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  • „Als Moderator da zu sein, ist eine wichtige Rolle“

    Seit dem 1. September führt Jörg Puchmüller als Fluglärmschutzbeauftragter Dialoge. Im November-Interview spricht er über Unparteilichkeit, Kommunikation und seine Rolle im Wirtschaftsministerium.

    Seit dem 1. September ist Jörg Puchmüller Fluglärmschutzbeauftragter in Sachsen und ist damit für den Standort Leipzig/Halle zuständig. luhze-Redakteurin Charlotte Nate hat mit ihm über seine Aufgaben, verschiedene Interessensgruppen und den ge­­planten Flug­hafenausbau gesprochen.

    luhze: Herr Puchmüller, wenn Sie Urlaub machen, fliegen Sie?
    Puchmüller: Ich bin durch Corona länger nicht mehr geflogen, aber Fliegen gehört zu meinen Fortbewegungsarten, wenn ich weiter weg in den Urlaub fahre.

    Es gibt Stimmen, die bezeichnen Ihre Stelle als eine Placeb­­­o­­­maßnahme, um An­wohnende ruhig zu stellen. Wie gehen Sie damit um?
    Ich hätte das Amt nicht angenommen, wenn ich hier nur als Schauspieler agieren soll. Mein Anspruch ist schon, etwas zu erreichen, die Leute anzuhören und ihre Themen ernst zu nehmen. Ob dann Verbesserungen dabei rauskommen, kann ich nicht versprechen, ich werde aber alles dafür tun. Dafür habe ich überall offene Türen, zum Beispiel im Ministerium, beim Flughafen, der Flugsicherung oder auch den Fluggesellschaften. Wenn ich mit einem Thema komme, dann werde ich angehört und das ist schon mal ein Vorteil, dass man etwas transportieren kann. Insofern ist diese Bezeichnung für mich keine Beleidigung, das ist eine Meinung. Lasse ich gelten, aber das ist nicht der Anspruch.

    Sie sind der erste Fluglärmschutzbeauftragte in Sachsen. Was haben Sie in den letzten knapp zwei Monaten gemacht?
    Seit der Amtseinführung habe ich mich in das Thema eingearbeitet. Dazu gehört, sich mit den Grundlagen vertraut zu machen, wie beispielsweise den Lärmschutznormen, den festgelegten Nachtschutzgebieten, den Anflugverfahren und so weiter. Pa­rallel dazu habe ich bereits ab dem zweiten Tag angefangen, Kontakte aufzubauen. Als erstes mit Steffen Schwalbe, dem Chef der Fluglärmkommission Leipzig/Halle. Das ging dann so weiter, von Kommunalvertretern über Bürgerinitiativen, Flug­­hafen­­vertretern, Fluggesellschaften, DHL – also allen, die am Flugbetrieb beteiligt beziehungsweise davon betroffen sind. Und es ist ja nicht so, dass wir bei Null anfangen. Insgesamt ist von Seiten des Flughafens schon viel in den Lärmschutz investiert worden. Zum Beispiel durch Lärmschutzwände und lärm­ge­min­derte Fahr­­zeuge direkt am Airport. Oder durch den Bau von Hallen für Triebwerksprobeläufe, damit sie nicht draußen stattfinden. Zudem ist innerhalb des Nachtschutzgebietes etliches in Lärmschutzmaßnahmen für die Häuser der Bewohner investiert worden. Wie zum Beispiel Lärmschutzfenster oder Lüftungsanlagen. Was mir noch wichtig ist, ist der Austausch mit Kollegen in anderen Bundesländern. Kurzum: Jetzt ist die Phase, das Gesamtbild um den Flughafen Leipzig/Halle zu erfassen und vielleicht die ein oder andere Stellschraube zu erkennen, an der man drehen kann.

    Jörg Puchmüller trägt eine gelbe Weste, eine Brille und zeigt ein schönes Lächeln.

    Puchmüller im Einsatz

    Was sind denn solche Stellschrauben?
    Es gibt zwei Dimensionen: Einmal die Kommunikationsebene, um als Ansprechpartner für alle Seiten zur Verfügung zu stehen. Es ist wichtig, ins Gespräch zu kommen. Mir wurde schon oft gespiegelt, dass die Leute froh sind, dass es jemanden gibt, der sich direkt um das Lärm- und Emissionsproblem kümmert. Der zweite Schritt ist dann, aus der Vielzahl der Probleme ausfindig zu machen, wo die Schwerpunkte sind, was man tun und verändern kann. Und dann im Prozess mit allen Beteiligten diese Maßnahmen möglichst umzusetzen.

    Wie läuft die Moderation zwischen den Parteien bisher? Die Interessen sind doch sicherlich sehr verschieden.
    Gerade die Bürgermeister schildern die zwei Seiten der Medaille. Auf der einen Seite stehen viele in der Bevölkerung hinter dem Flughafen, weil sie dort oder in seinem Umfeld arbeiten. Auf der anderen Seite sind viele vom nächtlichen Fluglärm betroffen und fordern Verbesserungen. Als Moderator da zu sein, ist eine ganz wichtige Rolle. Dass man Sachen aufnimmt und mitnimmt. Nahezu täglich werden Anliegen an mich herangetragen, teilweise sind sie emotional aufgeladen. Dann schau ich nach dem rationalen Kern und bespreche das mit den weiteren Beteiligten. Da habe ich schon einige Dinge identifiziert, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Man wird schauen, was da­von um­setzbar ist, auf jeden Fall wird es ein langer Prozess werden.

    Wo sehen Sie denn Verbesserungspotential?
    Das kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht konkret sagen.

    Der Flughafen ist ein großes Frachtdrehkreuz, auf dem auch nachts viel geflogen wird. Dagegen protestieren Anwohnende schon seit Jahren. Wie stehen Sie zu einem Nachtflugverbot?
    Das wird in der Tat von manchen Bürgerinitiativen gefordert und an mich herangetragen. Die Rahmenbedingungen sind jetzt so, wie sie zugelassen sind: Der Flughafen hat eine Genehmigung und das wurde vor einigen Jahren auch gerichtlich überprüft. Das ist der Status quo und der ist für mich maßgeblich. Ich nehme die Rahmenbedingungen so, wie sie sind, und versuche da das Optimum raus­zuholen.

    Wie ist es mit dem Ausbau des Flughafens? Dagegen protestieren mittlerweile ja auch Gruppen wie Cancel LEJ (eine Gruppe des zivilen Ungehorsams gegen den Flughafenausbau) oder das Klimacamp.
    Es war in den letzten Monaten festzustellen, dass immer mehr Leute bei dem Thema mitreden, als wirklich vom Lärm betroffen sind. Weil die Klimadiskussion Fahrt aufnimmt und Veränderungen angestrebt werden, die aber nicht nur Leipzig betreffen, sondern das Fliegen insgesamt. Das sind Themen, die sind ernst zu nehmen, aber haben für meine Arbeit eigentlich keine konkreten Auswirkungen. Es ist davon auszugehen, dass diese Themen auch in der neuen Bundesregierung im Fokus sind. Das wird bestimmte Dinge möglicherweise beeinflussen, sicher auch beim Fliegen. Aber das sind Diskussionen, die laufen abseits meiner Zuständigkeit. Das nun laufende Planänderungsverfahren (das lau­fende Verfahren um das Ausbauvorhaben am Flughafen Leipzig/Halle, Anm. d. Red.) ist ein rechtsstaatliches Verfahren und man wird sehen, was dabei herauskommt. Und für Leute, die mit einem Ergebnis nicht zufrieden sind, gibt es bei solchen Verfahren immer noch die Möglichkeit, juristisch dagegen vorzugehen. Da bin ich unparteiisch.

    Aber ein Ausbau des Flughafens bedeutet mehr Starts und Landungen, also auch mehr Fluglärm. Müssten Sie sich in Ihrer Rolle nicht zu dem Ausbau positionieren?
    Ja, normalerweise wäre ich auch mitgehört worden. Aber die Einwandsfrist für das Verfahren war schon beendet, als ich mein Amt angetreten habe. Bei der nächsten Planänderung werde ich nicht selbst eine Stimme als Träger öffentlicher Belange abgeben, aber ich werde zum Beispiel die Fluglärmkommission oder das Mi­nisterium auf Wunsch be­­­­raten und meine Einschätzung dazu abgeben. Das fließt dann in die Stellungnahmen mit ein. Da werde ich sicher eine aktivere Rolle einnehmen, jetzt war’s einfach zu spät.

    Möchten Sie eine persönliche Einschätzung zu dem Flughafenausbau abgeben?
    Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust: einerseits sehe ich die vielen tausend Leute, die vom Flughafen leben und was sich dort für ein Wirtschaftsstandort entwickelt. Auf der anderen Seite wird dadurch natürlich die Lärmbelastung für die Anwohnenden nicht sinken.

    Wir sitzen gerade im Sächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr – bei Ihrem Arbeitgeber. Wie verstehen Sie ihr Amt in einem Wirtschaftsministerium? Ein Flug­lärmschutzbeauftragter wäre ja auch im Gesundheitsministerium denkbar.
    Die Funktion ist hier angesiedelt, weil die Luftfahrtbehörde auch für die Verminderung der Lärmbelastung zuständig ist. Und diese Behörde sitzt im Wirtschafts­ministerium. Das ist auch in den meisten anderen Bundesländern so. Dem Ministerium war die Unabhängigkeit der Position wichtig. Und ich kann aus meinen ersten Wochen sagen, dass darauf großer Wert gelegt wird. Ich bin zwar dienstrechtlich an das Ministerium angebunden, da muss ich also meinen Urlaub beantragen, aber ansonsten bin ich in meiner Entscheidung frei. Insofern ist es auch nicht relevant, in welchem Ministerium ich angesiedelt bin, denn im Grunde bin ich unabhängig. Natürlich bin ich auch mit den Kollegen im Umweltministerium im regen Austausch. Ich habe da keine Scheuklappen, sondern spreche mit allen, die für entsprechende Themen zuständig sind.

    Was ist Ihr nächstes Teilziel?
    Durch die ganzen bisherigen Gespräche habe ich bereits einige Ideen entwickelt, wie man an der einen oder anderen Stelle etwas verbessern kann. Aber ich würde darüber noch nicht öffentlich sprechen wollen, weil ich damit Erwartungen wecke, die ich nicht enttäuschen möchte. Insofern: Ja, ich habe Ziele, aber warten wir noch ein bisschen, was daraus wird.

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