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  • Der Kampf gegen Klischees

    Die Langzeitstudie zu Grünau wurde zum elften Mal durchgeführt und liefert neue Daten zur Entwicklung und Zufriedenheit der dort lebenden Bevölkerung.

    Nur drei Prozent der rund 700 Befragten fühlen sich in Grünau nicht wohl. So das Ergebnis der Langzeitstudie zur Entwicklung von Leipzig-Grünau. Das größte Plattenbaugebiet Leipzigs entstand zwischen 1976 und 1989 am westlichen Stadtrand. Die sozialistische Idee dahinter: Gleiche Wohnbedingungen für alle schaffen. Professor*innen sollten neben Handwerker*innen leben. Von Anfang an mit dabei war die Langzeitstudie von Sigrun Kabisch, Professorin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. In Abständen von etwa fünf Jahren wiederholt sie die Studie, 2020 zum elften Mal. Im Zentrum der Erhebung steht dabei eine repräsentative Einwohner*innen­be­fragung mithilfe eines Frage­bogens, der persönlich über­geben und wieder abgeholt wird. „Damit wird eine sehr hohe Rücklaufquote von mindestens 73 Prozent erreicht. Mir ist keine andere vergleichbare Studie bekannt“, sagt Kabisch. „Die Befragung wird extra nicht on­­line durchgeführt, um die Mitwirkung eins möglichst breiten Spektrums der Bevölkerung zu gewährleisten. Viele der Befragten sind nicht ausreichend online-affin.“ Es gehe in der Studie da­rum Wahrnehmungen, Einschätzungen, Hoffnungen und Ängste der dort lebenden Menschen zu ermitteln.

    Nach massiven Bevölke­rungs­­verlusten, die Leipzig über mehrere Jahrzehnte erfuhr, sieht sich die Stadt seit 2010 einem Wachstum gegenüber gestellt. Zeitverzögert zeigt sich dieser Trend auch in Leipzig-Grünau. Dort sind seit 2015 leicht steigende Bevölkerungszahlen zu vermerken, nachdem in den Nachwendejahren die Grünauer Bevöl­kerung von 85.000 auf 40.000 schrumpfte. Dies führte zu massivem Wohnungsleerstand und infolgedessen auch Gebäudeabrissen. Parallel dazu hat sich die Zufriedenheit der dort Lebenden verschlechtert. In den 90er Jahren kam es zu einem Zufriedenheitseinbruch der befragten Bevölkerung. Nur 35 Prozent fühlten sich 1992 in Grünau wohl. 2004 waren es bereits wieder 66 Prozent.

    Ein praxisrelevanter Befund der Studie: Die Bevölkerung in Grünau ist gealtert. Waren 1979 erst 10 Prozent der Befragten über 55 Jahre alt, so waren es 2004 bereits 44 Prozent und 2020 65 Prozent. „Die Infrastruktur muss entsprechend angepasst und erhalten werden. Es braucht Altenbetreuungsentwick­l­ung“, sagt Kabisch. Ein weiterer Schwerpunkt der Studie war die Untersuchung des Einflusses von zugezogenen Geflüchteten. Laut Leipziger Ein­woh­­ner­­melderegister verdop­pelte sich die Zahl von Migrant*innen in Grünau von 5.148 im Jahr 2015 auf 9.307 im Jahr 2020. Dennoch sei aus ihrer Sicht der Einfluss des massenhaften Zuzugs von Migrant*innen auf die Entwicklung des Stadtteils insgesamt nicht so hoch wie erwartet gewesen, berichtet Kabisch. „Grünau hat 45.000 Einwohner und ist somit vergleichbar mit einer deutschen Mittelstadt“, sagt Kabisch. „Es ist wichtig die Differenzierung in dem Stadtteil zu Kenntnis zu nehmen. Wie auch in einer Mittelstadt gibt es ganz verschiedene Ecken.“ Die Klischees von Grünau als sozialen Brennpunkt würden immer wieder reproduziert, auch in manchen Pressebeiträgen, so Kabisch. „Belege dafür werden nicht geliefert. Viele Grünauer empfinden diese Darstellungen als respektlos und unfair.“ Die Studie soll dazu beitragen, dieses Bild von Grünau zu verändern.

    Foto: Sigrun Kabisch

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