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  • Are These Boots Made For Walking?

    Ob Leipzigs Pferdemesse das Versprechen einlöst, Mensch und Pferd einander näher zu bringen oder sich noch ganz andere Beobachtungen machen ließen, galt es herauszufinden.

    Eine Sache verbindet man mit diesem eisigen Wetter heute sicher nicht und das ist das Thema Pferd. Pferde, das sind die Geschöpfe, auf denen mensch im Sommer am Strand entlang reitet oder wie der Marlboro-Mann in den Sonnenuntergang.

    In Leipzig fand vom 19. bis 22. Januar die Erlebnismesse „Partner Pferd“ statt, die als Mix von Show, Expo und Sportevent auftrat. Was eine*n an einem Freitagnachmittag, dem zweiten Veranstaltungstag, hier hertreibt? – Es ist keine schlechte Unterhaltung. Bei der Recherche im Netz gibt der Veranstaltungsplan mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Mensch muss sich deshalb dem Zufall und der Fantasie überlassen: Wird mensch das erste Mal seit über 15 Jahren reiten, und Äpfel verfüttern dürfen? Zumindest unter dem Verein Noteselhilfe kann mensch sich etwas vorstellen und freut sich deshalb besonders auf diese harmlosen und armen Tiere.

    Und schon ist mensch da und tritt ein. Am Eingang schallen einem*r Lautsprecher entgegen, es begrüßt ein Stand mit Gourmetsalami. Eins ist sicher, das schreibt sich wie von selbst. Mich zieht es zur Musik an den Tribünen, die sich als ungefähr zur Hälfte besetzt herausstellen, und wo gerade das Springreiten stattfindet. Das Publikum ist tendenziell gemischter als mensch annehmen könnte, dazu mittleren Alters. Die Sitzordnung springt ins Auge. Sie teilt sich in zwei Klassen: Während eine upper class an wohlangeordneten Tischen mit weißen Tischdecken in der vordersten Reihe sitzt und von Kellner*innen bedient wird, sitzt die zweite Klasse auf schmutzigen, grauen Klappsitzen. In der Arena gleiten die Pferde über die Stangen, deren Hufen auf dem präparierten Sand nicht hörbar sind. Die Hindernisse heißen Boxerhürde oder Doppelbock. Die internationalen Reiter*innen hängen wie Puppen auf den großen Pferdekörpern. Über die Boxen läuft dazu Daft Punks „One More Time“ – ein wahrliches Spektakel! Vor allem die Werbung ist unübersehbar, selbst auf den Hürden sind die Logos von Sparkasse und Carsharing-Unternehmen überdeutlich sichtbar, dazu scheinen die gehissten Flaggen der Sponsoren, die die Arena schmücken, im Wind zu wehen. Dabei sind wir doch in einer Halle. Nach Beendigung der Kür drehen die Boxen noch einmal auf, das Publikum revanchiert sich mit einem müden Applaus.

    ein Inhalationsgerät für erkältete Pferde

    Ein Inhalationsgerät für erkältete Pferde.

    Wieder draußen enthüllt sich der Warenbasar der Veranstaltung, dazu die vielen bedrückten Gesichter der Händler*innen in Halle eins, die teils finster, teils gelangweilt, teils ängstlich dreinschauen – wenig kaufwilliges Publikum. Der erste Stand, bei dem ich Halt mache, präsentiert auf einem kleinen Monitor zu Dubstep-Musik Steigbügelhalter mit eingebauten LEDs. Die Händlerin erzählt mir vom veganen Reiterschuhsortiment, das zwar nur aus einem einzigen Stiefelettenexemplar besteht, dafür ist die Kork-Alternative nicht nur nachhaltig, sondern auch billiger und die Qualität sogar besser als die der gewöhnlichen Reitstiefel. Meine Produktsafari weitet sich also von allein aus. Hier einige der zum Angebot stehenden Verkaufsgegenstände: Halfter, Transen, Reitgerten, Sattel, Transportboxen, Weine, Großanlagen, Futter, Whirlpools für Menschen, nicht für Pferde – kein Scherz. Der Aussteller ist so gütig, mir Auskunft zu geben, dass so ein Whirlpool rund 20.000 Euro kostet. Sogar Autos kann mensch kaufen, dazu Minitraktoren und ganze Pferdetrucks. In einem Pavillon, in dem gerade ein Massagegerät inklusive Film vorgestellt wird, wird mir klar, dass das Thema Pferd hier mit einem fast heiligen Ernst behandelt wird, das Publikum wohnt dem Vortrag andächtig bei, eine Frau neben mir verzieht die Züge mit kritischem Ernst. Eine Reitgerte nehme ich mit, weil sie nur 10 Euro kostet. Der Verkäufer erklärt mir widerwillig: „Eigentlich machen wir das nicht.“ Ich habe also Glück, denn solche Beträge würden eigentlich nicht gehandelt. Hier scheint für alle gesorgt, aber für wenig Geld ist nichts zu haben.
    Zufrieden mit der Gerte in der Hand, sehe ich danach hinter einem Zaun, im Zuge der Preisverleihung des Hindernisreitens, mein erstes Pferd aus der Nähe. Es ist ein gefühlt zwei Meter großer, schnaubender Hengst auf dessen Körper sich das Adergeflecht wegen der vorangegangenen Anstrengung deutlich abzeichnet, während im Gehege weitere Pferde, unruhig von der Kür, von den Reitern beruhigt, umhertraben.

    Mehr eingeschüchtert als beeindruckt, begebe ich mich in Halle drei und entdecke dort die ersehnten Cowboys. Es ist eine Show mit live aufgeführter Countrymusik. Gezeigt wird Travers, eine Art seitlicher Gang des Pferdes, das das Thema Kommunikation zwischen Mensch und Pferd veranschaulichen soll. Was diese Pferde wohl gerade denken und fühlen? – Weil sie so harmlos aussehen, wirkt es, als hätten sie die Menschen liebgewonnen. Dazu schauen sie traurig drein, ihrem Naturell entsprechend mit fallenden Köpfen. Die Tiere wirken gleichgültig und schwerfällig in ihren gewaltigen Körpern. Es ist, als ob sie keinen Anteil an dem Geschehen ihrer eigenen Show nähmen. Nach einer Nummer in Begleitung von „These Boots Are Made For Walking“ von Nancy Sinatra – sicher das Highlight der Show – lerne ich die ersten Rassebegriffe kennen. Ich stehe Fjordpferden gegenüber, dann Islandpferden. Und dann habe ich die Esel gefunden – Ernüchterung: Drei Zwergesel, Bruno, Evi und Miss Little Sunshine stehen unbewegt auf wenigen Quadratmetern und sind mit Fressen beschäftigt. Auf dem Schild, das Namen und Qualitäten der Esel anführt, wird neben der Nutzung als Zugtier auch die Möglichkeit zur Nutzung zu Therapiezwecken angeführt. So ein Therapieesel, denke ich, das wäre nicht verkehrt. So ein Pferd zumindest – wie sie nebenan in den Boxen stehen – kostet, laut dem Schild, nur schlappe 2.500 Euro. Da ist die Ausstellung für mich eigentlich auch schon vorbei. Also noch einmal zurück zur Tribüne.
    Der Pferdezuchtverband stellt gerade einen preisgekrönten Schimmel namens Charles Darwin vor. Nach bestandener Kür ballert „Let‘s Get Loud“ von Jennifer Lopez aus den Boxen. Es ist Zeit für ein Resümee: Nach der umfangreichen Materialbesichtigung, frage ich mich, wer eigentlich mit einer derartigen Masse von Produkten versorgt werden soll. Laut eigenen Angaben zählte die Messe in diesem Jahr circa 77.000 Besucher und 230 Aussteller. Veranstalter waren die Messe Leipzig in Zusammenarbeit mit En Garde Marketing.
    Es scheint fast sicher, dass mensch angesichts dieses Gewusels, das Beste verpasst hat. Sicherheit habe ich hingegen in der Ansicht gewonnen, im Pferd einen langmütigen, kräftigen Halt und Partner finden zu können. Das Beste passiert eh immer erst, wenn die Lichter aus sind.

     

    Fotos: Jonas Pohler

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