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  • Was im Lehrerzimmer passiert, bleibt im Lehrerzimmer

    Mit dem Film „Das Lehrerzimmer“ bricht Regisseur İlker Çatak die Routine des Schulalltags durch einen simplen Konflikt, der bald zu einem undurchschaubaren Netz an moralischen Widersprüchen wird.

    So geheimnisvoll das Lehrerzimmer früher auch war, man muss sich letztendlich damit abfinden, dass sich hinter der Tür nur ein Raum voller gestresster Lehrer*innen befand, die das bisschen Zeit zwischen den Stunden für weiteren Schulkram nutzten. Genau so macht es auch Frau Nowak, Protagonistin des Dramas und Lehrerin an einer namenlosen Schule. Jedoch häufen sich dort bereits seit geraumer Zeit Taschendiebstähle, die nun auch regelmäßig im Lehrerzimmer stattfinden. Schnell beschließt Nowak dem Problem auf eigene Faust nachzugehen. Mit einem Trick schafft sie es, ein Video von der vermeintlichen Diebin aufzuzeichnen, ihr Verdacht fällt auf die Sekretärin Frau Kuhn.  

    Kuhn bestreitet die Vorwürfe später auch vor der Schulleitung vehement. Da die Regeln des Schulsystems keinen weiteren Raum für persönliche Konfliktlösung lassen, wird Frau Kuhn aufgrund des dringenden Verdachts beurlaubt. Diese Information verbreitet sich natürlich rasend schnell und ihr Sohn Oskar, der zufälligerweise ein Schüler von Frau Nowak ist, bekommt die Konsequenzen zu spüren. Er wird von nun an für das angebliche Verhalten seiner Mutter schikaniert und aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen. Da Frau Nowak und die Schulleitung zu diesem Zeitpunkt nichts genaueres über den Konflikt verraten dürfen, steht ihnen schon bald ein von Unverständnis getriebener Mob, bestehend aus Elternschaft, Klasse und Schülerzeitung gegenüber, der Gerüchte nur so aufsaugt und sofort reproduziert, was die Situation bis zum Ende anheizt.   

    Leonie Benesch in „Das Lehrerzimmer“ 2023.

    Die größte Verantwortung für den Lauf der Dinge schien mir das Verhalten der Schulleitung zu tragen. Jenes bestand ausschließlich darin, Symptome des Konflikts zu bekämpfen, anstatt für eine Lösung des eigentlichen Problems zu sorgen: Frau Kuhn wird automatisch beurlaubt, obwohl sie auf Nowaks Video gar nicht klar zu erkennen ist und auch Oskar wird nach einer Rangelei mit einem respektlosen Mitschüler vom Unterricht suspendiert. Çatak bezeichnete dazu die Schule als „Mikrokosmos der Gesellschaft“. Ich wurde mit dem Verlauf der Handlung vor allem immer ratloser, da mir eine Schlichtung der Situation, die alle Seiten zufriedenstellen würde, zunehmend unmöglich schien. Irgendwie konnte ich alle auch ein Stück weit verstehen: Frau Nowak wollte schließlich nur, dass die Diebstähle an der Schule endlich aufhören und man merkt sichtlich, wie sie bereut, was sie losgetreten hat. Frau Kuhn ist vielleicht die Schuldige, vielleicht auch nicht und dass ihr Sohn dafür leiden muss, während seine Mobber*innen ungestraft davon kommen, ist doppelt ungerecht.  

    Leonard Stettnisch in „Das Lehrerzimmer“ 2023.

    Für mich war die Erfahrung, „Das Lehrerzimmer“ zu schauen gleichermaßen frustrierend, wie beeindruckend. Was Çatak aus einer Situation, die jede*r anfangs als Kleinigkeit abtun würde, entwickelt, während der gesamte Film einzig und allein auf dem Schulgelände spielt, hat mich sehr überrascht. Das Drama wirft Fragen über Gerechtigkeit und Moral auf und hat mich grübelnd auf meinen Heimweg vom Kino entlassen. 

    „Das Lehrerzimmer“ wurde 2023 siebenfach für den deutschen Filmpreis nominiert, unter anderem in der Kategorie „Bester Spielfilm“. Kinostart ist der 4. Mai 2023. 

     

    Fotos: Alamode Film

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