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  • „Ich bilde ab, was die Stadt umtreibt“

    In unserer Juli-Ausgabe widmen wir uns dem Thema Lokaljournalismus. LVZ-Chefredakteurin Hannah Suppa hat mit luhze über die Stellung der Zeitung in der Stadt und Digitalisierung gesprochen.

    Hannah Suppa ist seit einem halben Jahr Chefredakteurin der Leipziger Volkszeitung (LVZ). Mit luhze-Redakteur Jonas Waack hat sie über Macht, Verantwor­tung und den digitalen Wandel gesprochen.

    luhze: Frau Suppa, Sie sind Chefredakteurin der einzigen Tageszeitung Leipzigs. Sind Sie die mächtigste Frau der Stadt?
    Suppa: Nein, auf keinen Fall. Ich glaube nicht, dass man sich als Chefredakteurin als mächtigste Frau der Stadt bezeichnen kann. Ich gestalte die Stadt nicht, sondern ich bilde ab, was die Stadt umtreibt. Ich bilde ab, wie andere Menschen die Stadt ge­stalten. Das ist eher eine beo­bachtende und analysierende Position, zumal ich das ja auch nicht alleine tue, sondern ein wunderbares, großes Team habe, das einen Blick darauf hat, was in Leipzig passiert und was die Stadt umtreibt.

    Aber was Sie abbilden, treibt andersherum auch die Stadt um. Wie ref­lektieren Sie diese Position?
    Das stimmt. Heute (das Gespräch fand am 25. Juni statt, Anm. d. Red.) haben wir beispielsweise das Thema der brennenden Autos in Gohlis gesetzt, weil wir gestern gesagt haben: Es reicht nicht, dass wir jeden Tag be­richten, dass da Autos brennen, sondern wir müssen jetzt mal ein bisschen größer ran. Natürlich kann das Debatten in Gang bringen und das reflektieren wir schon, weil uns klar ist, dass wir als einzige Zeitung am Ort eine Debatte so anstoßen, dass sie bis in die Kommunalpolitik reichen kann und soll. So verstehe ich auch Lokaljournalismus: Dass wir ein Stück weit Anwalt der Menschen vor Ort sind und die Themen platzieren können, die eine Stadt umtreiben.

    Die LVZ gilt seit Jahren als politisch eher rechts …
    Okay, wer sagt das?

    Im Diskurs unter den Leipziger Medien wird die LVZ tendenziell eher rechts der Mitte gesehen. Ihr Vorgänger Jan Emendörfer ist gelegentlich mit rassis­tischen und klimawandelleug­nenden Aussagen aufgefallen …
    Das weise ich entschieden zurück.

    Bei der Femizid-Berichterstat­tung im vergangenen Jahr hat er in einem Kommentar darauf angespielt, dass einer der Morde an Frauen mit dem „kulturellen Hintergrund“ des aus Afghanistan stammenden Täters zusammenhängen kön­nte. Das wurde zum Beispiel vom Kreuzer verurteilt.
    Ich kann und werde Texte aus der Vergangenheit, an deren Ent­stehung ich nicht beteiligt war, hier nicht bewerten. Doch ich weiß, dass die LVZ sich damals sachlich mit der Kritik an der Femizid-Berichterstattung aus­einandergesetzt hat. Eine Sach­lichkeit, die ich bei anderen Leipziger Medien in der Debatte und in der Kritik manchmal vermisse – hier werden Kolle­ginnen und Kollegen, auch ich, durchaus auch direkt persönlich beleidigt. Ich finde diesen Um­gang und die oftmals sehr pauschale Verurteilung der Leipziger Volkszeitung schwierig. Wir sind einigen entweder zu rechts, zu links, zu autolastig, zu fahrrad­lastig – also irgendwas ist immer. Wir arbeiten tagesaktuell, nicht nur in der Zeitung, sondern auch digital, auch wir machen mal Fehler. Darüber können wir gern diskutieren, aber die Schärfe, mit der da zum Teil operiert wird, finde ich nicht in Ordnung.

    Sie haben gesagt, dass die LVZ weder links noch rechts ist. Wie sorgen Sie dafür?
    Es ist eine generelle Aufgabe von Journalisten, nicht Partei zu er­greifen, sondern eine ausge­wogene Berichterstattung zu ge­währleisten. Wir haben täglich Redaktionskonferenzen, bespre­chen Themen und überlegen, wer die bestmöglichen Ge­sprächspartner sind, hören alle Seiten an. Zumindest in der Zeit, in der ich hier bin – das ist ein halbes Jahr –, habe ich wenig Kritik gehört, dass wir unaus­geglichen berichten wür­den. Wir haben auch das Format „Pro“ und „Kontra“ eingeführt, um allen Perspektiven, die es auf verschiedene Themen geben kann, gerecht zu werden.

    Vor zwei Jahren haben Sie die analoge Zeitung mit Karstadt verglichen: „Für jeden soll et­was dabei sein, aber manchmal passt irgendwie auch nichts so richtig.“ Beide seien Auslauf­modelle. Ist zukünftig in der LVZ nicht mehr für jeden etwas dabei?
    Was ich mit dem Karstadt-Zitat meine, ist, dass das Kaufhaus einmal das war, wo jeder hingehen soll und alles findet, was er braucht. So wie es der Anspruch einer Tageszeitung auch war: Hier ist für jedes Interesse etwas dabei. Eine Lokalzeitung hatte den Wunsch nach Vollständigkeit. Das heißt, alles was passiert, irgendwie abzubilden, hier noch eine kleine Meldung hinzupacken, und da jetzt noch eine kleine Meldung hinzupacken. Wir merken aber, dass das nicht mehr unbedingt dem Lesebedürfnis vor allem jüngerer Leserinnen und Leser entspricht. Ihnen geht es darum, Themen hintergründig-analy­tisch aufzubohren. Und das braucht eben manchmal mehr Platz und Raum.

    Ist die Zielgruppe der Zeitung älter als die der Website?
    Klar. Die Leserinnen und Leser, die eine Zeitung abonnieren, sind älter. Die Menschen werden mit der Zeitung – und wir mit den Menschen – groß und alt. Das ist eines der Probleme, die wir in Gänze im Print-Journalismus haben. Das brauche ich auch nicht schönreden, wir haben einen Auflagenschwund, der ist bei der LVZ genauso hoch wie bei vielen regionalen und über­regionalen Zeitungen. Das hat mit mehreren Faktoren zu tun. Jüngere Menschen haben nicht mehr das Bedürfnis, am Früh­stückstisch eine Zeitung durch­zublättern. Die Mediennut­zungszeit, die man am Tag zur Verfügung hat, wurde früher morgens eine halbe Stunde für die Zeitung aufgewandt und am Abend nochmal eine Stunde für die Tagesschau und andere Dinge. Jetzt konkurrieren wir mit Whatsapp, mit Facebook, mit Tiktok, mit Instagram und allen anderen Kanälen. Da bleibt eben wenig Mediennutzungszeit über, man stolpert eher mal über journalistische Berichte. Ein zweiter Grund für das Sinken der Auflagen ist auch die Frage, ob wir immer das berichtet haben, was die Leute interessiert. Das digitale Arbeiten im Journalismus ist ein sehr publikumsfokus­siertes Arbeiten und vielleicht haben wir das im Lokaljour­nalismus zu lange vernach­lässigt. Wir versuchen jetzt viel themen­orientierter zu arbeiten: Was sind die Themen, die uns interes­sieren sollten, weil es die Menschen interessiert? Deswe­gen haben wir vor ein paar Monaten Thementeams gegrün­det bei der LVZ, zum Beispiel „Bauen, Wohnen, Infrastruktur“ oder „Gesundheit, Soziales und Umwelt“, wo die Kolleginnen und Kollegen fokussiert auf Themen schauen und nicht darauf, wo es am Ende in der Zeitung ist, weil wir digital-first arbeiten. Das heißt, wir über­legen zuerst, was die wichtigen Themen sind, die für die Website relevant sind. Daraus machen wir am Ende des Tages eine Zeitung. Es gibt natürlich beson­dere Dinge, wo wir sagen, dass da Print so ein tolles Medium ist, da setzen wir einen Fokus auf Print.

    Was macht Print denn besser als die Website?
    Ach, „besser“ würde ich gar nicht sagen, es sind einfach unter­schiedliche Medien. Am Ende ist das Schöne an Print und am E-Paper die Geschlossenheit des Produktes. Viele Menschen sind ein Stück weit überfordert von der Fülle der Möglichkeiten, sich im Netz zu informieren. Viele, nicht nur Ältere, empfinden es als ganz angenehm, wenn wir kuratieren: Wenn du das heute gelesen hast, hast du einen ganz guten Überblick, was so passiert ist, oder was die De­batten der Stadt sind. Das ist die Stärke von Print.

    Titelfoto: LVZ

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

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