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  • Das Ende des Alphabets

    Kolumnistin Naomi arbeitet sich an der Identitätskategorie „Generation“ ab, ergründet ihren inneren Widerstand dagegen und findet doch aus ihrem Dilemma nicht heraus.

    Ungefähr alle zwei Monate google ich „generationen merkmale“ oder so etwas in der Art und versinke dann für ein paar Stunden in küchenpsychologischen Artikeln (auf die Seiten der Karriereratgeber klicke ich schon gar nicht mehr) oder dem nächsten Wikihole. Nur um bei der nächsten Diskussion zu dem Thema wieder das Gefühl zu haben, nicht wirklich zu wissen, wovon alle da gerade sprechen. Keine Ahnung, warum ich mir das nicht merken kann, ansonsten funktioniert mein Gedächtnis eigentlich ziemlich gut. Aber die Bilder von dem, was ein Millennial, ein Boomer, oder ein Mitglied der „Generation Golf“ sein soll, entlaufen mir immer wieder, so als wollte ich Nebel in einem Glas einfangen. 

    Beschreibungen von Generationen klingen für mich meistens nach Horoskop. Natürlich findet man sich darin wieder, weil sie so allgemein gehalten sind und gleichzeitig so vielfältige Themen aufgreifen, dass jeder irgendeinen Satz herauspicken kann, der genau zum eigenen Selbstbild passt. Dazu noch ein bisschen selektive Wahrnehmung als Salz in der gesellschaftlichen Suppe und schon bewegen wir uns als abgeschlossene Kompartimente verschiedener Geburtenjahrgänge durch die Welt. 

    Kolumnistin Naomi sitzt auf einem Vorsprung in einer silber-schwarz angesprühten Hauswand. Sie hält die Hand unter eine an der Wand hängende bunte Fliese, auf der steht: „Jemand denkt an dich“.

    Kolumnistin Naomi dachte früher immer, sie wäre ein Millennial, weil sie im Jahr 2000 geboren ist. Foto: Sanja Steinwand

    Generation Z sei von Gegensätzen geprägt, lese ich. Ist nicht jeder Mensch von Gegensätzen geprägt? Sind wir nicht alle immer beides, suchen ständig die Balance zwischen zwei Polen, Balance nicht als arithmetische Mitte, sondern als sanftes Pendeln um den individuellen Gleichgewichtspunkt? Ist das nicht das Leben selbst, dieses Suchen und immer nur zeitweise Finden? Warum ist das Ändern der eigenen Meinung in unserer Kultur so oft mit Schwäche belegt? Was ist das für ein Anspruch, ohne inneren Widerspruch zu sein? Mein Lieblingswort in letzter Zeit: Ambiguitätstoleranz. 

    Wenn es auf WG-Partys um Generationen geht, zucke ich entweder die Schultern und ziehe mich in meine Stille, meine geliebte, komfortable Beobachterposition zurück, oder ich wehre mich sofort gegen Bilder, Kategorien und Zuschreibungen, mit einer Vehemenz, die ich sonst selten aufbringe.  

    Natürlich entspreche ich in vielem dem typischen Bild meiner Generation. In vielem auch nicht. Vielleicht tue ich es weniger als der Durchschnitt oder die Mehrheit. Zumindest sagen mir manchmal Menschen, ich sei nicht gerade das typische Z. Ab und zu wurde ich auch schon als „alte Seele“ bezeichnet. Und natürlich bin ich trotzdem Kind meiner Zeit. Aber auch das ist einer meiner Widerstandspunkte: Wie viel ist Generations- und wie viel ist Zeitgeist, und ist das überhaupt zu trennen? 

    Natürlich weiß ich auch, dass beim Sprechen darüber den allermeisten zumindest vage bewusst ist, dass die Realität komplexer ist. Und dass wir der Einfachheit halber eben trotzdem so sprechen, als wäre es nicht so, weil man sonst jedes Argument mit einer unendlich langen, verschachtelten Nebenbemerkung versehen müsste und nie irgendwo ankäme. Dass der Mensch sich schon immer Kategorien gebaut hat und bauen muss, weil es sonst unmöglich wäre, sich auch nur einen Millimeter durch diese hyperkomplexe Welt zu bewegen. Dass genau dieses Kategorienbauen das Wesen der Sprache ist, jeder noch so einfache Begriff ist schon ein Schritt Abstraktion von der Wirklichkeit. Warum also laufe ich ausgerechnet gegen diese Kategorie Sturm, viel mehr als gegen andere? 

    Weil ich wirklich so empfinde? Oder nur, um anderer Meinung zu sein als die anderen? Ist das überhaupt zu trennen? Da ist es wieder, das angeblich so z-ige Streben nach Individualität. Und wenn ich sage, das ist doch wie mit den Geschlechtern: Die Unterschiede innerhalb der Gruppen sind viel größer als die zwischen den Gruppen, und tausend Gegenbeispiele nenne (mein Lieblingswort habe ich übrigens von einem Millennial gelernt!), erfülle ich dann nicht doch wieder das Bild, dass „wir Zs“ Grenzen als fiktional ansehen? Ist das Bild der Generation, der ich rein rechnerisch angehöre, ausgerechnet so, dass, egal ob ich ihm Widerstand entgegensetze oder nicht, man mich immer wieder darauf zurück projizieren kann? Dass ich mich mit allem Dagegen-Anschreiben nur noch tiefer in seine Erfüllung verstricke? 

    Ich ertrinke wie ein Staubkorn in frisch dick auf die Leinwand aufgetragener Ölfarbe. Die Maler sind wir. 

    Foto: Pixabay

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