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  • Eine kulinarische Revolution

    „Délicieux“ (Deutscher Titel: Á la carte- Freiheit geht durch den Magen) ist ein Gourmet-Streifen von Eric Besnard mit guten Ideen, dessen Urteil am Ende jedoch ernüchternd ausfällt.

    Wir schreiben das Jahr 1789, ein Schicksalsjahr für Europa. In Frankreich beginnt im Mai dieses Jahres eine Revolution, die den ganzen Kontinent verändern wird. Die Ereignisse in „Délicieux“ spielen kurz vor dem Sturm auf die Bastille und somit kurz vor dem Beginn der französischen Revolution. Pierre Manceron (Grégory Gadebois) ist ein begnadeter Koch am Hofe des Herzogs von Chamfort (Benjamin Lavernhe). Um seinen Gebieter und dessen Gäste zu unterhalten, zaubert Pierre die unvorstellbarsten Gerichte. Egal ob Schwanen-Ragout oder gebackene Tauben, am Hofe des Herzogs ist das Beste und Dekadenteste gerade gut genug. Für seine Kochkunst wird Pierre hochgeschätzt, auch von dem sonst überheblichen Herzog von Chamfort. Er genießt einen guten Ruf und ist auch über die Grenzen des Herzogtums hinaus für seine Begabung bekannt. Sein größter Traum ist es, am Hofe des Königs, also in Versailles, zu kochen. Dieser Traum scheint auch zum Greifen nah, denn sein Herzog baut immer bessere Beziehungen zu anderen Adeligen auf, die sich oft am Hofe des Königs aufhalten. Geht der Herzog nach Versailles, kommt sein Koch natürlich mit.

    Pierre steht vor der Tafel des Herzogs. Hier verspeist der Herzog mit seinen adeligen Gästen die Gerichte, die Pierre ihnen zubereitet.

    Während die einfache Bevölkerung Frankreichs hungert, schlagen sich die Hochwohlgeborenen in ihren Schlössern die Bäuche voll. Dabei zählen sie nicht zuletzt auf die Kochkunst von Pierre.

    Seine Hoffnungen finden jedoch ein jähes Ende, als Pierre seinem Herzog und dessen Gästen eine eigene Kreation serviert. Dabei hat der Herzog doch ausdrücklich darauf hingewiesen: Nichts Neues und keine Experimente.  Als ob das noch nicht genug ist, verwendetet Pierre auch noch eine Zutat, die eigentlich mit Bauern in Verbindung gebracht wird. Die Kartoffel. Unerhört, einem Adeligen solch Widerwärtigkeit zu servieren, meint einer der Gäste und schmeißt ihm das sogenannte „Délicieux“ vor die Füße. Da Pierre sich weigert, sich zu entschuldigen, denn er wisse nicht wofür, muss er den Hof verlassen und kehrt zu seinem alten Gehöft zurück.

    Eben jenes ist über die Jahre stark verfallen und da das Volk hungert, wurde es geplündert. Pierre macht sich also daran, den Hof gemeinsam mit seinem Sohn Benjamin (Lorenzo Lefébvre) und einem alten Freund wieder in Schuss zu bringen. Dabei taucht eines Tages eine geheimnisvolle Frau, Louise (Isabelle Carré), auf, die unbedingt bei Pierre das Kochen lernen möchte. Für die Aufnahme als Auszubildende bietet sie ihm sogar Geld an. Nach anfänglichem Zögern stimmt Pierre der Abmachung zu und nimmt das Geld, immerhin kann er es gut gebrauchen.

    Je länger die mysteriöse Louise jedoch auf dem Bauernhof ist, desto mehr Fragen stellen sich ihm. Da wäre zum Beispiel ihre Vergangenheit. Zwar behauptet sie jahrelang als Marmeladenköchin gearbeitet zu haben, doch ihre Hände zeigen keinerlei Anzeichen von Arbeit auf. Und warum möchte eine gut gekleidete Frau von zarter Natur auf einem schäbigen Bauernhof zwischen Bouillon und Brot das Kochen lernen? Auch dem Zuschauer wird schnell klar: Diese Frau hat etwas zu verheimlichen.

    Trotzdem entsteht aus den beiden ein gutes Team und gemeinsam gründen sie, fast unbewusst, das erste Restaurant Frankreichs. Ein Ort, an dem es für jeden etwas gibt, egal ob Bauer, Bourgeoisie oder Adel. Pierre versteht das Verzehren von Mahlzeiten als etwas Soziales, eine Kunst, die niemanden vorenthalten werden dürfe. Hier zieht der Film Parallelen zum historischen Kontext, in dem er spielt, thematisiert die hungernde, unzufriedene Bevölkerung und den Adel, der in seinen Schlössern bei großen Festen und Banketts dem Müßiggang nachgeht. Besonders Pierres Sohn Benjamin ist Feuer und Flamme für revolutionäre Gedanken. An dieser Stelle offenbart der Film sein Potenzial, das jedoch ungenutzt bleibt.

    Pierre steht in der Küche des Anwesend seines Herzogs. Im Hintergrund erledigen seine Gehilfen die von ihm verteilten Aufgaben. Vor ihm steht ein Kammerdiener des Herzogs, der ihm die Wünsche seines Gebieters überbringt und eine deutliche Warnung ausspricht: „Keine selbstständigen Änderungen, keine Überraschungen.“

    In der Küche hat Pierre das Ruder fest im Griff. Alles hört auf sein Kommando. Die Wünsche des Herzogs werden dabei direkt von dessen Dienern an ihn herangetragen.

    Je länger der Film geht, desto blumiger wird er. Zwar ist es schön anzusehen, wie Pierre und Louise die zauberhaftesten Mahlzeiten zubereiten, doch für zwei Stunden reicht „Essen“ als Thema einfach nicht aus. Es muss immer noch einen Aufhänger geben, eine zweite Geschichte, die zwar Verbindungen zum eigentlichen Thema „Essen“ hat, jedoch ihre eigene Dynamik entwickelt. „Delicatessen“ (Jean-Pierre Jeunet, 1991) hat schon vor 22 Jahren vorgemacht, wie man das Thema Kochen und Essen mit einer spannenden Geschichte verbindet.

    Zwar wird es auch immer wieder gesellschaftskritisch, beispielsweise wenn sich ein Angestellter des Herzogs darüber echauffiert, dass eine Frau das Kochen lernen möchte (kochen war damals Männersache). Trotzdem reicht das leider nicht aus, um einen Film auf eine Länge von zwei Stunden zu strecken. Die Bilder sind zwar schön und allein die Gerichte, die ja wirklich zubereitet wurden, sind allemal einen Blick wert. Leider driftet der Film gegen Ende doch zu sehr in Richtung Kitsch, baut hier und da noch ein paar tragische Momente ein, die einfach zu sehr „geskriptet“wirken, um ihnen Glauben zu schenken.

    Am Ende ist man dann doch irgendwie froh, jetzt endlich erlöst zu sein. Für Besucher mit einer Leidenschaft fürs Kochen kann der Film bestimmt sehenswert sein. Für mich ist „Délicieux“ am Ende ein Film, der nicht lange in meinem Gedächtnis bleiben wird. Irgendwann sehe ich ihn wahrscheinlich in der Netflix-Mediathek und werde meinen Freunden und Bekannten sagen, dass sie sich den Film schonmal anschauen können, an einem Freitagabend vielleicht, wenn man mal wieder nichts Besseres geplant hat. Großes Kino sieht aber anders aus.

    Fotos: Neue Visionen Filmverleih

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