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  • Günther Grass und das Klima

    Im Schauspiel Leipzig läuft derzeit das Theaterstück „Die Rättin“ inszeniert von Claudia Bauer. In bunten Kleidern und Masken erzählen weibliche Ratten vom Untergang der Menschheit.

    „Noah hat von jedem Tier zwei mit auf die Arche genommen. Von den unreinen nur eins. Nur die Ratten, hat er nicht mitnehmen wollen – und doch haben sie die Sintflut überlebt“, erzählt die Rättin (Teresa Schergaut). Auch den Ultemosch, eine nicht näher beschriebene Katastrophe, haben die Ratten überdauert.

    Ein namensloser und biographieloser Mann (Tilo Krüger) wähnt sich in dieser apokalyptischen Welt im Dialog mit der Rättin. Oder träumt er sie nur? Oder sind er und die wenigen anderen Menschen Traumgeburten von den Ratten, wie es die Rättin behauptet? Claudia Bauer hat für die Spielzeiteröffnung des Schauspiel Leipzigs Günter Grass Roman für die Bühne inszeniert. Die 1986 erschienene Geschichte erhält von Bauer einen neuen Anstrich. Anspielungen auf Fridays for Future, gewisse lachende Kanzlerkandidaten und die Klimakatastrophe ordnen das Theaterstück in aktuelles Geschehen ein. Der Katastrophenstimmung und der posthumanen Vision der Rättin zum Trotz geht der Mann geradezu fanatisch seinem Alltag nach. Der Mann kann nicht stillstehen, läuft immer zu auf dem Laufband und ähnelt dabei einem anderen Nagetier. Er entwirft zusammen mit seinem Bekannten Oskar Matzerath (Roman Kanonik) einen Stummfilm über das Waldsterben und schickt seine fünf Frauen auf eine Seereise, um die Quallendichte zu messen. Anfangs steht der Mann, wie es sich für ein gutes Theater gehört, nackt auf der Bühne, nur mit Schuhen und Brille bekleidet. Parallel zu den sich stetig steigernden Handlungssträngen, zieht sich der Protagonist nach und nach an.

    Zwischen Gänsehaut und Gelächter wird das Publikum zwei Stunden lang Zeug*in eines riesigen Experiments. Trotz des weiten Entwicklungsstadiums und der Machtposition der Ratten, bleiben sie somit im Labor. Claudia Bauer macht die Bühne zu ihrem Spielplatz. Nichts bleibt unversucht. Der Protagonist bewegt eigenhändig das Bühnenbild – eine baumhausartige Raumkapsel. Die Rättinen singen im Chor, selbst ein kleines Harmonium wird auf die Bühne geschoben. Operngesang und Orgelklänge sind Teil des Auftritts. Nach brechtscher Art und Weise reden die Schauspieler*innen direkt mit dem Publikum, kritisieren den Ich-Erzähler und bleiben auch nach ihren Auftritten auf der Bühne sitzen. Mache Figuren gendern und filmische Elemente werden auf die Raumkapsel projiziert. In diesem Konglomerat an Ideen und Eindrücken, verliert sich der eigentliche Handlungsstrang. Die Klimakatstrophe bleibt im Nebensatz. Der*die Zuschauer*in kann gar nicht schnell genug gucken und denken, um alles mitzubekommen. Oft sind zwei oder drei Gespräche und Monologe gleichzeitig am Laufen. Und dennoch schafft es Claudia Bauer mit einer Leichtigkeit von Witz zu Schwere zu wechseln. Die Spannungskurve flaut nie ab und sie zeigt: Klimaapelle können auch zum Lachen bringen.

    Der Stummfilm über das Waldsterben entwickelt sich, wie bei Shakespeares a Midsummer Nights Dream, zu einer Geschichte in der Geschichte. Die Kanzlerkinder Johannes (Philipp Adrian Djokic) und Greta (Paula Vogel) wollen zusammen mit Grimms Märchenfiguren den sterbenden Wald retten. Rotkäppchen liest unentwegt aus dem Wörterbuch vor: „Angst, angstbar sein, Angstbeben, im Angsthaus wohnen“ und der Prinz küsst Dornröschen nur durch die Frischhaltefolie hindurch. Ob dies ein stilistisches Mittel oder eine Coronamaßnahme ist, lässt sich schwer sagen. Die Stummfilm Schauspieler*innen, allesamt Studierende der Hochschule für Musik und Theater, spielen auf der Bühne, während parallel das Geschehen in Schwarz-Weiß auf die Raumkapsel übertragen wird. Der Theatersaal entwickelt sich in diesen Momenten zu einem Kinosaal. Graue Lichtschlieren strahlen vom Ende des Saales in Richtung Bühne und das Klackern des Filmes, versetzt die Zuschauer*innen zurück in die 20er Jahre.

    Das gängige Rattenbild der Menschen wird in „Die Rättin“ hinterfragt. Die Rättinendarsteller*innen, fünf an der Zahl, tragen bunte Kleider und bunte Rattenmasken. Sie scheinen die Einzigen zu sein, die die Kontrolle nicht verloren haben. Denn die Menschen haben trotz ihrer Tätigkeitswut und Zukunftspläne die Katastrophe nicht im Griff. Ein Klimadesaster wäre ähnlich wie das Ultemosch das Ende vieler Menschen. Die Ratten und Rättinen aber würden dies überleben.

    „Die Rättin“ läuft derzeit auf der Großen Bühne des Schauspiel Leipzigs. Weitere Spieltermine: 21.10, 30.10, 14.11. Tickets für Studierende ab 12 Euro.

    Foto: Rolf Arnold

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