Geld, Gerechtigkeit und Formblatt Fünf
Kolumnist Jonas wartet auf seinen Bafög-Bescheid. Und wünscht sich mehr Spielraum für Bafög-Empfänger*innen.
Der November ist für mich ein Monat des Bangens. Jeden Tag schaue ich in den Briefkasten und hoffe auf einen Umschlag mit dem Absender Studentenwerk Leipzig. Im November bekomme ich Antwort, ob ich weiterhin Bafög erhalte, oder, wahrscheinlicher: Was ich jetzt noch nachreichen muss. Denn unwahrscheinlicher als einen Bafög-Antrag beim ersten Versuch vollständig einzureichen, ist nur, dass in Sachsen eine größere Demo ohne darauffolgende Rücktrittsforderungen an den Innenminister stattfindet. Kontoauszug (nicht älter als zwei Wochen), Mietvertrag, Immatrikulationsbescheinigung, Arbeitsverträge, Lohnnachweise. Dann noch eine detaillierte Auflistung, was unter „Sonstige Vermögensgegenstände“ fällt, nur zur Sicherheit. Eine meiner großen Ängste ist es, dem Bafög-Amt irgendetwas nicht transparent genug dargelegt zu haben. Denn wenn sie auch nur denken, hereingelegt worden zu sein, habe ich ein Gerichtsverfahren am Hals. Es gibt diese Horrorgeschichte, die eine Freundin meiner Mutter erzählt: Ihre zwei Töchter hatten ein gemeinsames Sparkonto, für den Bafög-Antrag haben sie jeweils die Hälfte des Betrags darauf angegeben. Als das Amt nach drei Jahren das Konto entdeckte, mussten sie ihr gesamtes Bafög auf einen Schlag, inklusive Zinsen, zurückzahlen. Dank dieser Geschichte bin ich umso penibler darauf bedacht, ja nichts zu vergessen, wenn ich den Antrag ausfülle.
Mein Verhältnis zum Bafög ist ein gespaltenes. Ich bin unheimlich froh, dass mein Studium vom Staat finanziert wird. Damit geht es mir besser als Studierenden in vielen anderen Ländern. Gleichzeitig stieß es mir schon in der Schule sauer auf, wenn mich meine Klassenkamerad*innen darum beneideten, dass ich wahrscheinlich Bafög beziehen werde. Tut mir wirklich leid, dass du dich nicht verschulden darfst, weil deine Eltern Geld haben, Moritz. Zwar werde ich weniger als die Hälfte dessen, was ich bekommen habe, zurückzahlen müssen, denn ich bekomme normalerweise knapp weniger als den Höchstsatz. Aber die 10.010 Euro sind trotzdem kein Spaß.
Wichtiger ist jedoch, dass ich viel weniger Spielraum in meiner Studiengestaltung habe als diejenigen, deren Studium von ihren Eltern finanziert wird. Ich habe drei Jahre Zeit für meinen Bachelor, zwei für den Master. Ehrenamtliches Engagement, un- oder schlecht bezahlte Praktika und netzwerkbildende SHK-Stellen muss ich in diesen drei Jahren unterbringen oder für die Zeit sparen, die ich überziehe. Sparen darf ich aber nicht mehr als 7.500 Euro, dann gibt es nämlich gar kein Bafög. Und einen zweiten Bachelor zu machen, kann ich mir gleich abschminken. Wer Bafög bekommt, soll gefälligst keine Fehler in der Wahl des Studiums machen – den Studiengang zu wechseln ist genau einmal erlaubt –, dabei bloß nicht für die Zukunft vorsorgen und so schnell wie möglich studieren. Dafür sorgt schon das berüchtigte Formblatt Fünf, denn schon wer nach vier Semestern nicht genug ECTS-Punkte auf dem Konto hat, wird nicht weiter gefördert. Spenden darf ich übrigens auch nicht, wenn es so aussieht, als wolle ich dadurch unter den 7.500-Euro-Freibetrag kommen. Das Geld soll bitteschön der Volkswirtschaft zugeführt werden. Frei verfügen darf darüber nur, wer keinen Antrag dafür stellt.
Man könnte jetzt argumentieren, dass ich, wenn ich mehr als 7.500 Euro habe, gar kein Bafög brauche. Anscheinend verdiene ich schließlich nebenbei genug. Das ist aber nicht der Punkt. Gerechtigkeit – und dafür ist das Bafög da – bedeutet nicht, nur bis zu dem Punkt unterstützt zu werden, an dem man beim Marathon fast zu denen aufgeschlossen hat, die ein paar Kilometer vor einem gestartet sind. Gerechtigkeit bedeutet auch, überholen zu dürfen, wenn man dafür gearbeitet hat, und auch, wenn man einfach nur Glück hatte, denn Glück ist allen gestattet. Es bedeutet, die gleichen Möglichkeiten zur inner- und außeruniversitären Weiterbildung, zum ehrenamtlichen Engagement, zum Sparen, zum Fehlermachen und, ja, zum Lebenslauf-Aufbessern zu haben. Denn all das kann für ein Berufsleben ebenso, wenn nicht sogar wichtiger als das schnöde Sammeln von ECTS-Punkten sein. All das möchte ich genauso dürfen wie diejenigen, denen es leider nicht erlaubt ist, sich zu verschulden. Auch das ist Teil von Bildungsgerechtigkeit. Die Bafög-Töpfe der Länder werden ohnehin nie vollständig aufgebraucht.
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