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  • Über Umwege

    Belästigung war in einigen Kolumnen Thema. Für viele Menschen ist sie das auch abseits dieses Formats. Kolumnistin Sara denkt darüber nach, ob es ein richtiges Reagieren auf falsches Verhalten gibt.

    Es ist ein sonniger Nachmittag im Frühling und ich will bei einem Spaziergang das Wetter genießen. Ich gehe raus und ein Mann grabscht mir, wie selbstverständlich an den Hintern. Ein paar Meter neben meiner Haustür. Ich verstehe erst nicht, was da grade passiert ist, drehe mich um, stammel etwas, gehe so schnell ich kann weg. Meine Beine zittern, mein Herz rast. Erst als ich wieder zuhause bin, wird mir bewusst, dass das gerade wirklich passiert ist und ich heule.

    Aber weshalb schreibe ich darüber, reicht es nicht bald mit all diesen Berichten von Belästigungen? Haben Frauen denn sonst nichts Interessantes zu erzählen? Ich habe mir viele Gedanken gemacht, ob ich wirklich über dieses Thema schreiben will oder sollte. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich das will. Denn so lang Belästigung tagtäglich ungefragt Raum in unseren Leben einnimmt, so lang sollten die Geschichten darüber auch Raum in persönlichen Gesprächen, Kunst oder Medien einnehmen.

    Seit diesem Tag vor über einem Jahr laufe ich anders durch die Straßen. Ich scanne meine Umgebung, wechsle die Straßenseite oder gehe Umwege, sobald ich eine Person sehe, die potenziell etwas tun könnte. Die Personen, denen ich ausweiche sind Männer. Und ja, ich weiß, es ist irrational, weil nicht alle Männer und so. Mir wäre es auch lieber, wenn über ihren Köpfen Warnschilder hingen, damit ich nicht kategorisch um alle einen Bogen machen muss. Vielleicht wäre das aber nur umso erschreckender, weil da mehr Schilder wären, als wir alle wahrhaben wollen.

    Ich weiß, das was mir passiert ist, ist bei Weitem nicht das Schlimmste, was Menschen in dieser Hinsicht erleben müssen. Und es ist auch nicht das einzige Mal, dass mir so etwas passiert ist. Lange habe ich mich gefragt, warum ich so reagiere, warum mein Körper noch immer regelmäßig in einen Alarmzustand geht, inklusive Herzrasen, Adrenalinschub und zittriger Beine. Vor Kurzem hatte ich eine Erkenntnis: Das was die Männer tun, ist nur sekundär. Am meisten fürchte ich mich davor, wieder nicht so zu reagieren, wie es in meinen Augen angemessen wäre, was zur Folge hat, dass ich mich selbst infrage stelle, mich schwach und ohnmächtig fühle.

    Junge Frau sitzt auf Fensterbank in dunklem Raum.

    Kolumnistin Sara will grundsätzlich ihre Ruhe haben.

    Ich finde, in der geschilderten Situation wären ein Tritt in die Eier, zumindest aber Anschreien eine adäquate Reaktion gewesen. Das Problem, – mein Problem – ist, dass ich nett und friedfertig bin. Eigentlich sollte das etwas Gutes sein. Männer wie dieser und ihr abartiges Verhalten bringen mich aber dazu, meine Freundlichkeit als eine meiner größten Schwächen zu sehen und mir zu wünschen, eine latent gewaltbereite, laute Frau zu sein, also eine komplett andere als die, die ich bin.

    Kennt ihr die Träume, in denen irgendetwas passiert und ihr schreien wollt, aber kein Ton aus eurer Kehle kommt? So in etwa fühlen sich all die Situationen an, in denen Männer etwas tun, was ich nicht will. Und ja, ich bin wütend auf all diese Männer wegen dem, was sie tun, als wäre es ihr selbstverständliches Recht. Und noch wütender bin ich, weil sie damit nicht nur etwas zutiefst falsches, übergriffiges tun, sondern damit auch noch bewirken, dass ich selbst mich falsch fühle. Obwohl ich nichts anderes will, als ungestört mein Leben zu leben. Stattdessen hinterfrage ich meine ganze Existenz und lasse mir Lebensraum nehmen, der mir ebenso gehört wie ihnen.

    Sie haben kein Recht dazu mich, – uns – zu belästigen. Sei es mit Blicken, Worten oder Berührungen. Wir alle, auch ich, haben ein Recht darauf, ohne Angst durch die Gegend zu laufen, auch wenn wir keinen schwarzen Gürtel in Karate haben. Ich hinterfrage mich so schon genug. Ich brauche nicht auch noch fremde Männer, die das mit ihrem Fehlverhalten bei mir auslösen.

    Dass ich friedfertig und nicht laut bin, ist kein Fehler und ich will versuchen, das zu verinnerlichen. Aber es ist verdammt schwer, wenn hinter jeder Ecke ein unreflektierter Mann lauern könnte, der keinen Schimmer davon hat, was er auch mit den scheinbar harmlosen, aber trotzdem ekelhaften „Komplimenten“ und Bewertungen anrichtet.

    Ich will einfach meine Ruhe. Ich will mich allein im Park sonnen können und nicht auf meiner Fensterbank. Ich will durch die Stadt laufen, ohne mich aus unangenehmen, grenzüberschreitenden Unterhaltungen rauswinden zu müssen. Und ich will auf dem Bürgersteig an einem Mann vorbeigehen können, ohne befürchten zu müssen, dass er mich berührt.

    Ich wünsche mir, dass es irgendwann keine ungewollte, aber eben unabdingbare Lebensaufgabe mehr ist, zu lernen, wie man mit Belästigung lebt. Ich will, dass solches Verhalten und die dazugehörigen Männer aussterben. Und bis dahin bin ich stolz auf jede, die ihnen in die Eier tritt oder sie anschreit und auf jede, der es gelingt, deren Verhalten, nicht aber sich selbst zu verurteilen.

    Titelbild: Sara Wolkers

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