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  • Warum sexistische Musik (k)ein „guilty pleasure“ ist

    Sexismus ist integraler Teil vieler musikalischer Genres. Als gute Feministin sollte man diese Art von Musik wohl nicht unterstützen. Warum ist sie und die Welt, die sie verkörpert, trotzdem reizvoll?

    Neulich war ich in Hamburg auf der Reeperbahn. In diesem Ausnahmezustand vergisst man schnell, dass vor etwas mehr als drei Wochen alles auf diesem Teil der Erde noch normal schien. Ich bin also willkürlich auf der Reeperbahn in einen Club gelaufen. Anfangs war es relativ leer. Ich habe mich gefreut und angefangen zu tanzen. Doch es wurde voller. Mindestens alle zwei Minuten kam ein Typ zu mir und hat mich „zum Tanzen aufgefordert“. Am Anfang war ich nett. Ehrlich. Ich so: „Hey sorry, nichts gegen dich, aber ich tanze lieber allein.“ Schlechte Strategie. An diesem Abend reiben mir bestimmt 20 Typen irgendein Körperteil an den Arsch, oder fassen mir um die Hüfte. Egal wie deutlich ich sage, dass ich es nicht möchte, nichts funktioniert. Anstatt zu tanzen bin ich die ganze Zeit damit beschäftigt, Hände wegzuschlagen und Typen anzuschreien, aber ich gehe nicht. Ich bin stur. Ich will es mir nicht nehmen lassen und ich beobachte. Anderen Frauen geht es ähnlich. Ich würde gerne wissen, was sie denken, wie es ihnen damit geht. Ich überlege auch, was sich die Typen denken. Wie viele Ärsche muss ich an einem Abend ungebeten angegrabscht haben, um „ein Mann“ zu sein?

    Kolumnistin Alicia

    Kolumnistin Lissy tanzt gerne in Clubs zu sexistischer Musik. Das sieht sie oft im Widerspruch zu ihren eigenen feministischen Ansichten.

    Diese Phänomene sind nicht neu, tausende Frauen beschreiben sie. Trotzdem hat mich die geballte Wucht umgehauen. Ich gehe gerne tanzen. Es ist meine Leidenschaft – mein sogenanntes „guilty pleasure“. So richtig „guilty“ fühle ich mich dabei nicht. Sollte ich aber. Ich tanze gerne zu „Chart-Musik“, „Dancehall“, „Hip-Hop“ und „R’n‘B“, „Mainstream“, „Bitch-Mukke“. Ja, das sind nicht ganz die gleichen Dinge, aber sie haben eine Gemeinsamkeit: Sie können extrem sexistisch sein. Die Musik, zu der ich gerne tanze, besteht zu großen Teilen aus Ficken, Fotze und „sie macht alles, was ich will“, aus Bitch, Fuck und „swallowlololow“. „Sexistischer Bootyshake“, wie eine Freundin von mir diese Musikrichtung getauft hat. Immer mal wieder, wenn eine besonders ekelhafte, frauenverachtende Textzeile kommt, halte ich mir kurz die Ohren zu oder verziehe mein Gesicht, habe das starke Bedürfnis, mich doch irgendwie davon zu distanzieren. Ich könnte auch in andere Läden gehen, in denen andere Musik kommt, die eine Kultur des sexistischen Angrabschens nicht noch bestärkt. Mache ich aber nicht.

    In den Läden, in denen ich abhänge, sind die Frauen in der Regel aufgestylt. Viele tragen hohe Schuhe, sehr knappe Outfits, Brust betont, Arsch betont, geschminkt. Ich mache nichts davon. Lange habe ich mir davon eine moralische Überlegenheit abgeleitet. Nach dem Motto, „Ich habe das nicht nötig“, kam ich mir den anderen „Girls“ irgendwie überlegen vor. Ich war mir sicher, dass ihre Abende nur gut laufen, wenn sie am Ende von genug Typen angemacht wurden. Ich versuche, mir „slut shaming“ abzutrainieren. Ehrlich. Aber wie alle strukturellen Dinge, die wir uns jahrelang antrainiert haben, braucht es seine Zeit. Ich sollte keine Frauen danach bewerten, wie viel oder wenig sie anhaben, wie viel Schminke sie benutzen, wie sie tanzen – inklusive mir selbst. Ich bin ja Feministin. Aber ich kann sehen, wie Frauen sich in Heels abquälen und permanent damit beschäftigt sind, ein enges Kleid zurecht zu zupfen und es fällt mir schwer, das als das totale Empowerment zu betrachten. Es ist eher eine Frage des Abwägens: Wann gilt der Abend als erfolgreich? Erhaben bin ich nicht. Ich fühle mich am Ende des Abends, wenn ich zu Hause bin, besser, wenn mich ein Typ angequatscht hat. Und wenn es mal nicht passiert, komme ich direkt ins Zweifeln: „Kann ich doch nicht so gut tanzen?“, „Haben die Angst vor mir?“, „Bin ich nicht deren Typ?“ Das ist ja die Krux. Auch wenn ich keinen der Typen interessant finde, auch wenn ich lieber allein tanze, auch wenn ich weiß, dass ich nicht von der Aufmerksamkeit von Männern abhängig sein darf, soll, will. Ich bin ja Feministin – ich will die Aufmerksamkeit trotzdem. Ich brauche sie sogar. So bin ich konditioniert. Alle müssen mich lieben, alle müssen mich attraktiv finden. Ein Kompliment, eine kleine Aufmerksamkeit von einem Mann brauche ich regelmäßig, sonst knicke ich einfach ein.

    Und wieso juckt es mich, was die Frauen anhaben? Weil es mich unter Druck setzt. In der patriarchalen Gesellschaft habe ich gelernt, dass mein Wert als Frau von meiner Fuckability abhängt. Ich bin neidisch auf die Frauen, die als sexy gelten, die in den Raum kommen und bei denen sich gefühlt der ganze Club einig ist: „Die ist hot.“ Hier schließt sich der Kreis: Genau deshalb braucht es diese Musik. Ja, man kann auch zu feministischem Rap vollkommen ausrasten, aber für mich ist es nicht das Gleiche. Nur „sexistischer Bootyshake“ gibt mir für einen Moment das Gefühl, Teil der Welt zu sein, in der ich sexy sein kann, weiblich, begehrenswert. Ich weiß: Ich möchte nicht nach meinem Aussehen bewertet werden, ich möchte nicht angegrabscht werden, ich möchte keine Musik hören, die Vergewaltigungen verharmlost, ich möchte nicht swallowlowlowen, aber kein Teil dieser Welt sein, nicht fuckable sein – das will ich eben auch nicht.

     

    Titelbild: Pixabay

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