon. Die ursprüngliche Regelung, in der lediglich ermöglicht wird, dass wissenschaftliche Mitarbeiter­*innen maximal sechs Jahre vor und nach der Promotion befristet angestellt sein dürfen, enthielt keine Aussage zur Mindestdauer eines Arbeitsvertrages. Das wurde, nachdem ein im März dieses Jahres veröffentlichtes Eckpunktepapier aufgrund massiver Kritik nach nur drei Tagen wieder zurückgezogen wurde, geändert. Der neue Referent*innenentwurf vom Juni dieses Jahres sieht nun eine Minimalbefristung von drei Jahren in der Phase vor der Promotion vor.
    Hinzu kommt die sogenannte „Vier-plus-Zwei-Regelung“ für die Zeit nach der Promotion. Statt nach ursprünglich sechs, muss nun schon nach vier Jahren entschieden werden, ob der*die wissenschaftliche Mitarbeiter*in eine Perspektive auf dauerhafte Beschäftigung hat. Die anschließenden zwei Jahre Befristung sind optional, solange eine Anschlusszusage sicher ist.
    Diese Änderungen sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung, mit einer grundlegenden Verbesserung der Lage rechnen die Betroffenen aber nicht. Zum einen sei die Mindestbefristung vor der Promotion mit drei Jahren zu kurz gedacht, da eine durchschnittliche Promotion vier­­einhalb Jahre dauert. Zum anderen sei das Warten weiterer vier Jahre auf eine unbefristete Beschäftigung nach der Promotion noch immer eine Zumutung.

    Wie geht es weiter?

    Aktuell wird das WissZeitVG von der Bundesregierung bearbeitet und es ist unklar, ob die Forderungen von #IchBinHanna in der neuen Version durchgesetzt werden. Was die Bewegung jedoch schon heute geschafft hat, ist es, dem Arbeitskampf in der deutschen Wissenschaft eine öffentliche Bühne zu geben. Dass sich auch Profs und Studierende mit der Bewegung solidarisieren, ist ein wichtiger Schritt in Richtung faire Arbeitsbedingungen für angehende Wissenschaftler*innen.
    Auch wenn es nur diejenigen, die promovieren und in der Wissenschaft arbeiten, zu betreffen scheint, geht das Problem doch uns alle an. Denn motivierte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die wegen der Arbeitsbedingungen abgeschreckt werden, fehlen im Endeffekt allen, die von ihrer Uni-Zeit mehr als nur frontal unterrichtete Grundlagenlehre erwarten.

     

    Foto: Fritzi Ensikat

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