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  • „Wir sollten keine Exoten in der Fakultät sein“

    Das Orientalische Institut hat den Orient im Namen behalten, obwohl ihn Fakultät und Bibliothek ersetzt haben. Verena Klemm ist Professorin am Institut und hat mit luhze über die Debatte gesprochen.

    Die Fakultät für Geschichte, Kunst und Orientwissenschaften hat sich vergangenes Jahr in Fakultät für Geschichte, Kunst und Regionalwissenschaften umbenannt. Das „Orientalische Institut“ hat seinen Namen behalten. Die zwei Professor*innen des Instituts müssen die Entscheidung gemein­sam treffen. Nur Verena Klemm aus dem Bereich „Kultur und Geschichte“ hat sich dazu bereiterklärt, mit luhze-Redak­teurin Sarah El Sheimy über den Konflikt zu sprechen.

    luhze: Warum stören sich Menschen überhaupt am Namen „Orientalisches Institut“ und weswegen wurde das Institut nicht gemeinsam mit der Fakultät umbenannt?

    Klemm: Das Problem, das viele mit dem Namen haben, beruht auf einem kritischen Diskurs, der die Institutionen, und somit auch die Universitäten, nach ihren möglichen Verflechtungen mit kolonialen und imperialen Kon­stellationen und Konzepten befragt. Die Auseinandersetzung damit fing mit Edward Saids Buch „Orientalism“ an, das stark in den sogenannten Orientwissenscha­ften eingeschla­gen ist. Es hat in Deutschland und in anderen Ländern durchaus zu Umbenennungen geführt, wenn auch nicht auf breiter Basis. Die Diskussion bewegt auch unser Fach und unser Institut. Aber eine Umbenennung heißt eben nicht nur, einen Namen abzulegen, sondern auch, ei­nen neuen Namen zu wählen. Ich denke, dass das in absehbarer Zeit im Orientalischen Institut der Fall sein wird.

    Ändert eine Umbenennung etwas am eigentlichen Problem?

    Eine Umbenennung sollte immer lebendig bleiben. Sie ist eine Aktion, die kritisches Den­ken in die Tat umsetzt: eine Landmarke in einem Diskurs. Dass dieses Zeichen weiterhin aussagekräftig bleibt, liegt in der Hand aller Beteiligten.

    Was stellen sich fachfremde Personen vor, was genau am „Orientalischen Institut“ gelehrt wird?

    Mal von der ganzen Orientalismus-Debatte abgesehen, drückt „orientalisch“ in keiner Weise aus, dass hier Wissenschaft betrieben wird. Ich persönlich denke, wenn ich das höre, sogar an die von Missionaren gegründeten Wunderkammern, oder die Kolonial­ausstellungen, in denen zur Schau gestellt wird, was in der exotischen fernen Welt gefunden wurde. Der Name hat keinen Informationsgehalt, im Gegenteil. Das ist neben meinem Blick auf die Fachgeschichte auch ein Grund, weswegen ich für die Umbe­nennung bin. Unsere Bachelor- und Masterstudiengänge heißen „Arabistik und Islamwissenschaft“, auch in absehbarer Zeit noch. Warum sollen wir in unserem Namen nicht gleichzeitig darüber informieren, was wir in diesem Institut lehren und forschen?

    Wie könnte das Institut stattdessen heißen?

    Einigen Mitarbeiter*innen ist wichtig, dass wir etwas Originelles finden, das sich von den üblichen Namen abhebt und die spezifische Leipziger Ausprägung des Instituts, zum Beispiel in der Ausbildung von Übersetzern, wiederspiegelt . Wir könnten uns auch standardmäßig „Arabistik“ oder „Arabistik und Islamwissen­schaft“ nennen. Arabistik um­fasst die arabische Sprache, Literatur und Kultur. Darüber gibt es meines Wissens keine kritische Debatte. Der Name entspricht auch dem Zuschnitt dieses Instituts: Arabistik und Arabisch stehen im Mittel­punkt, wir haben keine festen Stellen für Persisch, Türkisch und Indone­sisch. Um „Islam­wissen­schaft“ gibt es zwar keine aktuelle kritische Debatte, die könnte sich aber entfachen. Carl Heinrich Becker, Professor am Hamburger Kolonialinstitut, gilt als Begründer der moder­nen Islamwissenschaft und stand durchaus im Dienst der zeitgleichen deutschen kolo­nialen Interessen. Trotz­dem ist „Islamwissen­schaft“ ein Name vieler Institute.

    Wie stehen Forscher*innen, Dozent*innen und Studierende des Instituts zur Debatte? Gibt es unter ihnen Menschen, die die Debatte überhaupt nicht interessiert?

    Es interessiert eigentlich alle. Es gibt nur unterschiedliche Positionen, wie schnell man das jetzt angehen soll. Weil wir aber in unterschiedlichen Lehrbereichen aktiv sind und wir uns derzeit auch nicht im Institut begegnen, sitzen wir nicht dauernd zusammen und debattieren über den Namen. Ein wichtiges Thema ist es seit anderthalb oder zwei Jahren. Das kam durch besonders politisch aktive Studierende, die in der Hochschulgruppe „Kritische Islamwissenschaftler*innen und Arabist*innen“ arbeiten. Sie erwecken auch bundesweit Aufmerksamkeit. Eine Fachkollegin aus einer anderen Universität schlug vor, wir könnten in Leipzig doch eine Vorreiterrolle im Hinblick auf die Umbenennung einnehmen. Durch all das ist aktuell Druck da und es wäre auch nicht gut, wenn dieser Druck nachließe.

    Auf welchem Stand ist die Debatte derzeit innerhalb des Instituts?

    Sie war in den Winter hinein intensiv, dann kam coronabedingt der Minimalbetrieb. Gleichzeitig beschäftigen uns die Herausforderungen der digitalen Lehre und Prüfung. Aber das heißt nicht, dass solche Debatten nicht weitergeführt werden sollen. Ich bin interessiert daran, dass die Reform-Arbeitsgruppe, die 2020 von einigen Mitarbeiter*innen und Studierenden ins Leben gerufen wurde, weitaus öfter tagt, als sie es jetzt tut. Dazu ist sie eigentlich geschaffen worden und es steht ja auch eine Neu-Akkreditierung an. Es ist nicht einfach, die Diskussion in Zeiten, in denen man sich ja nicht im Institut trifft, am Laufen zu halten.

    Wie ist ihr eigener Standpunkt innerhalb der Diskussion?

    Ich plädiere für eine Umbenennung aus Gründen unserer Fachgeschichte vor allem im späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und weil wir diese ja auch laufend und systematisch in vielen Lehrveranstaltungen thematisieren. Wir sollten uns nicht mit einem Namen schmücken, der in so hohem Maße unzeitgemäß und missverständlich ist. Außerdem wiegen für mich Gründe der Sachlichkeit und des Informationsgehaltes. Ich glaube auch, dass wir als Institut ein gleichwertiger integrierter Teil und nicht Exoten innerhalb der Fakultät sein sollten. Diese Loyalität sollten wir der Fakultät gegenüber auf­bringen. Auch die Universitätsbibliothek hat ihre Zweigstelle im Fakultätsgebäude aus freien Stücken von „Bibliothek für Orientwissenschaften“ in „Bibliothek für Regionalwissenschaften“ umbenannt. Dazu muss man sagen, dass nicht alle Mitarbeiter*innen unseres Instituts die Diskussion innerhalb der Fakultät so eng mitbekommen haben, wie die Professor*innen, die wie wir die Diskus­sionen und Beschlüsse im Fa­kultätsrat kennen.

    Die finale Entscheidung über die Umbenennung hängt von Ihnen und Professor Maisel als den derzeit einzigen Professor*innen am Institut ab. Wie wird denn genau von der Gegenseite argumentiert?

    Wir haben die Mitarbeiter*innen befragt und nehmen ernst, was sie sagen. Auf der anderen Seite haben vor allem die Professor*innen die meiste Erfahrung, kennen die Debatte in der Fakultät und im Fach. Sie haben das große Panorama und sollten deswegen im Konsens entscheiden. Gegner einer zeitnahen Umbenennung verschieben diese auf Zeiten nach dem Generationenwechsel, in dem sich das Institut befindet. Der Name, so die Begründung, sollte auch zu den Konzepten der neuen Professor*innen passen. Schlussendlich überwiegen in meinen Augen die Argumente, die zur Umbenennung der Fakultät geführt haben. Warum soll man dies über Jahre hinweg aufschieben, wenn der kritische Geist längst eingezogen ist? Selbstverständlich werden Kolleg*innen auf die freiwerdenden Professuren berufen, die ebenfalls kritisch über unsere Fachgeschichte reflektieren. Und solange es den exklusiven Namen nicht gibt, ist „Arabistik und Islamwissenschaft“ eine sachliche Grundlage. So heißen unsere Studien­gänge, so kann das Institut auch in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten heißen. Es ist ja nicht so, dass der Name für immer bleiben muss.

    Titelfoto: Swen Reichhold, Universität Leipzig

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