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  • Ein Ungleichheitszeichen

    Auf der ersten Leipziger Kulturmesse „Leku“ wurde die Leipziger Kulturszene in all ihrer Vielfalt und Ungleichheit ausgestellt.

    „Ist Kultur gleich Kultur?“ Diese Frage stellt das Programm der ersten Leipziger Kulturmesse „Leku“, die am 26. November stattfand. Das Logo der Messe, ein Ungleichheitszeichen, scheint die Frage schon selbst zu beantworten. Von Eiskunstlauf bis Second-Hand-Baumarkt, von Nachtclub bis Literaturverlag: Unter dem Begriff „Kultur“ werden hier viele verschiedene kreative Ausdrucksformen zusammengefasst und vorgestellt.

    Wir kommen am Werk 2 an und betreten die Halle A, Leku-Stempel auf unseren Händen. Hier befinden sich die Messestände, an denen verschiedene Leipziger Kunst- und Kulturschaffende ihre Arbeit präsentieren. Zeitweise wird auf der Bühne Musik gespielt. Am hinteren Ende der Halle  ist das Vernetzungscafé aufgebaut, das Kulturschaffenden die Möglichkeit geben soll, untereinander Bekanntschaften zu schließen.

    Zwei Hauptthemen der Messe sind „Körperkultur“ und „Handwerk als Kulturgut“. Auch damit soll aufgezeigt werden, dass Kultur über die klassischen Bereiche wie Musik, bildende Kunst und Literatur hinausgeht.

    Ein Beispiel für Körperkultur ist die Tattookunst. Diese wird auf der Leku vertreten durch einen Stand des Feminist Art Tattoo (F.A.T.) Studio, in dem die Tattookünstlerinnen Fraudi und Frl Ka arbeiten. Ein feministisches Tattoostudio zu sein, das bedeute für sie, dass sie versuchen, einen Safer Space zu schaffen, erzählen sie. Es sei im Tattoo-Bereich, auch in Leipzig, öfter zu sexuellen Übergriffen beim Tätowieren gekommen; dem wollen sie sich entschieden entgegensetzen. Frl Ka betont die Wichtigkeit von Consent und Transparenz. Zwischen Tätowierer*in und tätowierter Person bestehe automatisch ein Machtgefälle. Im F.A.T. Studio sei ihnen wichtig, sich dessen bewusst zu sein, das Machtgefälle so weit wie möglich zu reduzieren und den Tattooprozess möglichst angenehm zu gestalten.

    Außerdem erklären die Tattookünstlerinnen, dass sie Menschen unabhängig von Geschlecht, Körperform, Hautfarbe und anderen Diskriminierungserfahrungen einen sicheren Raum bieten wollen. Das Normbild sei leider immer noch der schlanke weiße Körper. Auch in der Tattookunst herrscht also Ungleichheit.

    Am Stand von Warmaldeins werden Sticktechniken gelernt. Foto: Eliah Grooß

    Für mehr Gleichheit und Inklusion kämpft der „Zutun“-Verein Leipzig. Dieser setzt sich ein gegen Ableismus, also Diskriminierung aufgrund von körperlicher oder psychischer Behinderung. In der Kultur gebe es immer noch viele Barrieren, meint Lisa von Zutun in einem Instagram-Video der Leku. „Deswegen ist Kultur nicht gleich Kultur. Da muss noch was passieren.“

    Das Thema „Handwerk als Kulturgut“ ist vertreten durch einige lokale Handwerks-Künstler*innen. Einen besonderen Ansatz vertritt das Materialbuffet, das sich selbst als „gemeinnützigen Second-Hand-Baumarkt“ beschreibt. Dort werden gebrauchte Materialien wie Holz, Metall und Stoffe zur Wiederverwendung angeboten. Hauptsächlich kämen die Materialien aus der Kulturbranche, zum Beispiel von Theateraufführungen und Festivals, erklärt ein Vertreter am Messestand. Viel könne nach der Verwendung noch weiterverarbeitet werden.

    Gegenüber vom Stand des Materialbuffets findet sich ein ähnlicher Ansatz für die Mode: Der Laden „Warmaldeins“ ist ein Second-Hand-Laden, der ein Upcycling-Konzept verfolgt. Gebrauchte Kleidung und Stoffe werden neu verwertet und weiterverkauft. Außerdem werden dort Upcycling-Workshops wie Näh-, Stick- und Siebdruckkurse angeboten.

    Ein solcher Workshop findet auch auf der Messe statt. Auf einem Tisch am Stand von Warmaldeins liegen Stickrahmen, Schachteln mit Stickgarn und Stoffe mit vorgezeichneten Strichen. Eine der zwei Gründerinnen des Ladens sitzt mit Messebesucher*innen am Tisch und bringt ihnen Grundtechniken des Stickens bei.

    Bei Glory Nails werden mir die Nägel lackiert. Foto: Eliah Grooß

    Während meine Begleitung dort Nadel und Garn in die Hand nimmt und den Rückstich lernt, lasse ich mir nebenan beim Stand „Glory Nails“ meine Fingernägel lackieren. Dazu schiebe ich meine Hände durch ein Loch in einer Holzwand. Es ist eine interessante Erfahrung: Jemand nimmt meine Hand, lackiert mir die Fingernägel, pustet darauf, um den Lack zu trocknen; all das, ohne dass ich je das Gesicht dieser Person sehe. Am Ende habe ich Blumen, Schmetterlinge und Glitzer auf den Nägeln. Auch ein Beispiel für Körperkultur.

    Mehrere Stände auf der Messe beschäftigen sich mit Stadtkultur. Das „Ibug“ ist ein Festival für urbane Kunst wie Graffiti. Das Projekt „DDR Typenbauten“ von Florian Krieg und Martina Jany will die Qualitäten der DDR-Architektur aufzeigen und zur Wertschätzung der sogenannten Plattenbauten beitragen.

    Mehrmals ist mir auf der Messe aufgefallen, dass nur wenige der ausstellenden Kulturschaffenden ursprünglich aus Leipzig kommen. Selbst der Autor der DDR-Typenbauten ist aus Westdeutschland hergezogen. Einerseits bereichert der Zuzug anscheinend die Kulturlandschaft, doch andererseits werden damit ungleiche Verhältnisse in der Stadt verstärkt. Je mehr eine Stadt zur Szenestadt wird, desto weniger können ursprüngliche Bewohner*innen sich leisten, weiterhin dort zu wohnen. Diesen Vorgang dokumentiert die Fotografie von Adrian F. Schade, insbesondere der Fotoband „Szeneviertel“, der ebenfalls auf der Leku ausgestellt ist. Darin wird die Gentrifizierung Leipzigs eindrücklich dokumentiert.

    Bei einer Podiumsdiskussion zwischen verschiedenen Vertreter*innen von Kulturkollektiven und -organisationen geht es um Organisationsformen in der Kollektivarbeit. Immer wieder wird betont, dass Kulturarbeit in den meisten Fällen viel Ehrenamt und unentgeltliche Arbeit beinhaltet. Mark Wohlrabe vom Bundesverband der Musikspielstätten „Livekomm“ fasst es in einem Satz zusammen: „Entweder glaubt man daran, oder man sucht sich einen anderen Beruf.“

    Zuletzt spreche ich noch mit den Besitzer*innen der Verlage „Akono“ und „Edition Hamouda“. Bereitwillig erzählen die beiden mir von ihrer Arbeit. Sowohl Akono als auch Edition Hamouda sind Kleinstverlage, also von nur einer Person betrieben. Akono, ein Verlag für zeitgenössische afrikanische Literaturen, wurde von Jona Elisa Krützfeld gegründet. Edition Hamouda gehört Fayçal Hamouda und beschreibt sich als Verlag für Kulturdialog.

    Beide Verleger*innen haben sich das Verlagswesen selbst beigebracht, aus Liebe zur Literatur und um Bücher zu produzieren, die in den großen Verlagen in Deutschland keine Repräsentation finden. Als sie mir sagen, dass sie beide mit den Verlagen kein Geld verdienen, sondern nebenbei andere Berufe haben, bin ich doch überrascht. Wird denn niemand in der Literatur bezahlt?

    Die großen, bekannten Verlage verdienen Geld, meint Krützfeld, ebenso einige wenige Autor*innen, die durch ihren Erfolg sogar Millionär*innen geworden sind. Doch die Mehrzahl der unabhängigen Verlage sowie Autor*innen machen keinen oder wenig Gewinn.

    Diese Ungleichheit zieht sich durch die ganze Kulturlandschaft. An vielen Stellen auf der Messe wird sie immer wieder thematisiert oder beiläufig angesprochen: die (Un-)Möglichkeit, für seine Arbeit ausreichend bezahlt zu werden. Einige wenige Kulturschaffende sind erfolgreich genug, um mit ihrer Arbeit reich zu werden. Manche verdienen genug Geld damit, um wenigstens davon leben zu können. Doch ein Großteil der Künstler*innen und Kulturschaffenden, vor allem in der freien Szene, kann ihr Leben nicht oder nur schwer von dieser Arbeit finanzieren.

    Wer den Erfolg hat, darüber entscheiden nicht nur Können und natürlich Glück, sondern auch gegebene Privilegien. Wem wird der Raum gegeben, wessen Arbeit wird wertgeschätzt, und vor allem: Wer kann es sich leisten, trotz fehlender Bezahlung künstlerisch zu arbeiten? Wie können wir für mehr Gleichberechtigung und faire Behandlung in der Kultur sorgen? Mit diesen Fragen verlasse ich die Leku. Dort habe ich vielfältige Vertreter*innen der Leipziger Kulturszene kennengelernt sowie viele Menschen und Projekte, die sich für Gleichheit einsetzen. Ob das reicht, oder ob das Problem grundlegender ist? Vielleicht wird die nächste Leipziger Kulturmesse es zeigen.

     

    Foto: Leku

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