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  • Ein mörderisches Weihnachtsmahl

    Schon wieder ist es Weihnachten, die Zeit fliegt nur so vorbei und noch immer hat man kein Geschenk für seine Liebsten. Dieses Jahr ist mir aber eine rettende Idee gekommen... Obwohl?

    „Und hast du schon ein Geschenk für Papa?“, frage ich meinen Bruder auf Telegram. Er gibt mir zwei Tage keine Antwort und dann lese ich sowas wie „Eher nicht“. Die schlimmsten Befürchtungen treten ein: Es ist Weihnachten und mein Papa bekommt von seinen zwei geliebten Kindern schon wieder einen Korb mit Delikatesse-Senf und gut gereiftem Bergkäse. Das geht nicht. Nicht drei Jahre in Folge. Aber was schenkt man Personen, die einem viel bedeuten, die aber an sich schon alles haben?

    Sofort verfalle ich in eine Existenzkrise. Muss man sich immer was schenken? Nervige Weihnachtslieder und der penetrante Geschmack von Zimt in allem Essbaren ist für mich meistens schon Weihnachten genug. Alle Jahre wieder muss man sich auch noch bei der Schenkerei stressen. Nach zwei schlaflosen Nächten und vielen Folgen eines True-Crime-Podcasts kommt mir eine rettende Idee: Was ist mit einem Krimi-Dinner? Mein Vater versinkt regelmäßig auf YouTube in alten Schwarz-weiß-Krimis, da fällt ihm doch ein wenig Rätselspaß direkt zu.

    Nach kurzer Internetrecherche offenbaren sich schier endlose Möglichkeiten. Besonders attraktiv für ein Krimidinner mit meiner Familie erscheinen mir die historischen Krimigeschichten. Zu dem Anlass wird dann auch gerne mal in die Kleiderkiste der bereits verstorbenen Verwandten gegriffen. Im blauen Samtkleid meiner Oma beim Mord auf dem Nachtexpress nach Rotterdam an einem Glas trockenem Martini schlürfen – count me in. Also schnell zum nächsten Spieleladen gerannt und zack. Auf ein Foto von der Spielebox reagiert mein Bruder mit mäßiger Begeisterung. „Willst du das an Heiligabend spielen?“

    Kolumnistin Clara lächelt in die Kamera, auf dem Kopf trägt sie eine blaue Pudelmütze

    Ohren sind schon geschmückt, jetzt geht’s mit dem Baum weiter. Foto: privat

    Nach kurzem Nachdenken fällt der Groschen dann auch bei mir. Meine Eltern sind seit fast zwei Jahrzehnten glücklich voneinander geschieden. Obwohl wir es seitdem immer geschafft haben, das Weihnachtsfest zusammen zu verbringen, ist ein Krimidinner unter den ansonsten schon etwas angespannten Festlichkeiten wohl eine komplett „mörderische“ Idee. Ich höre schon das unangenehme Schweigen im Raum, wenn es um die Schuldfrage geht. Was jetzt? Denn es ist kurz vor knapp, wie immer mit den Geschenken. Und schon wieder liege ich wach im Bett und Szenarien des Krimidinners schlingern durch meinen Kopf. Dann sehe ich auf einmal unsere Familie am Tisch sitzen. Nach obligatorischer Kirche und Geschenke auspacken starren wir nun auf die Box der Pandora alias Mord im Nachtzug nach Rotterdam. Allein bei der Figurenverteilung könnte es spannend werden. Meine Mutter als mysteriöser und rätselhaft schweigsamer Kommissar Connor. Mein Bruder als Zugführer und Hauptverdächtiger, da er den Mord entdeckt hat. Mein Papa übernimmt die Rolle des klugen Historikers, der sein Wissen allerdings auch zur Täuschung nutzen kann.

    Und zu guter Letzt: Madame Glaçon. Eine alleinstehende reiche Witwe, die durch den Mangel an sozialen Kontakten bitter und gemein geworden ist. Dann wollen wir mal. Ich versuche, meinen durch das Weihnachtsessen schweren Körper aus dem Stuhl zu hieven, um die erste Karte zu ziehen. Ein Mord ist passiert! Wer hätte das gedacht. Der Fall gewinnt schnell an Brisanz, denn die Tote ist mein Dienstpersonal. Brutal wurde sie mit einem Messer abgestochen. Bei der detaillierten Beschreibung des Mordes kommt mir der Rotkohl langsam wieder hoch. Sofort gehen die Anschuldigungen los. Ich bin davon überzeugt, dass sich mein Bruder an meinen Juwelen vergreifen will, während meine Eltern sich, in ihre Rollen vertieft, gegenseitig auseinandernehmen.

    Einige Verdächtigungen später sitzen wir ratlos vor dem Spiel. Die Situation ist eingefahren, es geht auf Mitternacht zu und die Stimmung ist seit der dritten Hinweiskarte eher schlecht.

    „Was jetzt?“, fragt mein Bruder in die Runde. Die blutleeren Gesichter starren deprimiert auf die Schuldkarte. Dort klafft seit drei Stunden ein Loch, wo der Name des*der Möder*in eingetragen werden soll. „Meinetwegen können wir jetzt kniffeln“, sagt meine Mutter und zieht den Schnauzbart von der Oberlippe. Schweißgebadet erwache ich aus meinem Weihnachtstraum. „Ich hab jetzt ein Buch. Vielleicht könntest du dir ja noch einen Gutschein überlegen“, meldet sich mein Bruder und genau darauf wird es wohl auch wieder hinauslaufen.

     

    Foto: Pexels, Lucie Liz

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