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  • „Ich bin dann auf meinen eigenen Körper zurückgekommen, weil es für mich das Einfachste und Unproblematischste war“

    Vergangenen Monat erschien Lina Ehrentrauts neuer Comic „Melek + ich“. Im Interview mit luhze-Autorin Charlotte Nate spricht die Künstlerin über Queerness, Selbstliebe und Druck im Kreativbusiness.

    „Melek + ich“ erzählt die Geschichte von der zielstrebigen Wissenschaftlerin Nici, die eine Maschine baut, mit der sie in Parallelwelten reisen kann. Was als ambitioniertes Forschungsprojekt beginnt, entwickelt sich zum intensiven Auseinandersetzen mit der eigenen Person. Im neuen Körper, den sie Melek tauft, reist Nici in eine andere Dimension. Dort trifft sie auf Nici, eine alternative Version ihrer selbst – singt mit ihr Karaoke und beginnt eine Liebesbeziehung.

    luhze: Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Comic zu schreiben, in dem sich die Hauptperson in sich selbst verliebt?

    Ehrentraut: Es war gar nicht so, dass ich das von Anfang an geplant habe. Erst sollte es eine Liebesgeschichte zwischen zwei Freundinnen sein. Im Dialog sollten die inneren Konflikte der Hauptfigur abgebildet werden. Irgendwann habe ich gedacht: Es ist ja Fiktion, dann kann Nici ihre Struggles auch mit sich selbst austragen. Ich wollte zeigen, dass Menschen Seiten an sich haben, die sie selbst manchmal nicht gut akzeptieren können – dass sie Ambivalenzen in sich tragen. Und dass wir vor allem in Beziehungen Selbstreflexion betreiben. Mir fallen Dinge über mich selbst oft erst in Beziehung mit anderen Leuten auf.

    Findest du dich in deinem Comic selbst wieder?

    Generell kann man sagen, dass in der Geschichte viel von mir selbst steckt: In der Bar arbeiten, viel unterwegs sein, aber auch von Arbeit getrieben sein. Ich bin zwar keine Naturwissenschaftlerin, sondern Zeichnerin, aber im Prinzip kenne ich das auch. In der Geschichte denkt Melek nur an ihre Arbeit und Nici wirkt eher so, als ob sie im Fun-Life leben würde. Das sind zwei Seiten, die ich definitiv habe.

    Welche Bar war das Vorbild?

    Ich arbeite in der Bar „Liqwe“ (auf der Rudolph-Sack-Straße in Plagwitz, Anm. d. Red.). Sie gehört Freunden von mir. Während ich „Melek + ich“ gezeichnet habe, bin ich nach dem Atelier oft noch auf ein Bier oder ein Softgetränk vorbeigegangen und habe mich mit der Person hinter der Bar unterhalten. Die Bar hatte während des gesamten Projekts einen großen Stellenwert. Auch im Sozialleben.

    Bist du gerade mehr Melek oder mehr Nici?

    Auf jeden Fall mehr Nici. Ich weiß es nicht. Ich versuche, so zu sein. Ich liebe meine Arbeit, auch abgesehen vom Geld verdienen, aber es ist ein stetiges Abwägen von „wie viel arbeite ich?“. Es gibt einen großen Druck im Kreativbusiness immer neu zu produzieren. Davon möchte ich mich teilweise distanzieren. Um dann wieder zurückzukommen und Lust zu haben, weiterzumachen.

    Ich finde Nici sieht dir sehr ähnlich. In ihrer Mimik und Gestik erkennt man dich wieder.

    Verrückt, oder? Das sagen mir viele Leute.

    Wie bist du dann optisch auf die Figur von Melek gekommen?

    Ich habe mit Gegenteilen gearbeitet: Die eine hat kurze blonde Haare, die andere lange schwarze. Die eine hat dunkle, die andere helle, blaue Augen. Ich habe auch darüber nachgedacht, wie sehr sie sich körperlich unterscheiden sollen. Das war sehr schwierig für mich. Jetzt haben beide einen sehr ähnlichen Körper wie ich. Es ist eine Aussage, wenn Nici sich einen Körper bastelt, der zum Beispiel viel dünner als ihr eigener Körper ist. Was sagt das dann über Normschönheit aus? Es war ein wichtiges Statement für mich, dass beide nicht einen normschönen Körper haben. Ich bin dann auf meinen eigenen Körper zurückgekommen, weil es für mich das Einfachste und Unproblematischste war. Zu ihm habe ich Nähe.

    Was möchtest du mit der Geschichte sonst noch erzählen?

    Der sexuelle Aspekt ist mir wichtig. Es geht um eine sehr sexuelle Beziehung zwischen zwei Frauen, die sehr explizit dargestellt wird. In meinen Teenie-Jahren hat mir sowas gefehlt, teilweise auch heute noch. Ich meine Darstellungen von queeren Personen generell, aber auch nicht-klischée behaftete, sexuelle Darstellungen. „Melek + ich“ war von Anfang an als eine Sex-Geschichte zwischen zwei Frauen gedacht.

    In deinen vorherigen Werken hast du sexuelle Handlungen auch schon so explizit dargestellt, oder?

    Ja, Hetero-Sex und viel mit Masturbieren. Es ist einfach voll das präsente Thema in meinem Leben. Und obwohl Sex, emotional und auch körperlich, eigentlich total präsent ist, finde ich mich selten in Darstellungen davon wieder.

    Würdest du auch gern mal mit dir selbst rummachen?

    Ja, voll. Voll. Weiß nicht, ob das viele andere Leute auch haben, aber das ist eine basic Sexphantasie für mich. Etwas, was generell interessant ist: Wie wäre es, mich selbst zu treffen? Wie würde ich mich sehen? Würde ich mich mögen, was würde mich voll nerven, was würde ich cool an mir finden? Und auf das Sexuelle übertragen natürlich auch mega interessant. Wie fühle ich mich an für andere Leute?

    Wie lief dein Arbeitsprozess ab?

    Es war meine Diplomarbeit und ich habe sie letzten Februar beendet. Die Arbeit besteht aus Anziehsachen und dem Comic. Die Anziehsachen habe ich zuerst gemacht, durch sie sind die Figuren entstanden. Vor allem die zweite Nici lebt von ihrer bunten Kleidung. Die erste Nici, also Melek, trägt nur schwarz. Mit der Kleidung habe ich im Frühjahr 2019 angefangen, über den Sommer daran gearbeitet und sie im Herbst fertiggestellt. Währenddessen habe ich schon über die Geschichte nachgedacht. Gezeichnet habe ich dann von Oktober bis Januar.

    Hat der Comic die Beziehung zu dir selbst verändert?

    Ich glaube schon krass. Gerade in Bezug auf das Arbeiten. Im künstlerischen Bereich ist das sehr romantisiert, es ist ja schließlich die eigene Passion und sollte immer Spaß machen. So zu denken ist aber Trash. Natürlich macht künstlerische Arbeit Spaß, aber man kann auch in Frage stellen, warum jetzt gerade so viel gearbeitet werden muss. Dadurch, dass ich den Comic geschrieben habe, ist mir das so richtig bewusst geworden. Auf der einen Seite ist es krass, dass Nici diese Maschine baut, aber letzten Endes schafft es die zweite Nici auch. Und sie führt ein viel geileres Leben aus meiner Perspektive. Es muss nicht immer alles auf pressure funktionieren.

    Meinst du, daher kommt der Konflikt, der sich zwischen den beiden entwickelt?

    Ja. Auch weil Nici so unehrlich zu sich selbst ist. Es nervt sie irgendwann, dass die zweite Nici so locker drauf ist und Spaß hat. Und das ist doch generell das traurigste Zeichen, wenn Menschen davon genervt sind, dass es anderen gut geht.

    Haben dich Melek und Nici nach der Fertigstellung des Comics noch begleitet?

    Sie haben mich auf jeden Fall begleitet. Es ist krass, wenn du 250 Seiten lang die gleichen Figuren zeichnest, dann sind die automatisch drin. Wenn ich jetzt, ohne nachzudenken, ein Bild zeichne, dann sieht die Figur aus wie eine von den beiden. Ich habe die Geschichte bisher nicht weitergesponnen. Ich habe darüber nachgedacht, weil es dazu einladen würde. Es kann unendlich viele Versionen von den beiden geben, weil es unendlich viele Paralleluniversen geben kann. Aber ich denke, ich lass es erst mal darauf beruhen. Abgesehen davon habe ich mit zwei Freundinnen die Kleidung fotografiert. Am Ende gibt es dann ein Heft, in dem diese Fotos neben den Zeichnungen stehen. Ich mag das Vermengen. Das ist allerdings auch eine Schwierigkeit, denn ich habe Lust, tausend verschiedene Dinge zu machen.

    Und was tust du jetzt?

    Mit der Abgabe der Arbeit ging ziemlich genau das Corona-Jahr los. Das hat viel über den Haufen geworfen, was ich eigentlich machen wollte. Ich habe stattdessen viele kleine Sachen gemacht: Kurzgeschichten, Bilderserien, ein paar Jobs. Ich bin auch Teil eines Kollektivs, „Squash“, da bringen wir Hefte mit unseren Comics raus. Außerdem organisieren wir den Nachfolger vom Millionaires Club (Anm. d. Red.: Leipzigs jährliches Comic & Graphik Festival). „Snail Eye“ heißt es. Es ist mir wichtig, sich zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen.

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