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  • Tinder Gold ist auch keine Lösung

    Thema in unserer Dezemberausgabe war modernes Dating. luhze-Redakteur Janes Behr ging in den Selbstversuch: Macht der Algorithmus sein Dating-Leben einfacher?

    Meine Eltern haben sich bei einem Verkehrsunfall kennengelernt. Das Verletzungsrisiko gehe ich nicht ein. Ich tindere jetzt. Schon beim Registrieren stoße ich an meine Grenzen. Ich weiß nicht, welche Fotos für mein Profil taugen. Auf dem einen gucke ich zu nett, auf dem anderen nicht nett genug. Ich kann mich nicht entscheiden. Es dauert geschlagene 30 Minuten, bis ich einigermaßen zufrieden bin. Doch was schreibe ich in meine Bio? Auf welche fünf Interessen degradiere ich mich herunter? Schnell noch Instagram und Spotify verbunden und schon stehe ich im Speed-Dating-Raum des 21. Jahrhunderts. Tinder ist ziemlich simpel. Gefällt mir ein Profil, kann ich nach rechts swipen. Macht die Person das auch, entsteht ein Match und man kann sich schreiben. Bei den ersten Profilen schaue ich noch genau hin. Ein paar später sortiert mein Gehirn schon schneller aus. Like ich das Aussehen oder die Interessen? Nach weiteren fünf Profilen wische ich nur noch mechanisch über den Bildschirm.

    Erste Matches fliegen rein. Bei vielen kann ich mich an meinen Swipe nicht erinnern. Egal, das Bestätigungsgefühl ist da. Wie schreibe ich Personen auf Tinder an? Witzig und flirty sein – das ist ohne Ausdruck in der Stimme und Körpersprache schwierig. Wer schreibt bei einem langweiligen „hey“ schon zurück? Gelesen und nicht geantwortet kommt trotzdem häufiger vor als mein Ego verkraftet. Oft habe ich auch das Gefühl, sie sind gar nicht interessiert. Viel werde ich geghostet. Ich bin enttäuscht, ich hatte mir das schöner vorgestellt. Und irgendwie auch einfacher. Aus Frustration werde ich selbst zum Ghoster und verschwinde lieber im Swipe-Modus des Tinderdschungels. Bet­runken im Bett macht es mehr Spaß, nach Matches zu jagen, als wirkliche Dates zu vereinbaren. Schließlich führt ein gemeinsamer Musikgeschmack zu einem Treffen im Park. Ein weiteres Date lade ich auf ein Bier am Späti ein.
    Über Oberflächlichkeiten kom­­­­­­men diese Treffen nicht hinaus, da hilft auch das Bier nicht. Ich weiß zwar, was meine Gegen­über in ihrer Freizeit so treiben, doch es ist schwierig, in zwei Stunden die komplette Weltan­schau­ung einer Person nachzu­vollziehen. Das muss es auch nicht, aber dennoch fehlt mir die Spontanität. Stattdessen gehe ich allein nachhause. Das After-Date-Feeling bleibt aus. Ich war nicht ich selbst, sondern mein Profil. Zumindest habe ich es versucht. Im Endeffekt war ich aber nur zwanghaft lustig und angespannt. Hoffentlich muss ich mich nie selbst daten. Ist die ganze Vorarbeit, die Gedanken und Hoffnungen, diesen Ausgang wert?

    Ich fühle mich durchgehend zur Schau gestellt. Gefall ich dir? Nein? Ok gut, es gibt tausend andere Swipes nach rechts. Du gefällst mir übrigens auch nicht, oder doch? Ich fühle mich von meinen Bedürfnissen und meinem Liebesleben distan­zierter als vor der Nutzung von Tinder. Während ich beim Swipen mit dem Gedanken spiele, die App zu löschen, bekomme ich Tinder Gold vorgeschlagen.

    Vielleicht probiere ich es mal damit. Wie verlockend, alle zu sehen, die mich geliked haben und so viel Swipen wie ich möchte. Da müsste ich doch ganz einfach mein perfektes Match finden. Doch bin ich mal ehrlich, würde ich das Handy je wieder aus der Hand legen?

    Foto: Janes Behr

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