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    Wir haben den Mann hinter „Fahrrad-Willy“ besucht. Und dabei mehr als nur eine Person kennengelernt.

    Ein weißer Lieferwagen hält vor einer vollgesprayten Metallwand. Die Tür wird geöffnet und ein Mann steigt auf die vom Regen feuchte Straße. Er ist vielleicht Mitte 40, trägt einen bequem aussehenden Kapuzenpulli und Jeans. Das ist Fahrrad-Willy. Er verkauft gebrauchte Räder.

    Anfangs tat er das noch von seinem eigenen Dachboden aus und später, als Nebenverdienst zu einem Bürojob bei einer Hausverwaltung, in einem kleinen Gewerberaum. Seit 2013 wird nun im Hinterhof auf der Bernhard-Göhring-Straße verkauft, einer Parallelstraße der Karl-Liebknecht-Straße. Mittlerweile hat er seinen Job im Immobiliengeschäft ganz aufgegeben, aus Zeitgründen und weil es ihm keinen Spaß machte. Nebenbei betreibt er selbstständig noch Immobiliengeschäfte, denn der Fahrradverkauf reicht nicht zur Existenzsicherung einer Familie.

    Hinter der vollgesprayten Metallwand befindet sich ein Innenhof. Inzwischen kommt die Sonne hinter den ausgeregneten Wolken hervor und lässt dort Blech und Stahl glitzern. Bunte Rahmen, Schutzbleche und Speichen von hunderten Fahrrädern sind auf zwei Etagen verteilt, gut sortiert und eng aneinander gereiht. Der Hof quillt fast über vor verkaufsbereiten Velos und Fahrradleichen, an denen demnächst noch rumgeschraubt werden soll. Genau das macht Martin gerade. Er ist gelernter Fahrzeugmechaniker und Willys rechte Hand. Vielleicht sogar mehr als das: Denn er ist derjenige, der tagtäglich vor Ort ist.

    Willy selbst verkauft gar keine gebrauchten Fahrräder mehr. Das macht Martin. Er repariert auch nicht mehr. Das macht Mammut, der Dritte im Bunde. Mammut ist Pakistani und 2014 nach Deutschland gekommen. Nach erfolgreicher Härtefallprüfung darf er nun in Leipzig bleiben und ist fest bei Willy angestellt. Und was macht Willy, wenn er Räder weder repariert noch verkauft? Er kauft sie ein. Dafür wühlt er sich durch Ebay-Kleinanzeigen und klappert mit seinem weißen Lieferwagen die Region rund um Leipzig ab. „Lieber auf die Dörfer“, meint Willy, „denn in der Stadt wird zu viel geklaut.“ Seine Räder werden vor dem Verkauf alle überprüft. Einmal, ob sie bei der Polizei als vermisst gemeldet worden sind. In den letzten sechs Jahren haben sich nur zwei Räder als gestohlen erwiesen. Zum anderen, ob sie auch richtig funktionieren.

    Wenn man „Fahrrad-Willy“ googelt, dann findet man größtenteils positive Bewertungen. Sie beschreiben einen freundlichen Umgang und faire Preise. Aber es gibt auch Gegenstimmen: Manche schreiben, dass ihre gekauften Räder schon schnell Macken aufwiesen. Manche, dass ihr Rad von Anfang an nicht verkehrstüchtig war. Wie geht man damit um? „Zufriedene Kunden sind die oberste Priorität“, sagt Martin, „wir leben ja von Mund-zu-Mund Propaganda“. Dass bei 20 bis 30 Jahre alten Rädern aber mal was sein kann, das sei eben so. Man dürfe keine Neuräder erwarten, aber sollte „gemeinsam eine Lösung finden“, sagt Willy. Dafür stünde die Tür zum Hinterhof für Kund*innen jederzeit offen.

    Martin, der gebürtig aus dem Ruhrgebiet stammt, wird oft mit Willy verwechselt. Deshalb hat er auf eine Tasse „Ich bin Martin“ drucken lassen. Er wollte damals unbedingt bei Willy anfangen: „Ich hab ihn erst ein bisschen überreden müssen, dass wir’s miteinander versuchen“, erklärt er, „seitdem ist es aber ein Win-Win.“ Willy bestätigt das mit einem Lachen. Mammut zentriert währenddessen ein Laufrad.

    Wer High-End Fahrrad-Komponenten sucht, ist bei Fahrrad-Willy wahrscheinlich an der falschen Adresse. Aber ein unauffälliges Stadtrad für jeden Tag, mit etwas Verhandlungsgeschick auch für einen guten Preis, das findet man hier ganz sicher. Und noch dazu ein in sich eingespieltes Team von Gebrauchtradenthusiasten.

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