Können wir auf Dauer funktionieren?
Während sie selbst am Strand liegt, dreht sich zuhause alles um dieselben Fragen. Aus 2000 Kilometer Distanz versucht Kolumnistin Leoni sich in Herzensangelegenheiten von Freund*innen hineinzudenken.
Vor einigen Wochen, nachdem ich mich von meiner Freundin hatte updaten lassen, wie der knapp 2000 Kilometer entfernte, deutsche Sommer während meiner Reisen weitergelaufen war, stellte sie mir am Telefon eine Frage. Unser Gespräch war fast vorbei, als sie sagte: „Noch eine Frage. Kann man eine glückliche Beziehung führen, wenn man grundsätzlich verschieden ist, unterschiedliche Grundwerte vertritt, aber man im Alltag unglaublich gut harmoniert? Kann man einfach die Zweisamkeit genießen, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob der Mensch wirklich grad alle Ansprüche erfüllt?“
Ich bin sehr dankbar, dass ich Freundschaften habe, in denen mir meine Freund*innen erlauben, über ihr Liebesleben zu urteilen. Sie dürfen gleichermaßen meins beurteilen, daher sind unsere Gespräche immer auf Augenhöhe möglich und Ratschläge werden nicht als übergriffig gewertet.
In Liebesangelegenheiten helfen manchmal Gespräche mit Anderen. Die sehen oft klarer, was wir selbst nicht sehen. Und machen einem gleichermaßen die eigenen Schwächen bewusst. Wenn ich in einer Beziehung bin, fällt es mir schwer, mein Selbstwertgefühl zu bewahren. Ich bin sehr unabhängig, aber ich bin auch ziemlich beeinflussbar. Deshalb habe ich manchmal Angst, mich von mir selbst zu entfernen, mich selbst zu verraten und meine Integrität zu kompromittieren, um jemand anderen glücklich zu machen und halte mein Herz aus vielen Angelegenheiten einfach raus. Deshalb ist es für mich sehr wichtig, Zeit für mich allein zu haben. Phasen der Einsamkeit sind wertvoll für die persönliche Weiterentwicklung. Letztendlich bin ich der Mensch, der mit mir alt wird, ich sollte also in erster Linie mit mir allein glücklich sein.
Ich erinnere mich an eine Situation letzten Sommer, unerlaubt auf einem Wohnheimdach über Karlsruhe und wie ich sage: „Ich sag immer, wenn sich was gut anfühlt, dann warum nicht einfach machen. Zur Hölle mit Konventionen über „zu schnell, zu verbindlich, zu riskant“. Wenn es am Ende nicht klappt, mein Gott, dann klappt es halt nicht, aber bis dahin hat man eine verdammt gute Zeit gehabt und solange wie’s sich gut angefühlt hat, war’s gut.“
Ich war verliebt, als ich das gesagt habe, da sagt man solche Sachen oft, aber irgendwann – das habe ich oft genug bei meinen Freund*innen beobachtet – scheint der Mensch an sich, sich nach einem fixen Endpunkt zu sehnen. Nur die wenigsten halten es aus, einfach etwas zu machen und dann zu lassen, wenn es halt nicht mehr ist. Irgendwie scheint es in der menschlichen Natur zu liegen wissen zu wollen, wohin etwas führt. Sonst wird es als „kompliziert“ gewertet. Aber ist es nicht eigentlich viel komplizierter, immer genau festlegen zu wollen, was etwas ist? Warum dürfen Sachen nicht einfach laufen, bis sie nicht mehr laufen? Unwissenheit scheint bei zwischenmenschlichen Dingen schwer zu fallen. Und selbst die, die vorher ankündigen, nichts festlegen zu müssen – was per se schon eine Festlegung ist, darauf, sich eben nicht festzulegen – scheinen irgendwann nachgiebig zu werden und darauf zu hoffen, dass das Gegenüber nochmal nachfragt.
Wie oft darf man im Alltag denken „Wow sehe ich ganz anders, kann diese Ansicht null nachvollziehen, aber hey, wenn ich‘s wegignoriere, haben wir damit keine Auseinandersetzung“? Wenn man von Anfang an das Gefühl hat, dass Ansichten komplett konträr sind, und nicht konträr in einem Sinne, der einem neue Perspektiven aufzeigt, sondern konträr, sodass man sich darüber aufregt, glaube ich, dass das keine gute Voraussetzung für etwas Langfristiges ist.
Denn gerade, wenn etwas neu beginnt, sollte man sich dann nicht blauäugig alles miteinander vorstellen können? Und wenn man das nicht kann, sollte man dann gar nicht erst weiter denken als bis zur nächsten Nacht?
Andererseits gibt es auch Personen, mit denen man sich direkt von Anfang an alles und mehr vorstellen kann und nach einiger Zeit merkt man, dass man sich nicht gut genug kannte und das Herz schneller war als der Verstand. Aber das ist der natürliche Verlauf, oder? Nicht andersrum? Und warum räumen wir manchen Menschen gar nicht erst das Potenzial ein, mehr sein zu können? Ohne dass wir es voreinander begründen können. Obwohl ich nichts von Halbherzigkeiten halte, vielleicht ist der Umgang „Irgendwie war alles gut und dann wars irgendwie vorbei“, auch nicht der richtige Weg. Woher weiß man denn, wann etwas noch hätte besser sein können? Ist das wirklich etwas, was man ausprobieren muss? Oder ist es gut, dass wir alle diese eine Person haben, an die wir manchmal lächelnd denken müssen, weil‘s so schön war, als es schön war, bevor es sich aufgelöst hat, was nicht schlimm war?
Eine andere Eigenart, die ich an den Beziehungen in meinem Freundeskreis festgestellt habe, ist die, einander nur zu bleiben, weil sich eine Gemütlichkeit einstellt. Viele anfänglich lockeren Beziehungen scheinen irgendwann exklusiv zu werden, weil eine*r oder beide einfach keine Lust haben, nochmal alles von vorne zu beginnen, nochmal neu von sich zu erzählen, erklären, was man mag, was nicht, wer man ist, und wie man morgens seinen Kaffee trinkt. Dass man trotzdem anfängt, eine Bindung aufzubauen, wenn man sich körperlich sehr nah ist, ist klar. Bei körperlicher Nähe geht es aber auch nicht um Kompatibilität innerer Werte. Die Person, mit der man schläft und der man gerade seine Aufmerksamkeit schenkt, wird lediglich zur Projektionsfläche für etwas, was vielleicht gar nicht da ist. Und um irgendeine Art von Kompatibilität zu erzielen, muss man entweder verdammt biegsam sein, oder es wird ein ewiges Diskutieren, was dazu führt, dass man eigentlich nach wenigen Monaten schon keinen Spaß mehr aneinander hat.
„Ich gehe nicht mehr auf andere Dates, ist mir zu anstrengend, ich mein, er weiß jetzt schon so viel, dann kann ich auch eigentlich erstmal nur noch ihn sehen und muss mir den Stress nicht antun.“ Ich kenne diesen Satz von Freund*innen, hab ihn selber schon gesagt, und finde ihn gleichermaßen falsch und feige. Wenn es einem wirklich nur um die Gemütlichkeit geht, kann man sich die Frage danach, was man eigentlich von der anderen Person will, im Grunde schon selbst beantworten. Und Grundlage für eine intimere, womöglich sogar monogame Partnerschaft, sehe ich darin nicht.


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