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  • Auf bunten Pfaden

    Im Rahmen des Hörspielsommers feierte am 9. Juli ein Audiowalk Premiere, der durch die queere Vergangenheit der Stadt führt.

    Eines ist sicher, wenn sich etwa 20 Menschen bei fast 38 Grad Celsius vor einem kleinen Pavillon versammeln, um im Anschluss zwei Stunden lang durch die Leipziger Innenstadt zu ziehen: Sie haben wirklich Lust auf das, was sie da machen. 

    Besagter Pavillon steht im Rahmen des Leipziger Hörspielsommers an der Ostseite des Richard-Wagner-Hains. Er ist geschmückt mit Trans*- und anderen Pride-Flaggen und Plakaten, auf denen steht: „Queer Voices Leipzig: Ein Hörspaziergang durch queere Stadtgeschichte“.  

    Organisiert wurde das Ganze im Rahmen des Hörspielsommers, einem Hörspiel-Festival, das jährlich in Leipzig stattfindet, von einem jungen Team unter der Leitung von Dorothea Ulrike Wagner.  

    Die Premiere des Audiowalks feierten die Veranstalter*innen sowie die ersten etwa 20 Teilnehmer*innen am 9. Juli um 15:30 Uhr. Nach einer kurzen Einweisung und der Ausgabe der Kopfhörer spazieren sie gemeinsam los. Im Ohr haben sie von da an ständig wechselnde Stimmen. Es handelt sich vor allem um Einspieler aus Interviews.  

    Manchmal hört man erst Statements, ohne zu wissen, wer da eigentlich spricht, und erfährt später die Hintergrundgeschichte, manchmal ist es andersherum. 

    Tanzen kann helfen, auch Dinge auszudrücken, für die es keine Worte gibt.

    Da geht es um Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und den Medien, um Angst, Anfeindungen auf offener Straße und das einengende Transsexuellen-Gesetz. Dieses sah bis 2011 noch den Zwang zur Sterilisation vor, bevor eine Änderung des Geschlechtseintrags erfolgen konnte. Noch heute ist dafür ein langwieriges gerichtliches Verfahren mit zwei psychischen Begutachtungen notwendig, das von den Betroffenen selbst bezahlt werden muss.  

    Aber es geht beim Audiowalk auch um Spaß, Liebe und Lebensfreude. Darum, sich selbst und eine Community zu finden. Worte fehlen und werden neu gefunden – Worte, die die eigene Identität greifbarer machen. Oft geht es um Einsamkeit, um ein Gefühl von Anderssein, aber auch um die Erkenntnis, nicht allein zu sein, die irgendwann unvermittelt eintrifft.  

    Die Einspieler sind begleitet von einer Stimme, die Hintergrundinformationen zu den Sprecher*innen liefert oder Jahreszahlen und geschichtliche und kulturelle Ereignisse, um diese besser einordnen zu können. 

    Immer ist das Erzählte verbunden mit den Erinnerungen an bestimmte Leipziger Orte. An die Henriette-Goldschmidt-Schule, wo ein Trans*mann von den Lehrer*innen und der Klasse zum ersten Mal richtig unterstützt wurde. An die „Klappe“ neben dem Neuen Rathaus – eine öffentliche Toilette, die früher als Treffpunkt für schnellen, schwulen Sex galt. An die etwa 250 Menschen, die 1992 für den ersten Christopher Street Day in Leipzig an der Moritzbastei zusammenkamen.  

    Ganz unterschiedliche Lebensrealitäten und Altersgruppen von Erzählenden vermischen und überlagern sich. Manchmal sind Stimmen nicht zuzuordnen oder noch unbekannt. Was sie verbindet, ist die Stadt, in der sie ihre Spuren gezogen haben. Die Menschen hinter den Stimmen erzählen von Kommen oder Gehen aus Syrien, Thüringen, Bayern, Sardinien oder Kasachstan, von der Hoffnung, in Leipzig endlich glücklich sein zu können.  

     

    Auch an Zäunen und unter Bäumen entlang führen die queeren Spuren in Leipzigs Stadtgeschichte.

    Das Konzept des Audiowalks ist interessant: Man geht als Gruppe, hält inne, steht beisammen. Mit dem Gehörten und den eigenen Gedanken sind trotzdem alle allein. So wie die Erzählenden alle Teil der Stadt und ihrer Geschichte sind und trotzdem ihre individuellen Erfahrungen gemacht haben: 

    Für eine Familie ist das Vegetarierin-Sein ein größeres Problem, als dass die Tochter Frauen liebt. Ein junger Trans*mann bindet sich immer wieder heimlich die Brust ab und kann nicht mit seiner Hormontherapie beginnen, weil er dazu die Zustimmung der Eltern braucht. Ein lesbisches Paar schleicht sich 1976 auf einer Familienfeier weg, um sich zum ersten Mal zu küssen. Die Entdeckung der asexuellen Community in Leipzig bietet einer Erzählenden Hoffnung. 

    Es geht auch um Ausdruck von Queerness durch Schmuck und Makeup oder Musik und Tanz. Immer wieder stößt Saeed Asadsangabi – ein*e queere Tänzer*in und Choreograph*in – in unterschiedlichen Outfits zur Gruppe, tanzt oder läuft ein Stück mit ihr.  

    Insgesamt erschließt sich in den zwei Stunden eine etwa sechs Kilometer lange Strecke, die unter Büschen oder zwischen Zäunen und Flüssen hindurch, aber auch über Straßen und in Hinterhöfe führt. Durch die Erkundung queerer Geschichten, die in Leipzig stattfanden oder -finden, Erfahrungen und Identitäten zeichnet der Audiowalk das Bild eines vielfältigen und vielschichtigen Leipzigs. Er lädt zum Weinen, Schlucken, Schmunzeln, Feiern ein. Aber auch zum gemeinsamen Kämpfen an den zahlreichen Stellen, wo queer zu sein immer noch bedeutet, Angst zu haben und angefeindet zu werden. Was nach dem Spaziergang bleibt, sind Wut und Traurigkeit, aber vor allem auch ein Gefühl der Hoffnung und Stärke. 

     

    Kommende Spieltermine sind Freitag, 14. Juli 18:00 Uhr und 20:30 Uhr, Samstag, 15. Juli 15:30 Uhr, 18:00 Uhr und 20:30 Uhr, sowie Sonntag, 16. Juli 16:30 Uhr. Genauere Infos findet ihr bei Instagram: @queer.voices.leipzig 

     

    Foto: Mim Schneider

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