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  • Eine Liebe unter dem Jambul und andere Geschichten

    Das neu erschienene Buch des Akono-Verlags aus Leipzig nimmt einen mit in spannende Geschichten über Liebe, Queerness und Schwarzsein.

    „An einem sonnigen Nachmittag“ fingen wir „Fisch aus den Tropen“ und aßen ihn „Unter dem Jambul“. „Besondere Inspiration“ bekamen wir von „Fridas Kröte“ „Am Abgrund“ der „Neunten Welle“. „Der Elefant im Raum“ und die anschließende „Verwandlung“ während unseres „Tanz[es] im Regen“. Diese Sätze vereinen einige der Titel der Kurzgeschichten des neu erschienenen Bandes „Was Mittwochs war, und Freitags: Afrikanische Geschichten über das Lieben und Begehren“ des Akono-Verlags, ein unabhängiger Verlag aus Leipzig, der sich auf Texte und Lyrik aus afrikanischen Ländern und der Diaspora spezialisiert hat. Der Band versammelt Autor*innen vieler verschiedener afrikanischer Länder, z.B. Jennifer Chinenye Emelife oder Wamuwi Mbao. Daher hat mich der lilafarbene Bucheinwand stutzig gemacht: Man sieht nackte schwarze Beine, umringt von exotisch aussehenden Blumen. Das hat mich von einem Verlag, der sich als dekolonial versteht, überrascht. Ob beabsichtigt oder aus Versehen: Die Zurschaustellung Schwarzer Nacktheit hat eine lange koloniale Tradition und in Kombination mit den Blumen trägt die Buchgestaltung zu einer exotisierten Vorstellung der Geschichten bei und wird den Kurzgeschichten diverser afrodiasporischer Schriftsteller*innen meiner Meinung nach nicht gerecht. 

    Abgesehen davon war das Eintauchen in das Buch mit seinen Geschichten sehr abwechslungsreich und interessant. Wer Kurzgeschichten mag und darauf vorbereitet ist, von einer Geschichte in die nächste geworfen zu werden und dabei eine kleine Reise durch verschiedene Orte, Familien und Liebesbeziehungen zu unternehmen, wird mit diesem Buch sicherlich etwas anfangen können. Ich bin eingetaucht in alltägliche Dating-Situationen zwischen zwei Männern, in Ehefrauen, die nicht aufhören können, an ihre Affäre zu denken, in die Beziehung zwischen sich fremden Halbgeschwistern, auf der Suche nach ihrem Vater, in Orgien im Küchenschrank, in die Geschichte eines wandernden Penis, der einer älteren Frau vor die Haustür läuft, in eine Dreiecksbeziehung, in der die Grenzen zwischen Liebe, Sex, Freundschaft und Boshaftigkeit verschwimmen. Doch zwischen all den verschiedenen Figuren und zwischenmenschlichen Herausforderungen schwebt die Frage nach dem Ich, des Schwarzseins und der Klasse. Die Geschichten sind gespickt mit sprachlichen Bildern und sinnlichen Beschreibungen und behandeln Konflikte, Unsicherheiten, Machtunterschiede und die Suche nach Nähe und der eigenen Sexualität.  

    Oft werden Wörter aus der Muttersprache des*der jeweiligen Autor*in in den Text eingewoben, wahrscheinlich, um ein Gefühl oder eine Sache zu beschreiben, die im Englischen oder Deutschen nicht existiert. Ich mag das, denn obwohl so zwar eine Verständnislücke entsteht, geht es wahrscheinlich genau um diese Lücke , wenn man nicht nur in einer Sprache und Lebenswelt zu Hause ist. Kurzgeschichten sind voller Lücken, sie fangen irgendwo an und hören genauso abrupt wieder auf, vieles wird nicht erzählt. Das passt zu der Suche nach der eigenen Identität, die sich oft voller Leerstellen anfühlt und vermutlich nie ganz abgeschlossen sein wird. 

    luhze-Autorin Nadja liest in ihrem Buch

    “Was Mittwochs war und Freitags” findet erfrischend neue Worte über die Suche nach der eigenen Sexualität und Identität. Foto: privat

    Ich erinnere mich außerdem an die vielen Beschreibungen von Gerichten, an das gemeinsame Essen, an die Früchte und die Beschreibung von Gerüchen: „Der Gedanke daran schmeckte süß und salzig, wie mit Zwiebeln und kamulari –  scharfem, ganz scharfem Pfeffer –  gewürzte Grashüpfer.“   

    Essen kann ein Gefühl des Zuhause- oder Zugastseins vermitteln. Sich daheim oder fremd zu fühlen, ist denke ich etwas, was jede*r im kleineren oder größeren Rahmen kennt, weswegen die Texte für mich eine große Anwendbarkeit haben. 

    Gleichzeitig tauchen sehr oft Beschreibungen auf, die ich aus feministischer Literatur eher nicht gewohnt bin, wie zum Beispiel der Vergleich von Frauen mit Blumen. Spätestens nach avenidas kann dieser Vergleich befremdlich oder zumindest überholt erscheinen,  aber vielleicht ändert sich die Konnotation, wenn eine Frau eine andere Frau mit Blumen vergleicht, wenn es zumindest nicht mehr der Mann ist, der sich mit seiner schönen passiven Blume schmückt. 

    Vielleicht ist das Geschmackssache. Nicht jeder Text hatte eine Pointe oder mich berührt. Doch allein, dass sich einige Geschichten von der prüden Art verabschieden, mit der üblicherweise über Erotik und Liebe geschrieben wird, hat mir viel bedeutet. Geschichten über queere Liebe, über Schwarze Menschen sind nach wie vor unterrepräsentiert in den Vorstellungen über Liebe und Sex, mit denen ich aufgewachsen bin. 
    Manchmal kann es sich wie eine Befreiung anfühlen, neue Wörter zu finden und jede Geschichte, jede*r Autor*in, der*die einem etwas Neues mitgibt, ist wie ein kleines Geschenk. 

    Meine Lieblingsgeschichte war die Erinnerung an eine Liebe unter dem Jambul, ein Baum mit süßen, violetten Früchten, von Monika Arac de Nyeko. Es ist an Sanyu, eine Freundin und Geliebte der Protagonistin Anyango, mit der die sie aufgewachsen ist, in der Du-Form geschrieben, als Brief oder als Aufarbeitung: „Sanyu, nach all den Jahren kann ich mir immer noch ausmalen, wie ich die Scham am Kleidersaum hinter mir herziehe. Manchmal aber sehe ich sie, wie sie sich über Wasser und Wüste in deine Träume versetzt, um dich daran zu erinnern, welche Grenzen wir überschritten hatten. Die Dinge, die wir nicht hätten tun sollen, als der helle Schein von Mama Atims Taschenlampe uns traf –  nackt.“ In wenigen subtilen Sätzen werden Klassenunterschiede beschrieben: „Manchmal wünschte ich mir, wie du zu sein; eine Mutter zu haben, die auf dem Markt das Glücklichsein kaufte.“ Ebenso Verrat: die Mutter, die verachtend und repressiv auf die Liebe zwischen den beiden Frauen reagiert. Die darauffolgende Scham und der Hass, den Anyango entwickelt. Die Sehnsucht nach Sanyu und die Angst vor Ablehnung und zum Ende dann die Hoffnung auf ein Wiedersehen: „Nachts tauchst du jedes Mal vor meinen Augen auf, wieder und wieder. Sanyu, wie die Sonne gehst du auf und stehst mit erhobenem Kopf wie der Jambul vor Mama Atims Haus. Die Bäume haben lila Blätter. Ich sag dir, sie lächeln.“ 

     

    Grafik: Sara Wolkers

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