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  • Das perfekte Foto

    Kolumnistin Sophie hat eine große Leidenschaft für Fotos. Das beste je gemachte Bild auszuwählen, sollte es überhaupt existieren, fällt ihr schwer.

    Wenn Freunde zum ersten Mal meine Wohnung betreten, sind sie oft etwas erschlagen. Nicht etwa vom tollen Ausblick in die gegenüberliegende Küche meines Nachbarn oder dem ach-so-schönen Laminat. Das Erstaunen basiert meistens darauf, dass meine drei Meter hohen Altbauwände fast lückenlos mit Fotografien vollgehängt sind. Man könnte meinen, mein Wohnzimmer sei eine Galerie.

    Basierend auf meinem sehr offensichtlichen Interesse für die Thematik kommt in Gesprächen mitunter die Frage auf, welches wohl das beste je gemachte Foto ist. Darauf weiß ich aber, wie viele andere wahrscheinlich auch, keine Antwort. Ich kann jeden noch so uninteressierten Menschen damit zutexten, dass ich denke, dass Sebastião Salgado der wahrscheinlich beste Fotograf dieser Welt ist. Aber ein einzelnes Bild? Schwierig.

    Kolumnistin Sophie ist immer auf der Suche nach dem perfekten Foto.

    Dieser Superlativ ist natürlich eine sehr subjektive Angelegenheit. Würde ich nur aus meinen eigenen Fotos auswählen, kommen mir durchaus ein paar in den Sinn, die diesen Titel verdient hätten. Dann wäre die Aussage aber „Das beste je von Sophie gemachte Foto.“ Dinge in Kategorien einzuteilen hilft uns ja bekanntlich, sie zu beurteilen. Aber was würde ein „bestes Bild“ ausmachen, müssten wir tatsächlich aus allen vorhandenen Fotografien wählen?

    Meistens sind der richtige Umgang mit Belichtung, Sensortechnik und dem Objektiv von Vorteil. Ich, für meinen Teil, bin ein großer Fan von Perfektion, aber oft ist gerade das Unperfekte das, was ein Bild besonders macht. Jack Thornells „The Shooting of James Meredith“ gewann 1967 den Pulitzer Preis in der Kategorie Fotografie. Das Bild ist in Teilen unscharf und ein bisschen verwackelt. Dadurch wird die Wirksamkeit des Fotos aber in keiner Weise minimiert. Die „fehlende“ Perfektion macht das Bild ausdrucksstark und vermittelt die Dringlichkeit der Situation wesentlich besser als ein technisch perfektes Foto es gekonnt hätte. Der richtige Blick für die Situation ist also am Ende wesentlich wichtiger als die technische Perfektion im Foto.

    Viele der bekanntesten Fotografien haben eins gemeinsam: Das perfekte Timing, was das gewisse Etwas ausmacht. Gute Beispiele dafür sind Sam Shaws Bild von Marilyn Monroe über dem Lüftungsschacht oder Peter Leibings Bild von Konrad Schumann an der Berliner Mauer. Diese Bilder wären nichts geworden, wären sie nur eine oder zwei Sekunden später geschossen worden.

    Zum richtigen Timing gehört eindeutig eine ordentliche Prise Glück. Egal ob es um den Luftzug aus einem Schacht geht, der genau im richtigen Moment kommt, oder um einen Mann, der, vereinfacht gesagt, über einen Zaun springt. Das perfekte Timing macht oft das aus, was einem Bild das Potential zum „besten“ geben kann.

    Ich erinnere mich gut an eine Situation beim Vorstellungsabend an einer Hochschule für Fotografie, bei dem ich einem Gespräch zwischen einem jungen Fotografen und einem Professor zugeschaut habe. Dieser Mann hatte bereits seine gesamte Bewerbungsmappe mitgebracht und zeigte diese nun dem Professor. Ich, in Erwartung etwas Grandioses zu sehen, schaute mir die Bilder von der Seite an und war, gelinde gesagt, enttäuscht. Der Mann hatte viele Fotos von gemalten Kringeln gemacht – und war begeistert. Die Sache war mir eindeutig etwas suspekt und als ich den skeptischen Blick des Professors sah, habe ich etwas aufgeatmet. Was mir bei den Bildern gefehlt hat, war eindeutig das nicht übermittelte Gefühl. Die Kringel waren Kringel, und mehr nicht.

    Ein gefühlvolles Gegenbeispiel wäre Sebastião Salgados Bild einer blinden Tuareg-Frau. Im Endeffekt ist es nur das Abbild einer Frau, aber das Bild vermittelt so viel Gefühl, dass es den Betrachtenden als besonders in Erinnerung bleibt.

    Das übermittelte Gefühl macht einen großen Teil dessen aus, was ein Bild zu einem besonderen macht.

    Was am Ende das beste je gemachte Foto ist, bleibt eine individuelle und sehr schwierige Entscheidung. Die Jury des Sony World Photography Awards, einer der renommiertesten Fotografiewettbewerbe dieses Planeten, will sich nicht festlegen. Sie zeichnen jedes Jahr den Fotografen mit der besten Serie aus. Ein einzelnes Bild auszuwählen scheint schier unmöglich.

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