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  • Ländliches Leben auf der Lobelei

    Drei Familien leben zusammen in einem alternativen Wohnprojekt auf einem Hof nahe Leipzig. Sie setzen dabei voll auf Natur und Gemeinschaft.

    Dieser Tage sind die eigenen vier Wände und der eigene Haushalt pandemiebedingt zum absoluten Lebensmittelpunkt geworden. Dadurch rückt nicht nur die Art des Wohnens und Zusammenlebens generell mehr in den Vordergrund, sondern vor allem auch die Probleme, die sich häufig in und aus den konventionellen Wohnformen ergeben. Streit mit Nachbarschaft und Vermietung werden nun umso unangenehmer, zweckmäßiges Nebeneinanderherleben und Vereinsamung fallen besonders ins Gewicht.

    Dass dem von vornherein entgegengewirkt werden kann und Wohnen auch grundsätzlich anders denk- und umsetzbar ist, ist die Grundidee von alternativen Wohnprojekten wie der Lobelei, welche sich auf einem idyllischen Hof in Lobstädt im Landkreis Leipzig befindet. Durch bereits zuvor bestehende Kontakte einiger Bewohner*innen in die Leipziger Wohn- und Hausprojektszene sind diese im Jahr 2014 auf den besagten Hof an der Pleiße aufmerksam geworden, haben ihn gekauft, saniert, und ihren alternativen Zugang zum Leben und Zusammenleben dort verwirklicht.

    Derzeit wohnen drei Familien, sechs Erwachsene und sechs Kinder, zusammen in dem Haupthaus. Die Erwachsenen, allesamt Pädagog*innen an derselben Schule, seien „eine Mischung aus sehr guten Freunden und Kollegen, die zu sehr guten Freunden geworden sind“, erzählt Stefan Zabel, Bewohner der Lobelei. Teilweise haben Freundschaften und Beziehungen so schon länger bestanden, teils sich im Laufe der Zeit durch die gemeinsame Projektidee oder die Liebe ergeben. Neben dem Haupthaus befinden sich auf dem Hof noch eine Scheune, die die Bewohner*innen momentan sanieren und die künftig unter anderem zum Veranstaltungs- und Begegnungsort werden soll, sowie eine Werkstatt, die vor allem für Holzarbeiten genutzt wird. Umgeben sind diese Gebäude dann von einem großen Garten und einer Obstbaumwiese, die nicht nur Platz für Seidenhühner, Laufenten, Schafe, Minischweine und Bienenschwärme bieten, sondern auch Obst und Gemüse zur Selbstversorgung liefern.

    Neben der naturnahen Lebensweise stehen vor allem die Gemeinschaft und das Zusammenbringen von Menschen im Mittelpunkt des Wohnprojekts. „Ein Anliegen von uns ist immer, Fläche für Gemeinschaft zu schaffen, für Begegnung“, erklärt Zabel. Dies tun sie im eigenen Haus, indem sie neben den Zimmern, die den einzelnen Familien zugeteilt sind, eine große Gemeinschaftsküche mit Koch-, Ess- und Spielbereich geschaffen haben. Dort findet mittwochabends dann auch das wöchentliche Plenum statt, bei dem die für das Zusammenleben relevanten Themen besprochen werden, immer unter den Vorzeichen gemeinschaftlichen Denkens und der Suche nach konkreten Lösungen. Der Wunsch nach Gemeinschaft und Begegnung erschöpft sich aber nicht im Internen, sondern besteht auch und gerade erst im Kontakt mit dem unmittelbaren und entfernteren Umfeld: Mit den alteingesessenen Nachbarn sei inzwischen eine Art kleiner Mikrokosmos entstanden, in dem Gemüse getauscht wird und deren Enkelkinder zusammen mit den Kindern auf der Straße spielen. Außerdem organisieren die Bewohner*innen der Lobelei zu nicht-pandemischen Zeiten „Hoftage“ für Kindergärten und Schulen, Workshops zu Obstbaumschnitt oder Mähen mit der Sense, sowie Feste, die allen offenstehen.

    So wenig der Fokus des Wohnprojekts damit auf Finanziellem liegt, muss dafür trotzdem ein Rahmen bestehen, in dem das Hofleben überhaupt erst stattfinden kann. Dabei hat sich die Lobelei für eine Zusammenarbeit mit dem Mietshäuser Syndikat entschieden, einer nicht-kommerziellen Beteiligungsgesellschaft, welche sie in finanziellen und verwaltungstechnischen Fragen berät und das Ziel mitverfolgt, den Hof in Gemeineigentum überzuführen und für immer dem Markt zu entziehen. Dafür haben sich der eigens zu diesem Zweck gegründete Hausverein der Lobelei und das Syndikat in einer GmbH zusammengeschlossen, die dann den Hof erworben hat. Für die Finanzierung, die Gestaltung der Gebäude und die Organisation sind und waren die Bewohner*innen der Lobelei allerdings vollkommen selbst zuständig. Das Syndikat hat, neben jener erwähnten rein beratenden, noch kontrollierende Funktion: Falls jemand den Hof doch wieder auf den Markt bringen wollte oder sich sonst finanziell damit bereichern, würde das Syndikat sein Veto einlegen und derartige Unterfangen verhindern.

    Ist diese Art des Wohnens nun nur Verwirklichung des eigenen spezifischen Glücks der Lobelei-Bewohner*innen oder ein salonfähiger alternativer Wohnentwurf, der mehreren Menschen guttun würde? Den Bewohner*innen der Lobelei ist es jedenfalls ein Anliegen, ihre Art des Wohnens nach außen zu tragen. Besonders im ersten Lockdown im Frühjahr sei ihnen auch aufgefallen, dass durch das gemeinschaftliche Leben jene Art von Isolation, die so vielen zu schaffen machte, überhaupt nicht aufgekommen sei. „Deswegen würde ich jedem, der dazu in der Lage ist oder der sagt, er braucht den anderen, um Lebensgefühl zu haben, empfehlen, sich eine Gemeinschaft zu suchen“, resümiert Zabel.

    Titelfoto: Die Lobelei

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