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  • Unter dem Aluhut

    Verschwörungstheorien erleben durch die Pandemie einen Aufschwung. Ihre Anhänger*innen gehen gegen die Corona-Auflagen auf die Straße, zuletzt am Samstag in Berlin. Was hinter dem Phänomen steckt.

    In Krisenzeiten wie der Pandemie sind Unsicherheit und Skepsis an der Tagesordnung. Das ist erstmal normal und berechtigt, jedoch entwickelt sich bei einigen diese Unsicherheit in den Glauben an eine Verschwörung, die hinter den ergriffenen Maßnahmen oder dem Virus selbst steht.

    „Wir alle glauben an die Existenz von Verschwörung, zum Beispiel an die Verschwörung zur Ermordung Cäsars, an alle möglichen Umsturzversuche. Zumindest jeder politisch denkende Mensch hat schon einmal verschwörungstheoretisch spekuliert“, erklärt Oliver Kuhn, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

    Verschwörungsannahmen handeln davon, dass mächtige Akteure sich im Geheimen zusammentun, um dem Gemeinwohl zu schaden und ihre partikularen Ziele durchzusetzen, sagt Uwe Krüger, der Kommunikationswissenschaftler an der Universität Leipzig ist. Für ihn ist der Begriff „Verschwörungstheorie“ zu schwammig, weil er oft als Kampfbegriff gegen alternative Deutungen oder unliebsame Mutmaßungen verwendet werde und potenziell auch legitime Kritik delegitimiere. Krüger teilt das Phänomen in Verschwörungs­hypo­the­sen und Verschwö­rungs­ideo­logien auf. Die Hypothesen sind rational begründet und empirisch korrekturfähig und somit legitim. „Ohne sie könnten investigative Journalistinnen oder Staatsanwälte nicht sinnvoll zu Korruption oder Lobbyismus recherchieren“, sagt Krüger. Verschwörungsideologien hingegen bedienen sich abseits aller Fakten an bestimmten Feindbildern und immunisieren sich gegen Korrekturen und Argumente. „Sie können großen Schaden anrichten, historisch gesehen bis hin zum Holocaust.“

    Es gibt viele Gründe dafür, dass Menschen an Verschwörungsmythen glauben oder sie verbreiten. „Fehlt das Vertrauen in Wissenschaftlerinnen, Presse, Politik, kann man deren versammeltes Wissen zugunsten selbstgemachter, meist einfacherer Thesen ablehnen“, sagt Kuhn. Auch monetäre und politische Interessen spielen eine Rolle. Die Corona-Mythen gelten als eine Form der sozialen Erklärung, „der Zurechnung von schwer erklärbaren oder unliebsamen Phänomenen auf die üblen Absichten einer geheim­handeln­den Gruppe“, so Kuhn.

    Krüger ist es wichtig, dass Anhänger*innen von Verschwörungsannahmen nicht patho­lo­gisiert werden. Verschwö­rungs­glaube zeige vielmehr, dass die jeweiligen Vertreter*innen sich ohnmächtig, benachteiligt und sozial randständig fühlen. „Und das oft nicht zu Unrecht.“ Man könne Verschwörungstheorien als über­zogene Form der Elitenkritik ansehen, die teilweise ei­nen berechtigten Kern haben kö­nn­en.

    Die Bedingungen für die Entstehung der Corona-Mythen scheinen plausibel: „Die Politik musste in kurzer Zeit auf unsicheren Grund­lagen gravierende Entschei­dungen über weitgehende und teils sehr schmerzhafte Einschränkungen des ge­sellschaftlichen Lebens tref­fen“, sagt Kuhn. Mangels Zeit seien wichtige politische und rechtliche Gepflogenheiten zum Teil ausgesetzt und Gegenmeinungen moralisch stigmatisiert worden – „nicht nur sei­tens der Politik, sondern auch medial“.

    Um Verschwörungstheorien zu entkräften, solle man laut Kuhn zunächst auf Selbstverständlichkeiten hinweisen. Damit ist etwa die Unwahr­scheinlichkeit gemeint, eine große Zahl von Teilnehmer*innen auf Verschwiegenheit zu verpflichten. Aber auch, dass viele Phänomene ohne böse Absichten erklärbar sind. Dann könne man konkrete Behauptungen widerlegen. „Viele besitzen jedoch einen Glaubens­kern, der gegen Widerlegung geschützt wird“, sagt Kuhn. Wichtig sei deswegen, den Verschwörungstheoretiker*innen die Beweispflicht aufzubürden. Sollte es zur eigenen Verunsicherung kommen, sei eine gute Richtlinie für sich selbst und andere: „Beweise oder leise.“

    Foto: René Loch

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