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  • Tausende gegen „Trauermarsch“ in Dresden

    Am Samstag demonstrierten Tausende in Dresden gegen die jährliche Naziveranstaltung zur Bombardierung Dresdens. Diese konnte nicht wie geplant in der Innenstadt stattfinden.

    Schon im Nationalsozialismus wurden die Luftangriffe der Alliierten auf Dresden für propagandistische Zwecke missbraucht. Auch heute sind die Tage rund um den 13. Februar von der Präsenz rechter und rechtsextremer Gruppen geprägt.

    Am Samstag, den 15. Februar 2020 veranstalteten diese einen circa tausendköpfigen „Trauermarsch“ anlässlich des 75. Jahrestages der Bombardierung der Stadt. Dabei betrieb man gezielt Geschichtsrevisionismus: Falsche Fakten und Zahlen zu dem Luftangriff, bei dem in Dresden 18.375 Menschen ums Leben kamen, kursierten. Es wurde ignoriert, dass der Zweite Weltkrieg vom nationalsozialistischen Deutschland begonnen wurde und dass allein durch die NS-Verbrechen, Kriegshandlungen nicht mitgezählt, mindestens 13 Millionen Menschen gestorben sind.

    Circa 1.000 Menschen nahmen an dem „Trauermarsch“ teil.

    Das Bündnis Dresden Nazifrei organisierte Gegendemonstrationszüge mit gut 3.000 Teilnehmenden. Auch das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz reiste an. Die Gegendemonstrant*innen versammelten sich ab 11 Uhr am Alaunpark in der äußeren Nordstadt und am Hauptbahnhof, also nördlich und südlich des Skateparks. Dieser war der Treffpunkt der Nazidemo.

    Das Ziel der Gegendemonstration: die Demonstration verhindern. Bereits vor dem Start gab es einzelne Blockaden auf der geplanten Demoroute. Die Polizei versuchte diese, auch unter Einsatz von Polizeipferden, aufzulösen beziehungsweise zu verhindern.

    Anmelder der Nazidemo war Maik Müller, der neue Kreisvorsitzende der NPD Dresden und sächsischer Landesvorsitzender von den Jungen Nationalisten, die Jugendorganisation der NPD, die ebenfalls an der Demonstration teilnahm. Des Weiteren waren Gruppen aus Schweden, Italien, Norwegen und anderen europäischen Ländern angereist. Vertreter*innen von Europa Terra Nostra, einer rechtsextremen Partei auf europäischer Ebene, nahmen ebenfalls teil. Neben verschiedenen Länderflaggen wurde vor allem die schwarz-weiß-rote Reichsflagge geschwenkt.

    Teilweise war die Symbolik sehr eindeutig.

    Auch in der Szene bekannte Personen wie Thorsten Heise, der Organisator vom Festival Schild und Schwert und der rechtsextreme „Volkslehrer“ Nikolai Nerling waren anwesend. Der ehemalige Grundschullehrer wurde 2018 wegen seiner rechtsextremen Videos freigestellt und gekündigt. Seitdem lebt er davon, antisemitische und verschwörungstheoretische Positionen im Netz zu verbreiten und Veranstaltungen wie diese zu dokumentieren.

    Auf der Demonstration wurden verschiedene Symbole, unter anderem die Irminsul, verwendet. Sie geht auf ein sächsisches heidnisches Heiligtum zurück und wurde im Nationalsozialismus vom Verein Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe genutzt, der unter anderem tödliche Menschenversuche an KZ-Häftlingen durchführte.

    Gegen 14 Uhr kündigte die Nazidemonstration ihren Beginn an. Es folgten laute Proteste von der gegenüberstehenden Gegendemonstration. Gelegentlich gelang es einzelnen Personen, ihren Protest direkt vor den Nazis zu äußern. Eine gute Stunde später begann der Demonstrationszug.

    Die Route führte anders als ursprünglich geplant über die St. Petersburger Straße in die Sedonienstraße und hinter dem Hauptbahnhof entlang in die Strehlener Straße. Nach anderthalb Stunden und gut zwei Kilometern kam sie auf der Südseite vom Hauptbahnhof endgültig zum Stehen, nur circa 200 Meter entfernt von Gegendemonstrationen von allen Seiten. Trotz hoher Polizeipräsenz gelang es einzelnen Personen, etwas näher und lautstark gegen die Nazis zu protestieren.

    Die Polizei versuchte Blockaden zu verhindern.

    Um 16:30 Uhr begann  eine Abschlusskundgebung voller Geschichtsrevisionismus: Zunächst wurden die Namen vermeintlich deutscher Städte ─ einige davon, wie Gdańsk und Szczecin sind heute polnisch ─ vorgelesen, die von „angloamerikanischem Terror“ bedroht waren. Es kursierte die Zahl, in Dresden hätten sich damals über eine Million Menschen aufgehalten, davon seien die Hälfte Flüchtlinge aus den damaligen Ostgebieten gewesen. Eine Kommission von Historiker*innen, die 2010 unter Teilnahme von Zeitzeug*innen Dokumente auswertete, konnte eine solche Überfüllung nicht bestätigen.

    Die Redner, darunter auch einige aus dem Ausland, wie Nick Griffin, der ehemalige Vorsitzende der British National Party, der zuletzt 1998 wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt wurde, bedienten sich großzügig am Pathos. So wurde das nationalsozialistische Dresden als „Zivilisation, die in der heißen Lava unterging“ bezeichnet und man plane, „wie ein Phoenix“ aus der Asche aufzustehen. Die Kundgebung endete nach gut 90 Minuten mit dem gemeinsamen Singen aller Strophen des Deutschlandliedes.

    Am gleichen Tag waren in Erfurt laut Veranstalter*innen 18.000 und laut Polizeiangaben 9.000 Menschen auf der Straße, um unter dem Motto #nichtmituns gegen die Thüringer Ministerpräsidentenwahl zu protestieren. Unter dem Hashtag wurden auf Twitter auch Stimmen laut, die kritisierten, mit solch einer großen Unterstützung wäre es in Dresden möglich gewesen, die Nazidemonstration komplett zu verhindern. Des Weiteren rief Dresden Nazifrei zum nächsten Protest auf: am Montag, den 17. Februar, wenn Björn Höcke zu der 200. Pegida-Demonstration sprechen wird.

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