• Menü
  • Interview
  • Klima
  • „Veränderung muss wehtun“

    Der Bürgerrat Klima sollte Empfehlungen für die Klimapolitik erarbeiten. Im Interview spricht Mitglied Kay Thielemann über den Bürgerrat, die Politik und seine Angst.

    Kay Thielemann wohnt in Möckern und arbeitet seit knapp drei Jahren am Band bei BMW. Der 51-Jährige war Mitglied des Bürgerrats Klima, einer Initiative verschiedener Organisationen, welche die Gesellschaft querschnittartig abbilden und Empfehlungen für die Klimapolitik der Bundesregierung abgeben sollte. Thielemann war Teil der Gruppe, die sich mit dem Handlungsfeld Mobilität beschäftigt hat. luhze-Redakteur Jonas Waack hat mit ihm über E-Autos, Klimagerechtigkeit und Veränderung gesprochen.

    luhze: Herr Thielemann, wussten Sie vom Bürgerrat Klima, bevor Sie angerufen wurden?

    Thielemann: Nein. Ich gucke zwar Nachrichten, aber da hat man nicht so richtig mitgekriegt, dass es schon zwei gab. Wie es halt so ist: Man kriegt den Anruf, „Sie wurden ausgewählt“, ja gut, okay, wer weiß, was das wieder für Käse ist. Und dann kam der Brief: Das ist ja doch was Hochoffizielles und Anständiges!

    Wie dachten Sie vorher über das Klima-Thema?

    Dass etwas getan werden muss, ist fast jedem klar. Aber ganz so groß hat man sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt. In den Medien fehlt die fundierte Information, die ich als Bundesbürger brauche, um mir da ein Bild zu machen.

    Haben Sie die im Bürgerrat bekommen?

    Aber sowas von! Ich laufe jetzt zu meinem Arzt, statt zu fahren, und ich gucke, dass ich so viel wie möglich das Auto stehen lasse.

    Machen Sie sich wegen des Bürgerrats mehr Sorgen um Ihren Job bei BMW?

    Nö. Weil BMW schon seit geraumer Zeit im Wandel ist. Wir haben nach Leipzig eine Batterieproduktion bekommen, die Elektrofahrzeuge sollen weitaus mehr werden. Die Autohersteller machen ja was. Man hat sich leider nur auf diese batteriebetriebenen Elektrofahrzeuge gestürzt. Elektroautos sind noch zu teuer und die Reichweiten sind zu kurz. Im Bürgerrat war mein Präventionsbeispiel immer eine normale vierköpfige Familie. Die wollen an die polnische Ostsee fahren, mit dem Auto. Da brauche ich mit dem Elektrofahrzeug mal locker meine zwölf Stunden. Weil man dreimal zwischenladen muss. Und wie soll sich so eine vierköpfige Familie ein Auto für 50.000 Euro leisten? Mit so einem kleinen Leaf oder Renault Zoe brauchen wir da nicht um die Ecke kommen. Das ist noch das ganz große Problem. Da helfen auch keine 6.000 Euro Fördergelder vom Staat.

    Die Familie könnte ja auch Zug fahren.

    Das ist richtig, aber die Alternativen zum Auto sind schweineteuer. Ich sehe es ja hier in Leipzig: Seit gestern (das Gespräch fand am 2. Juli statt, Anm. d. Red.) ist der ÖPNV wieder teurer geworden. Wenn ich zum Beispiel früh in die Stadt muss, fahr ich mit der Bimmel. Da bin ich hin und zurück bei sechs Euro. Dann fällt mir ein, mein Kumpel spielt im Tonelli’s, ich will da nochmal hin und ein Bierchen trinken. Da fahr‘ ich nochmal mit der Bimmel, da bin ich bei zwölf Euro pro Tag. Das war auch ein großer Aspekt im Bürgerrat. Wir haben gesagt, es soll eine Kerosinsteuer erhoben werden, und davon sollen Gelder in den ÖPNV fließen, um den auszubauen und wesentlich günstiger zu machen. Das Umdenken passiert nur, wenn ich dem Bürger einen Anreiz gebe und nicht nur mit erhobenem Finger sage, „du musst jetzt“.

    Haben Sie mit den Wissenschaftler*innen im Bürgerrat über diese Anreize gesprochen?

    Die haben das, was wir erarbeitet haben, immer wieder geprüft. Es gab Rückfragen, wenn etwas nicht schlüssig war. Dann haben sie den Nutzen als „gering“, „hoch“ oder „sehr hoch“ bewertet. Und der ÖPNV wurde von den Wissenschaftlern sehr wohlwollend aufgenommen, als „hoch“ bis „sehr hoch“.

    Sind Sie zufrieden mit den Vorschlägen, die der Bürgerrat gemacht hat?

    Grundlegend ja. Gott sei Dank ist die sogenannte City-Maut abgeschmettert worden. Ich kann nicht immer nur alles teuer machen und keinen richtigen Ausgleich bieten. Weil es dann wie bei den Amerikanern sein wird: dass es extrem reich und extrem arm gibt, und dazwischen wird es immer weniger.

    Der Bürgerrat hat sich dazu entschieden, eine Pro-Kopf-Dividende auszuschütten, die sich am Einkommen der Haushalte orientiert.

    Genau, weil wir alle der Meinung waren, wenn ich jetzt Verbrenner richtig teuer mache, treffe ich nur die, die viel fahren müssen und die Armen, die sich das nicht mehr leisten können. Wir waren alle der Meinung, dass man nicht nur die oberen 10.000, sondern die oberen 500.000 mehr zur Kasse bitten muss, weil die eine gesellschaftliche Verantwortung haben. Wer heutzutage reich ist, der ist durch die Gesellschaft und die Arbeitnehmer reich geworden. Der muss auch ein bisschen mehr zurückgeben.

    Sollte die nächste Bundesregierung all Ihre Empfehlungen umsetzen?

    Das wäre wünschenswert. Dass es nicht passiert, wissen wir leider alle. Es wurde im Nachgang in der WhatsApp-Gruppe ordentlich diskutiert, dass es wahrscheinlich so sein wird, dass sich die Regierung die Rosinen da rauspickt und sich auf die Fahnen schreibt, und dass die Umsetzung dessen, was unangenehm für die Regierung ist, hinten runterfällt. Da bin ich Realist genug. Aber ich gehe davon aus, dass das System Bürgerrat sich in den nächsten Jahren mehr durchsetzen wird und die Bürger dadurch vielleicht mehr Mitbestimmungsrechte an der amtierenden Regierung bekommen. Die Politik ist überhaupt nicht mehr bürgernah. Die denken einfach nur noch an ihr Zuhause, an ihren Geldbeutel und nach mir die Sintflut.

    Sie haben gesagt, dass die Regierungen die Entscheidungen, die ihnen unangenehm sind, nicht durchsetzen wird. Welche sind das?

    In den Nachrichten lief, dass die CDU/CSU abgeschmettert hat, dass der CO2-Preis bei den Mietshäusern zu 50 Prozent auf den Vermieter umgelegt werden soll. Das heißt, der CO2-Preis bei den Häusern, die noch mit Gas und Öl heizen, liegt zu 100 Prozent beim Mieter. Gemacht wurde der CO2-Preis, um eine Veränderung herbeizuführen. Der Eigentümer vom Haus sieht sich doch jetzt gar nicht in der Pflicht: „Warum soll ich da jetzt 50.000 Euro in die Hand nehmen und die Heizung ändern?“ Das ist das falsche Zeichen.

    Glauben Sie, dass der Bürgerrat mehr gehört würde, wenn die CDU nicht in der nächsten Bundesregierung wäre?

    Nö. Da kann man alle über einen Kamm scheren außer der AfD, weil die so ganz weit weg von Gut und Böse ist. Ich fand nicht gut, wie die Empfehlung des Bürgerrats aussieht, was die CO2-Preis-Umsetzung bei den Mietshäusern angeht – aber ich war ja in einem anderen Handlungsfeld und somit hatte ich da kein Mitspracherecht, man konnte nur dafür stimmen oder dagegen –, dass die Vermieter 20 Prozent, die Mieter zehn Prozent, die Kommune 20 Prozent und der Bund 50 Prozent bezahlt. So zwinge ich den Eigentümer nicht dazu, die Heizanlage zu ändern. Das ist in meinen Augen am Thema vorbeimarschiert, zu weich. Die hätten wirklich sagen können: 50 Prozent der Eigentümer, 10 Prozent der Mieter und die restlichen 40 Prozent teilen sich Bund und Kommunen. Dann zahlt den größten Batzen der Eigentümer und der sieht „oh scheiße, das muss ich ja bezahlen, ich muss hier die Heizanlage ändern, damit der CO2-Preis wegfällt“.

    Sind Sie denn mit dem, was im Handlungsfeld Mobilität empfohlen wurde, einverstanden?

    Zum größten Teil, ja. Es sind einige Sachen, wo der Autofahrer wieder ordentlich zur Kasse gebeten wird. Es fehlen mir die Alternativen. Aber es ist ja ein Paket, die Veränderung muss im gleichen Rahmen passieren. Wenn der ÖPNV ausgebaut wird und ich für fünf Euro in Leipzig hin- und hergurken kann, ist mir auch egal, wenn der Sprit einen Euro mehr kostet, weil ich dann einfach mit der Bimmel fahre und das Auto stehenlasse. Aktuell halten wir in unserem Denken, Tun und Handeln alle noch zu sehr an unserer eigenen Mobilität fest.

    Wollen Sie sich jetzt nach dem Bürgerrat auch politisch für mehr Klimaschutz engagieren?

    Ich weiß es noch nicht so richtig. Ich mach mir da selber immer noch meine Gedanken. Leider bin ich ein normales kleines Arbeiterkind, was dann sagt, okay, wenn es mein Geldbeutel hermacht, betätige ich mich da gerne mehr, was den Umweltschutz angeht. Mülltrennung, so wenig Energie wie möglich sinnlos verheizen. Ich gebe auch vielen Sachen eine zweite Chance, das heißt bevor ich neue Möbel kaufe, gucke ich bei Ebay Kleinanzeigen, was ja auch schon wieder Ressourcen schont. Und den Rest werden wir sehen. Ich bin in meinem Kopf ein bisschen im Wandel, was das angeht. Da bin ich aber noch nicht so weit, dass ich sage, ich gehe jetzt auf die Straße und kämpfe dafür.

    Worin besteht dieser Wandel?

    Ich habe im Bürgerrat den Spruch geprägt: Veränderung muss wehtun, sonst wird man nichts erreichen. Das Auto muss weg; es werden einige Sachen wesentlich teurer, um den Wandel einzuläuten. Das meine ich damit. Ich bin noch dabei, mich dem Wehtun langsam zu nähern. Der Bürgerrat hat mir das Wissen und das Bewusstsein gegeben, dass sich radikal was ändern muss. Und die Einsicht, die formt sich gerade in meinem Kopf. Ich versuche herauszukriegen, wie und was ich mit meiner Lebensgefährtin und meinen Freunden dazu beitragen kann.

    Titelfoto: Bürgerrat Klima

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    „Die Regierungen haben sich dramatisch vor Handlungen gedrückt“

    Meteorologe Johannes Quaas arbeitet mit am IPCC Climate Report. Mit luhze hat er über seine Aufgaben im Erstellungsprozess wie auch über die Wichtigkeit des Berichts für die Regierungen gesprochen.

    Interview Klima Wissenschaft | 23. Februar 2021

    „Es muss uns gelingen“

    Heiko Rosenthal ist seit seiner Wiederwahl im September nicht mehr nur Bürgermeister für Umwelt, Ordnung und Sport, sondern auch für Klima. Mit luhze sprach er über sein Amt und linke Klimapolitik.

    Interview Klima | 6. November 2020