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  • Bitte schickt mir keine Sprachnachrichten

    Kolumnist Jonas findet es egoistisch und rücksichtslos, Sprachnachrichten zu verschicken. Ein Plädoyer für das geschriebene Wort.

    Sprachnachrichten sind grauenvoll, sie zu verschicken egoistisch. So, es ist raus. Ein Stein fällt mir von der Seele, plumpst auf den Boden der Realität und überrollt rasch die Freundschaften, die ich zu Sprachnachrichten verschickenden Menschen aufgebaut habe. Denn sie ist weit verbreitet, die Sprachnachricht. Dieses Ungetüm ungehemmter Rücksichtslosigkeit.

    Kolumnist Jonas

    Kolumnist Jonas hat in seinem Leben natürlich auch schon Sprachnachrichten verschickt. Aber er hat sich dabei auch immer schlecht gefühlt.

    Jedes Mal, wenn ich eine Sprachnachricht bekomme, werde ich ein bisschen unglücklicher. Es passiert nicht selten, dass ich Wochen brauche, bis ich mir eine Sprachnachricht angehört habe, und manchmal ist mir das so unangenehm, dass die Konversation vollends abbricht. Vor mir selbst rechtfertige ich meine Abneigung gegen Sprachnachrichten, die man auch einfach Faulheit nennen könnte, so: Eine Sprachnachricht zu verschicken lastet die Arbeit der eigenen Kommunikation dem*der Kommunikationspartner*in an. Man spart sich selbst die Mühe, zu tippen, und zwingt die andere Person zum Anhören. Das Anhören dauert dabei aus zwei Gründen länger als das Lesen einer Nachricht mit gleichem Inhalt: Erstens spricht man langsamer als man liest. Und zweitens gibt es keine Sprachnachricht, die ohne eine Vielzahl von „äh‘s“, „ähm‘s“ und „genau‘s“ auskommt. Ein einfaches „Ja, machen wir so“ kann 30 Sekunden dauern, wie sicherlich jede*r schon einmal bemerkt hat.

    Außerdem sind sie für den*die Hörer*in wahnsinnig unnützlich. Ich gucke eine Serie und will fix antworten? Geht nicht. Ich bin in der Tram und habe keine Kopfhörer dabei? Pech gehabt. Mit Freund*innen – post- oder prä-Pandemie – unterwegs? Entferne dich bitte von der Gruppe, um anderthalb Minuten mit dem Handy waagerecht an den Kopf angelehnt entschuldigend zu ihnen herüberzuschauen. Besonders schrecklich sind natürlich Sprachnachrichten in Gruppen, weil man nur eine verpasst haben muss, um komplett den Anschluss zu verlieren. Und am allerschlimmsten sind Sprachnachrichten, die wichtige Informationen enthalten. Als ich noch einmal nachschauen wollte, wie viele Leute zum von mir organisierten Klassentreffen kommen wollten, musste ich mich durch dutzende Sprachnachrichten wühlen, bevor ich endlich mit Sicherheit wusste, wer zu- und abgesagt hatte. Und noch ein Nachteil: In der Vorschau lässt sich nicht erkennen, ob die Nachricht wichtig ist, wie es beim geschriebenen Wort der Fall wäre.

    Es gibt natürlich einzelne Situationen, in denen es vertretbar ist, eine Sprachnachricht zu verschicken. Wenn es kalt ist und man zur Bushaltestelle läuft, ist es schwierig und unangenehm zu tippen (wobei man sich hier fragen könnte, ob die Nachricht nicht auch noch im Bus verschickt werden könnte). Und die um zwei Uhr nachts auf dem Nachhauseweg aufgenommene, fünfzehnminütige Sprachnachricht hat ebenso ihren Platz in meinem Herzen wie die lange, dramatische Geschichte meines besten Freundes, der am anderen Ende des Landes lebt. Die beiden vereint ihr Mangel an später noch einmal nötigen Informationen und ihre Länge, die Tippen wirklich nervig macht. Meine Faustregel dazu ist, wie oben angedeutet, dass alles unter neun Minuten tippbar ist. Und wenn es viele relevante Informationen sind, nun ja, dann ist das eben so.

    Ich fühle mich schlecht, dir, liebe*r Sprachnachrichten verschickenden Leser*in, Egoismus vorzuwerfen. Und eigentlich will ich dir nicht dein Kommunikationsverhalten vorschreiben. Aber bitte, bitte schreib mir und lass den Finger vom Knopf mit dem Mikrofon. Die Sprache-zu-Text-Technologie ist inzwischen ziemlich ausgereift. Nur so als Tipp.

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