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  • Alle Autos stehen still, wenn dein starker Arm es will

    Kolumnist Franz fordert die sofortige Abschaffung motorisierten Individualverkehrs in der Fahrradstadt Leipzig. Wer von seiner Meinung abweicht, wird mit einem Jahr Aufforstungslager bestraft.

    Disclaimer: Titel und Teaser lügen. Zwar wird es in dieser Kolumne um Straßenverkehr und empfundene Nachhaltigkeit gehen. Aber bis auf wenige Spitzen gegen Behörden verzichte ich auf argumenta ad hominem.

    Die Strecke zwischen Baalsdorf und Kleinpösna fahre ich im Sommer oft auf dem Weg von meiner Wohnung im Leipziger Osten zum Grillensee bei Naunhof mit meinem Fahrrad. Die Landstraße schlängelt sich durch die Felder und wird von großen Bäumen gesäumt. Rechts neben der Straße verläuft ein höchstens 1,50 Meter schmaler Weg. Laut Beschilderung müssen ihn sich Rad- und Fußverkehr in beide Richtungen teilen. Auch vor der Pandemie wurde mir bei entgegenkommenden Rädern mulmig zumute. Meine Befürchtung vom Fahrrad geweht zu werden, hat sich zum Glück noch nicht bewahrheitet. Der Weg ist nicht so breit, wie er laut Straßenverkehrsordnung sein müsste, für eine Beschilderung als kombinierter Rad- und Fußweg. Aber das scheint die zuständigen Behörden nicht zu kümmern. Es gibt diesen Weg, also hat die Straße allein den Autos zu gehören.

    Sachlich über solche Themen des Alltags zu diskutieren, ist aber schwierig. Obwohl viele Menschen nicht nur eine Art von Transportmittel nutzen, scheint man sich in der Debatte einordnen zu müssen: Motor oder Muskelkraft oder gar Elektrizität. Damit einher gehen eine Reihe von Zuschreibungen: die einen umweltbewusst, aber verkrampft, die anderen entspannt und lässig, dafür Umweltsau.

    Es zwingt sich mir die Frage auf: Muss Fortbewegen eine identitätspolitische Komponente beinhalten? Laut Dennis Hänel auf jeden Fall. In seiner Kolumne „Individualmobilität still rules“ stellt er sich auf eine Seite eines Konflikts, und argumentiert auf emotionaler Ebene, ohne Wege zu seiner Wunschvorstellung aufzuzeigen. Die von ihm ersehnte friedliche Koexistenz aller Verkehrsteilnehmenden, ohne Verzicht und Umdenken, lässt sich in einer Welt begrenzter Ressourcen nicht realisieren.

    Der Wechsel zu Elektromotoren als Antrieb von privaten Motorrädern und Autos allein kann in mehrfacher Hinsicht keine Lösung darstellen, soweit gehe ich mit Dennis mit. Dabei sollte zum Beispiel die Leistung moderner Batterieforschung nicht unter den Teppich gekehrt werden. Es wäre naiv, sich auf die Rettung durch technologischen Fortschritt allein zu verlassen. Doch darauf zu setzen, dass die Nutzung fossiler Ressourcen bei Batterien stark reduziert werden kann, ist unter anderen laut des Chemikers Martin Winter keinesfalls wagemutig. So lief Forschung schon immer. Es ergeben sich sprunghaft Vorteile und für die Nachteile müssen mühsam Verbesserungen gefunden werden.

    Kolumnist Franz flaniert gern.

    Spätestens nachdem in Karlsruhe der halbgare Versuch eines Klimaschutzgesetzes gekippt wurde, sollte klar sein, dass die Wiederherstellung Gerechtigkeit mehr bedeutet, als endlich ein gerechtes und einheitliches Rentensystem zu schaffen.
    Von der Erfüllung der Klimaziele ist praktisch jede Freiheit potenziell betroffen, weil eben fast alle Lebensbereiche mit der Emission von Treibhausgasen verbunden sind. Zum Beispiel ist eine durch Avocados geprägte Ernährung genauso wie das Nutzen des eigenen Autos auf kurzen Strecken innerhalb der Stadt, Verhalten mit umweltschädlicher Tendenz. Dessen Notwendigkeit muss diskutiert werden dürfen. Menschen leben nicht isoliert. Ihre Handlungen haben externe Effekte. Manche davon sind direkt spürbar. Wenn Dennis mitten in der Nacht in seinem Auto dröhnend Metalcore konsumiert, mag sein persönlicher Nutzen hoch sein. Die Bewohner*innen in Nachbarschaft zu Dennis Parkplatz werden aber weniger glücklich über diese nächtliche Ruhestörung sein. Andere Effekte brauchen lange, bis sie sichtbar werden. Dazu gehören Feinstaublungen und die Folgen des anthropogenen Klimawandels.

    Eine andere Frage die sich mir stellt. Ist es Aufgabe der Gesellschaft, die Autoindustrie vor der Notwendigkeit, ihre Produktion umzustellen, zu beschützen? Nicht umsonst leben wir statt in einer Plan- in einer Sozialen Marktwirtschaft. Wenn sich die Rügenwalder Mühle der veränderten Nachfrage anpassen und auf die Produktion veganer Wurst umstellen kann, sollten sich die Autohersteller*innen nicht so anstellen. Und auf Busse und Fahrräder umsatteln. Leben heißt Veränderung.

    Titelbild: Pixabay

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