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  • Die rote Pille

    Facebook wird Meta, das Netz rastet aus. Doch statt auf Skandale sollten wir uns lieber darauf fokussieren, was dieser revolutionäre Vorstoß für unsere Gesellschaft bedeutet, findet Kolumnist Dennis.

    Viele von uns hatten irgendwann vor 10 Jahren ein gedenkwürdiges Erlebnis in Form der Anmeldung bei Facebook, das unsere online wie offline Existenz nachhaltig zum Positiven, wie Negativen verändert hat. Bei mir war es „erst“ im Sommer 2011, da ich in meiner Klasse zu einer Minderheit gehört habe, die sich aus einer traditionellen Antihaltung heraus lange gegen eine Anmeldung gesperrt hatten. Schlussendlich war der Grund – wie kann es anders sein – ein Mädel aus einer anderen Klasse. Der Klassiker.

    Doch Facebook änderte mein Handeln und auch Denken nachhaltig. Zunächst mal war da plötzlich wieder Kontakt zu Leuten, die ich schon zwei bis drei Jahre nicht mehr im Blick hatte – für die damalige Pre-Social-Media Zeit eine gefühlte Ewigkeit.

    Auch konnte ich rund um die Uhr sehen, was meine Kontakte gerade tun oder denken. Für jemanden wie mich, der vorher nur mal bei einem rudimentären Lokal-Social Media angemeldet war und sonst nur ICQ nutzte, war das schon großes Kino und eine völlig neue Erfahrung von Öffentlichkeit. Leider, möchte man heute sagen, denn damit begannen auch die Probleme. Zu viel Zeit verbrachte ich ohne nennenswerten Mehrwert, konsumierte unnötigen Quatsch und fing an, mich mit anderen zu vergleichen, die gerade ein Foto gepostet haben, auf dem sie augenscheinlich den Fun ihres Lebens haben – plötzlich waren alle erfolgreicher und cooler als man selbst.

    Heute, 10 Jahre später, sieht die Lage anderes aus. Facebook ist abseits von spezifischen Interessengruppen ein postapokalyptisches Boomer-Ödland, in denen sich Menschen über 40 ob ihrer politischen Ideologien fetzen, während die Jüngere längst zu Instagram, Snapchat oder Tiktok ausgerissen sind und in meinem Alltag ist Social-Media nur noch eine Fußnote.

    Doch das Unternehmen Facebook war clever genug, dieses Trends frühzeitig Herr zu werden und hat insbesondere mit Instagram und Whatsapp auf das richtige Pferd im Einkaufswagen gesetzt. In der breiten Öffentlichkeit untergegangen ist dabei, dass Facebook im vergangenen Jahr auch den VR-Brillen Hersteller Oculus VR aufgekauft hat, was in der Gaming-Szene durchaus mit Skepsis zur Kenntnis genommen wurde. Seit einem Monat wissen wir nun warum – Facebook wird Meta und VR-Brillen die Eintrittskarte! In den Medien herrschte zunächst Neugier über das Konzept dahinter und die Präsentation ging durch alle Medien – ein Avatar von Mark – wie putzig. Kritische Berichterstattung gab es in dem Zusammenhang allenfalls darüber, dass Facebook damit ja nur die schlechte Presse der letzten Monate wegen den um sich greifenden Hassvergehen oder Microtargeting auf der Plattform, kaschieren wollte. Zudem sei die Posse ja lediglich ein Manöver, um einer drohenden Zerschlagung in den USA zu umgehen. Kann auch alles sein, aber das ist im Zweifel eine Frage für die Justiz.

    Zwei Jahre bevor ich mich bei Facebook angemeldet habe, schaute ich zum ersten Mal den Film Matrix, der auf der Platon’schen Höhlentheorie basiert und daraus eine düstere Cyberpunkdystopie spinnt. Der Plot: In einer nicht allzu fernen Zukunft hat eine KI die Herrschaft über die Menschen übernommen und nutzt diese nur noch als Energieressource. Gleichzeitig sind diese mit einem Neuronallink an die Matrix angeschlossen, die ihnen in ihrem Kopf ein Programm simuliert, dass sie als die Realität wahrnehmen. Okay, ich weiß, was ihr jetzt denkt und nein, das wird vermutlich nicht passieren, zumindest nicht in dieser Form. Doch es gibt noch einen anderen Film: Ready Player One. Darin wird ebenfalls ein dystopisches Szenario beschrieben, in dem eine Realitätsflucht mittels VR-Brillen stattfindet, um in einem virtuellen Metaraum an Videospielwettkämpfen teilzunehmen, um damit hohe Prämien zu kassieren.

    Ich schätze, mit diesem fiktiven Szenario hat der Film ganz gut die Richtung getroffen, in die sich das Meta-Projekt bewegen wird. Im Gegensatz zur Plattform Facebook wird das Metaverse zwar unter der Schirmherrschaft von Meta stehen, aber auch andere Unternehmen könnten partizipieren und Inhalte herstellen. Wir als Konsumenten werden dann in diesem Raum mit einem Lobbysystem an verschiedene virtuelle Orte reisen können, um dort zu zocken, mit Freunden zu chillen, uns mit Gleichgesinnten auszutauschen oder an Wettkämpfen, um virtuelles Geld teilzunehmen. Verrücktes Zeug halt, was bisher mit krummen Rücken vor dem Bildschirm zwar schon möglich, aber wesentlich weniger immersiv ist.

    Und natürlich müssen wir dafür zahlen, denn wenn ein virtueller Raum geschaffen wird, in dem wir ein intensives Erlebnis haben können, werden wir auch schnell bereit sein, viel Echtgeld zu investieren. Vielleicht erinnert ihr euch noch, als euch eure Freunde früher auf Facebook immer mit Klickanfragen belästigten, um virtuelles Nutzvieh zu erwerben. Wenn dieses nun 3D vor uns steht, sitzt die Geldbörse zum einen gleich viel lockerer und auch der Free-to-Play Boom zeigt, dass Menschen auch bereit sind, viel Geld auf Games zu werfen, nachdem sie erstmal mit kostenloses Inhalten angefüttert wurden. Schon jetzt ist das Generieren von virtuellen Gütern neben der aktiven Programmierarbeit ein lukrativer Wirtschaftszweig. Sein es Clickfarmen in Asien, welche die Social-Media Plattform mit Fake-Zugriffen an Reichweite ausstatten oder Leute, die gegen Geld Online-Gamingaccounts hochleveln um sie dann für lächerliche Preise an Gamer weiter zu verkaufen.

    Der größte Move ist aber, das Metaverse wird der Endgegner des Materialismus sein. Denn dir wird dann kein überflüssiger Kram mehr in der Kohlenstoffwelt angedreht, sondern im Metaverse, während du mit Datenbrille in einer leeren Einzimmerwohnung sitzt. Und wenn du nicht mit machst, bist du quasi der Außenseiter, wie früher, wenn du dich nicht bei Facebook angemeldet hast, etwa wenn deine Freunde auf einer virtuellen Yacht abhängen, du aber nicht teilnehmen kannst, weil du kein Zugangsabo für 9,99 Euro im Monat erworben hast – schade. Gerade Corona und der damit einhergehende Rückzug ins Private in Verbindung mit Konsumverzicht durch den Klimawandel ist das für eine VR-Welt die absolute Boosterimpfung!

    Übrigens, diese Entwicklung ist nicht überraschend und hat auch nix mit den jüngsten Skandalen zu tun, denn die Idee des Metaverse liegt bei Facebook schon länger auf dem Tisch. So hatte das Unternehmen Oculus bereits bei einer Präsentation im Jahr 2018 den Rahmen für das Projekt gesetzt. Dabei soll auch der folgende Satz gefallen sein, den ich hier mal unkommentiert stehen lasse: „Wenn uns das Metaverse, was wir bauen, nicht zu Tode erschrickt, ist es nicht das Metaverse was wir bauen sollten“.

    Das hier an einem neuen Internet gebaut wird, sollte uns spätestens jetzt klar sein und auch das sich die Welt dadurch potentiell nachhaltig verändern könnte, wie seit der ersten industriellen Revolution nicht mehr, auch. Aber ich glaube nicht, dass wir uns damit in eine neue Folge Black Mirror begeben und wenn wir ehrlich sind – wir haben bereits permanent ein Gerät dabei, das unsere Zeit, Aufmerksamkeit und Energie frisst und mit dem uns andere um Geld erleichtern oder ausspähen können. Aber wir sollten uns neben dem Potential auch die Gefahren bewusst machen und das Projekt kritisch begleiten oder um es mit Morpheus zu sagen – danke das du dich für die rote Pille entschieden hast, Neo.

    Foto: Pixabay

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