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    Vor 150 Jahren wurde Karl Liebknecht in Leipzig geboren. Das Stadtgeschichtliche Museum widmet dem Linksrevolutionär deshalb eine Ausstellung und fragt, ob wir wieder mehr Erinnerungsorte brauchen.

    Als Karl Liebknecht im August 1871 in der Braustraße 15 geboren wurde, war das Deutsche Kaiserreich gerade erst gegründet worden und die heute nach ihm benannte Magistrale in der Südvorstadt hieß noch Zeitzer Straße. Knapp 50 Jahre später sollte Karl Liebknecht in Berlin die „freie sozialistische Republik“ ausrufen und so seinen Beitrag zum Ende des Kaiserreichs leisten. Über 70 Jahre später wird die an die Braustraße grenzende Karl-Liebknecht-Straße seinen Namen erhalten und zu seinem 150. Geburtstag zeigt das Stadtgeschichtliche Museum für den Leipziger eine biographische Ausstellung.

    „Held oder Hassfigur“, so der schmissige Titel, spielt an auf die bewegte Geschichte des sozialistischen Politikers und seiner Nachwirkung, die ihren Anfang in Leipzig nahm. Die Stadt wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der Arbeiter*innenbewegung. Bereits sein Vater Wilhelm wurde als Parteiführer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei politisch verfolgt und verbrachte deswegen Teile von Karls Jugend zuerst in Haft und später vor den Toren Leipzigs. In Borsdorf fand er Asyl, nachdem er im Zuge der Sozialistengesetze aus Leipzig ausgewiesen worden war. Karls Taufpaten waren Karl Marx und Friedrich Engels. Seine politische Sozialisation innerhalb der sozialdemokratischen Intelligenzija, die in seinem Elternhaus ein und aus ging, prägte seinen Lebensweg. Nach der Aufhebung der Sozialistengesetze zog die Familie Liebknecht nach Berlin, Karl setzte dort sein Jurastudium fort, das er noch in Leipzig begonnen hatte. 20 Jahre nach seiner Geburt endet also auch das Kapitel Leipzig in Karls Biografie. Für die Ausstellung soll der „Leipziger Liebknecht“ aber dennoch als roter Faden dienen. Der Bogen wird weit gespannt, von den Anfängen der Leipziger Arbeiter*innenbewegung bis zum Liebknechtkult in der DDR. Aus der lokalen Perspektive erscheinen seine Jugend und die staatssozialistische Erinnerung an ihn lange nach seinem Tod am präsentesten. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Schau etwas sprunghaft wirkt, sein politisches Wirken als Antimilitarist, sein Kampf mit Rosa Luxemburg für eine sozialistische Revolution bis hin zu seiner Ermordung durch rechte Freikorps werden dafür nur angerissen.

    Die Ausstellung befindet sich im „Studio“ des Museums, man könnte auch sagen: im Keller. Auf kleinem Raum werden die 150 Jahre Karl Liebknecht dicht erzählt, ohne zu überfordern. Die wichtigsten Etappen werden durch viele Karikaturen und schöne Details plastisch dargestellt. Liebknechts Leiche wurde nach seiner Ermordung in den Berliner Landwehrkanal geworfen, seine Brille ist aber in der Ausstellung zu sehen. Genauso sein Gehrock und seine Weste. Beides kommt aus den Händen seiner Enkelin. Diese hatte die Kleidungsstücke in der Moskauer Wohnung von Liebknechts Witwe hinter einer Wand versteckt gefunden. Liebknechts Familie war 1934 ins sowjetische Exil geflohen, hatte die Erinnerungsstücke aufgrund der Verbannung im Zuge stalinistischer Säuberungen aber zurücklassen müssen.

    Natürlich gehört zum „Leipziger Liebknecht“ auch der Staatsheld Liebknecht. Die SED machte ihn zum Mittelpunkt eines Kults, in dem Rosa Luxemburg, wohl auch aufgrund ihres Geschlechts, nur eine Nebenrolle zukam. Dass ausgerechnet die DDR-weiten Trauermärsche am 70. Jahrestag der Ermordung des Revolutionärs 1989 als Bühne für die ersten öffentlichkeitswirksamen Aktionen von Leipziger Bürgerrechtler*innen dienten, ist mehr als eine Ironie der Geschichte. Mit der Friedlichen Revolution verschwand das Gedenken an Liebknecht aus der breiten Öffentlichkeit. Heute erinnern in Leipzig nur noch die gleichnamige Kneipenstraße und eine Gedenkstätte in seinem nahe gelegenen Geburtshaus an ihn. Die Straße wurde bekannter, die Person dahinter verblasste. Die Ausstellung richtet nun wieder ein Schlaglicht auf den Leipziger, geht dabei aber sehr vorsichtig mit dem bis heute umstrittenen Politiker um. Sie stellt vielmehr die Frage, ob wir heute wieder mehr an ihn erinnern sollten. Besucher*innen können zum Schluss ihre Meinung dazu hinterlassen. Wer dazu auch nach dem Besuch noch keine abschließende Position gefunden hat, findet sie vielleicht bei einem Spaziergang auf der Karli.

    Aufgrund der pandemischen Lage in Sachsen bleibt das Stadtgeschichtliche Museum vorerst bis zum 9. Januar geschlossen. Die Ausstellung läuft voraussichtlich bis zum 30. Januar 2022.

    Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

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