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  • „Philosophie ist eine Tätigkeit“

    Die Leipziger Schriften sind ein Philosophie-Magazin von Studierenden der Universität Leipzig. Im Januar erschien die erste Ausgabe. Herausgeberin Anna Oswald und Redakteurin Jana Baum im Interview.

    luhze-Autorin Margarita Savina sprach mit der Herausgeberin der Leipziger Schriften Anna Oswald und Redakteurin Jana Baum darüber, wie Philosophie jeden von uns alltäglich und unweigerlich begleitet und darü­ber, ob nicht in jedem von uns ein Philosoph steckt.

    luhze: Wie sind die Leipziger Schriften entstanden?

    Jana Baum: Die Leipziger Schriften sind ein Projekt von Philosophiestudierenden, die sich nor­malerweise wöchentlich in Leip­ziger Kneipen treffen, über unterschiedliche philosophische Themen austauschen und diese in gesammelten Texten in einem selbstkreierten Philosophie-Magazin heraus­brin­gen. Die erste Ausgabe er­schien im Januar 2018. Ein Grundgedanke ist, Studieninhalte auf eine andere Art zu verarbeiten, als es sonst üblich ist. Es ist auch eine eigene neue Plattform, um über philosophische Themen zu reden, zu schreiben und nachzudenken.

    Anna Oswald: Es soll ein Nachaußentragen dessen sein, was wir an der Uni behandeln, aber nicht darauf beschränkt sein. Deswegen haben wir manchmal Schwierigkeiten zu entscheiden, welchen Artikel wir aufnehmen, bezogen auf Qualität und Schwierigkeitsgrad für den Lesenden. Das ist auch eine unserer Herausforderungen – uns zu definieren. Sind wir jetzt mehr auf der wissenschaftlichen oder der feuilletonistischen Seite angesiedelt? Aber der wesentliche Fokus liegt auf dem geistigen Geschehen an der Universität.

    Macht ihr alles selbst?

    Jana: Ja, das Redaktionsteam ändert sich zwar von Ausgabe zu Ausgabe, aber bei jeder Ausgabe gibt es einen festen Kern von fünf bis sechs Redakteuren, die neben dem Verfassen auch am Lektorat, Layout und der Illustration beteiligt sind.

    Wie finanziert ihr euch?

    Anna: Wir werden von mehreren Fachschaftsräten und dem Studierendenrat unterstützt und erhalten Spenden, um den Druck zu finanzieren. Deshalb wissen wir auch nicht, wie es in Zukunft weitergeht. Es hängt sehr davon ab, ob sich unsere Leser und Interessierte auch weiterhin für uns engagieren und sich am Projekt beteiligen.

    Wie wird die Zeitschrift verteilt?

    Anna: Wir verteilen selbst. Es wird wieder einen Stand am Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Universität Leipzig geben. Aber wir suchen auch nach weiteren Standorten, wo man die Zeitschrift auslegen kann: Cafés, Bars, Restaurants, sodass es nicht nur Menschen von der Uni erreicht.

    Was bedeutet Philosophie für euch?

    Jana: Das ist eine Frage, die auch Philosophen manchmal Schwierigkeiten bereitet. Etwa: Wo hört Philosophie auf und wo fängt Politikwissenschaft an? Oder: Was ist die letztlich richtige Methode, um zu philosophieren? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Es ist eine philosophische Frage für sich. Anna: Aus meiner Sicht beginnt Philosophie dort, wo man auf­hört, zu verstehen, was man davor schon verstanden hat. Wir Philosophen erfinden in dem Sinne nichts, was die Welt oder der Mensch unbedingt braucht, damit er endlich er selbst sein kann. Wir versuchen zu verstehen, was wir meinen, immer schon verstanden zu haben. Es ist Denken über das Denken. Eine gegenteilige Auffassung ist, dass Philosophie nach einem quantitativen Mehr strebt, also versucht etwas Neues zu entdecken oder zu erfinden.

    Unterscheidet sich Philosophie von damals und heute?

    Anna: Ich würde sagen, dass bei den philosophischen Fragen aus der Antike in gewisser Weise alles enthalten ist. Philosophie an sich ist eine Tätigkeit. Es ist kein Fach, das daraus besteht, eine Menge an Gesetzen aufzuschreiben und diese festzuhalten. Man muss nicht auswendig lernen. Philosophie muss man stetig praktizieren, um sie immer wieder neu zu verstehen. Die Texte der Tradition versteht man deswegen nicht einfach so, sie verlangen uns etwas ab, sie erfordern unsere Tätigkeit.

    Es ist also keine einmal gesetzte Maxime, sondern muss immer neu entdeckt werden?

    Jana: Ja. Und je nach Kontext neu angewendet werden. Zum Beispiel in der modernen angewandten Philosophie, bei Themen wie Transhumanismus. Also das Aufeinanderprallen von Mensch und Maschine. Können Maschinen sein wie Menschen und wenn nicht, was ist der Unterschied? Im Grunde ist das zwar eine Frage, die es schon lange gibt: Was macht Menschen zu Menschen, also was ist das menschliche Sein? Aber hier in einem ganz neuen Kontext.

    Braucht man die Philosophie bei so vielen wissenschaftlichen Entdeckungen noch? Man weiß ja nun, dass die Erde nicht platt ist und alle Dinge aus Molekülen bestehen.

    Jana: Unbedingt. Es gibt auch Fragen, für die es keine wissenschaftliche Erklärung gibt. wie zum Beispiel die Frage nach dem freien Willen in einer scheinbar determinierten Welt. Anna: Stimmt, darüber schreibst du ja auch gerade deinen Beitrag für die nächste Ausgabe. Geist stellt zum Beispiel bei Gilbert Ryle eine ganz andere Kategorie dar und innerhalb dieser machen Philosophen auch eine ganz andere Art von Aussagen, als es andere Wissenschaftler tun. Das bedeutet auch, dass Philosophen und andere Wissenschaftler gar nicht in Konkurrenz zueinander stehen.

    Aber ist die Frage nach dem Sein nicht eine wissenschaftliche, nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten?

    Jana: Wenn man die gesamte Welt mit Naturgesetzen erklären könnte, würde sie nur aus Ursache-Wirkung-Ketten bestehen. Dann wären zum Zeitpunkt der Geburt eines jeden Menschen alle seine Entscheidungen determiniert. Der Verlauf seines gesamten Lebens wäre vor­bestimmt, bis zur Entscheidung, welches Café er heute besuchen wird. Dagegen spricht unser Gefühl, dass wir als freie Lebewesen unsere Entscheidungen frei treffen. Und entweder man sagt, das ist ein großer Widerspruch oder man sagt, es ist kein Widerspruch, sondern andere Kategorien, andere Dimensionen, in denen man denkt.

    Anna: Ich denke, bei dieser Frage ist die Hegelsche Unterscheidung, also die Unterscheidung von Verstand und Vernunft sehr hilfreich. Kausalität erkennt unser Verstand an. Er kann abstrahieren, kann von der mannigfaltigen Welt der Phänomene Theorien abziehen, er kann Gesetze aufstellen. Aber diese Prozesse sind alle bereits Aspekte des Denkens. Alle Wissenschaftler denken schon und untersuchen nicht erst das Denken. Das Denken wird vorausgesetzt und nur so können die physikalischen Gesetze verstanden werden. In der Philosophie wird das Denken selbst untersucht, in den Naturwissenschaften wird es angewendet. Des­wegen macht Hegel die Unter­scheidung zur Vernunft. Die Philosophie bewegt sich nicht auf der Ebene des bloßen Verstandes und auch unser ganzer Lebensprozess vollzieht sich jenseits dieser Schranke. Bei der Vernunft ist das Denken in einem anderen Moment: Es ist lebendig.

    1.000 Exemplare hatte die erste Ausgabe.

    Muss man Philosoph sein, um richtig philosophieren zu können?

    Anna: Ich habe damals die gleiche Frage in unserer ersten Ausgabe an meine Professorin gestellt. Das Interessante ist, dass die Leipziger Schriften wahrscheinlich genau diese Schwierigkeit ertragen wollen: dass jeder Mensch irgendwie schon immer mitten im Philosophieren ist, in einer Art von Selbstreflexion, in der er sich selbst durchdringen will. Jeder Mensch ist mit dem metaphysischen Faktum konfrontiert: „Wieso gibt es etwas und nicht nichts?“ Aber die meisten Menschen investieren natürlich nicht so viel Zeit in diese Fragen, wie Philosophen es tun, die schon fast eine eigene Sprache untereinander entwickelt haben, die sonst niemand versteht.

    Jana: Ergänzend kann man sagen: Jeder könnte zwar philosophieren, aber nicht jeder tut es. Diese Faszination für die Materie wohnt nicht jedem Menschen in diesem Maße inne. Nicht jeder will alles hinterfragen. Ebenso gehen auch nicht alle, die ein heruntergefallenes Glas gesehen haben, Physik studieren, um die Gesetze der Erdanziehung zu verstehen. Man muss den Drang, die Neugier und Leidenschaft besitzen, bestimmte Dinge verstehen zu wollen und zu hinterfragen. Nicht umsonst wird Philosophie auch als Liebe zur Weisheit bezeichnet.

    Wann erscheint die nächste Ausgabe der Leipziger Schriften?

    Jana: Wir planen im Laufe des Sommersemesters eine weitere Ausgabe, je nachdem, wann die Druckereien wieder den Betrieb aufnehmen. Die Inhalte werden sich mit den beiden Hauptthemen Liebe und Geist auseinandersetzen.

    Gibt es eine Zukunftsvision?

    Anna: Ich bin eigentlich sehr froh, wenn das Projekt weiterleben kann. Es wäre toll, wenn es eine Selbstständigkeit entwickelt. Ein Gründungsprozess ist aufwendig und kostet sehr viel Energie. Wenn sich viele Leute daran beteiligen und es bei vielen gut ankommt, dann lohnt es sich, weiterzumachen, um noch mehr Leser zu gewinnen. Verkaufen wollen wir unsere Ausgaben nicht. Die Texte sollen für jeden frei zugänglich sein.

     

    Fotos: Christa Vlad

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