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  • Unter der Erde, aus dem Sinn

    Unterirdische Pilznetzwerke werden oft übersehen, wenn es um das Thema Klimaschutz geht. Dabei werden von ihnen Aufgaben übernommen, die die Existenz des Waldes erst ermöglichen, wie wir ihn kennen.

    Die meisten denken bei dem Wort Pilz wahrscheinlich zuerst an ein leckeres Essen. Verständlich, denn so wird uns das Thema Pilze oft nahegebracht. „Der Pilz, als Speisepilz, das ist das Allerwichtigste in der Öffentlichkeit”, meint dazu auch Stefan Fischer. Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Mykologie bekommt er jedes Jahr hautnah mit, wie groß der Andrang bei Pilzsachverständigen während der Hauptpilzsammelzeit ist.  

    Oft tritt dabei in den Hintergrund, wie viel mehr eigentlich hinter dem Reich der Pilze steht. Ursache dafür könnte zum Beispiel sein, dass wir gar nicht wissen, was ein Pilz wirklich ist. Wer sich jetzt schon die ganze Zeit kleine schirmförmige Gebilde vorgestellt hat, die wie kleine Bäume aus dem Boden wachsen, sollte dieses Bild schnell wieder vergessen. Hauptsächlich kommen Pilze als riesiges unterirdisches Geflecht vor, auch Mycelium genannt. Sie machen dabei den Großteil der Masse des Bodens aus. “Man muss sich vorstellen, dass sich unter einem Hektar Boden ungefähr zehn Tonnen Pilzfäden befinden”, sagt Francois Buscot vom Department of Soil Ecology am UFZ Leipzig-Halle, dem Umweltforschungszentrum, welches sich mit diversen ökologischen Fragestellungen beschäftigt. Er meint damit allein das Trockengewicht. Weltweit erreichen die Pilzfäden der obersten 10 cm des Bodens eine Länge, die dem halben Durchmesser unserer Galaxy entspricht. Aber nicht nur im Boden, sondern auch in jedem anderen Habitat sind Pilze zu finden. Noch viel größer als ihr Vorkommen ist allerdings die Bedeutung von Pilzen im Ökosystem.  

    Stefan Fischer bei der Pilzsuche. Foto: Caroline Fischer

    Pilze sind wahrscheinlich die wichtigsten und engsten Verbündeten der Pflanzen. Nicht nur halfen sie ihnen vor vielen Millionen Jahren an Land zu ziehen, auch heute noch sind Pilznetzwerke wichtige Nährstofflieferanten für fast alle Landpflanzen. Möglich ist das mit Hilfe ständiger Verbindungen zwischen dem Pilzgeflecht und den Pflanzenwurzeln, auch das „wood wide web” genannt, durch das Mineralien, Nährstoffe aber auch Informationen ausgetauscht werden können. Im Alltag ist die Auswirkung dieser Verbindung gut sichtbar. Bäume könnten nie so groß werden, würden sie nicht eine Extraportion Nährstoffe von den Pilzen erhalten. 

    Natürlich ist die Größe der Bäume auch an eine gewisse Stabilität gebunden. Hätten Bäume denselben Aufbau wie Gräser, würden sie einfach abknicken. Damit das nicht passiert, sind einige chemische Stabilisatoren ins Gewebe des Baums eingebaut und bilden das, was wir als Holz kennen. Wenn der Baum stirbt und das Totholz abgebaut werden muss, weil es keine Funktion mehr hat, wird das von einem Pilz getan. Diese zersetzten Bestandteile bilden allerdings nicht den Humus, wie oft angenommen. Stattdessen besteht die fruchtbare Schicht im Boden ausschließlich aus abgestorbenen Pilzbestandteilen. Durch die Humusbildung sind die Pilze in der Lage, eine riesige Menge CO2 aus der Luft im Boden zu speichern. Das Co2 wurde dabei ursprünglich von den Pflanzen aufgenommen, da es als Kohlenstofflieferant für die Photosynthese dient. Wenn die Pflanze stirbt und von den Pilzen abgebaut wird, sorgen diese für einen Umbau des CO2 in eine Kohlenstoffspeicherform, die im Boden eingelagert werden kann. Dies hat eine große Bedeutung für die Klimaerwärmung.   

    Wenn es Pilze nicht mehr geben würde, würde das Chaos im Wald bedeuten. „Wir würden dann gar nicht in den Wald reinkommen“, schätzt Stefan Fischer. Durch das Fehlen eines Abbauprozesses und die Tatsache das ständig neue Biomasse generiert wird, würde es zu einer solchen Anhäufung an organischem Material kommen, dass das Begehen des Waldes unmöglich wäre. Francois Buscot geht sogar einen Schritt weiter: „Die Auswirkung wäre, dass der Wald nicht mehr leben würde”. 

    Wenn Pilze so entscheidend für unseren Wald sind, warum wird dann aber nicht mehr über sie gesprochen?  

    Das Hauptproblem liegt wohl darin, dass die Pilze im Verborgenen arbeiten. Im Boden bleiben sie meist so unbemerkt, dass selbst Wissenschaftler nur 5 Prozent der vorhandenen Arten kennen. So nennt man den Boden auch „den Regenwald vom armen Mann”, erklärt Francois Buscot.   

    Obwohl nur so wenige Arten bekannt sind, wird eins durch die Erforschung der Böden klar. Die Menschen sind dabei das Pilznetzwerk zu zerstören. Der Feind Nummer eins heißt dabei künstlicher Dünger. Dieser bringt auf unnatürliche Weise viele Nährstoffe auf einmal in den Boden und macht so jegliche Kollaboration zwischen Pilz und Pflanze unnötig. Die Pflanzen müssen auch an die Pilze Nährstoffabgaben machen. Francois Buscot vergleicht das mit einer Art Mehrwertsteuer: “(…) wenn sie einen Weg finden, keine Mehrwertsteuer zahlen zu müssen, machen sie das.” Und das trifft auch auf die Pflanzen zu. 

    Die Lösung wäre eine Revolution in der Landwirtschaft. Dabei ist keinesfalls die Rede von einer Verkleinerung. Stattdessen wäre es essentiell, auf neue Technologien wie Drohnen, Sensoren und leichte Maschinen umzusteigen, meint Buscot. Diese könnten Daten sammeln über die konkrete Situation auf den Feldern, wie zum Beispiel den Nährstoffgehalt und die Feuchtigkeit, und dem entsprechend Düngung, Bewässung etc. anpassen. Die Landwirtschaft sollte „sehr gezielt sein, um so gut wie möglich Platz für die natürlichen Prozesse zu lassen.”, sagt Francois Buscot dazu. 

    Wichtig ist aber, dass vor allem in der nahen Zukunft unser Verständnis von Klimaschutz nicht auf das begrenzt ist, was wir sehen, sondern auch das einschließt was im Verborgenen liegt. 

     

    Foto: Sylvie Herrmann

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