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    Geburtstage mit Patchwork-Familien sind nie einfach, denkt Kolumnistin Sophie. Übers Wunschdenken und warum man auch am eigenen Ehrentag nicht nur an sich denken sollte, sondern ebenso an die Gäste.

    Seit der Scheidung meiner Eltern vor zehn Jahren haben wir es an Geburtstagen immer so gehandhabt, dass es meistens nachmittags Kaffee und Kuchen mit meiner Familie mütterlicherseits gab, am Abend oder am Wochenende ging es dann zu meinem Vater, wo nochmal mit der anderen Seite der Familie gefeiert wurde. In der Regel feiere ich alles zweimal im Jahr. Zweimal Ostern, zweimal Geburtstag, zweimal Weihnachten. Das Gute: Im Regelfall bekommt man auch zweimal Geschenke. Oder zweimal das gleiche Geschenk. Dieses Jahr habe ich jedoch gemerkt, dass dieser doppelte Segen nur so lange so einfach ist, bis man nicht mehr zuhause wohnt.

    Ich hatte den Plan gefasst, nicht zweimal extra in die Heimat zu fahren, sondern die gesamte Familie nach Leipzig einzuladen – väterlicherseits und mütterlicherseits. Mal abgesehen davon, dass ich nicht einmal genug Stühle für alle Verwandten zur Verfügung gehabt hätte, war diese Idee auch anderweitig ziemlich utopisch. Zugegeben, die Vorstellung, beide Teile der Familie in meiner kleinen Wohnung zu versammeln, und das zum ersten Mal seit über zehn Jahren, kam auch mir anfangs seltsam vor. Trotzig dachte ich aber, dass es schon (nicht) schiefgehen würde. Wer nicht miteinander reden wolle, müsse dies schließlich nicht tun. Und vielleicht wäre es auch gut gegangen und alle Beteiligten hätten das Beste aus der Situation gemacht – denn an sich sind wir zum Glück eine recht harmonische Familie. Aber wollte ich wirklich diejenige sein, die alle in diese peinliche Situation bringen würde? Als ich meiner Schwester von meinen Plänen erzählte, schaute sie mich erstmal nur mit großen Augen an. „Das kannst du doch nicht machen“, hat sie dann nur gesagt. So verwandelte sich das Bild meiner selbst als gefeierte Heldin, die die Familie wiedervereinigt und den größten Schritt wagt, zu dem eines bockigen Kindes, das nicht akzeptieren kann, dass die Dinge eben so sind, wie sie sind.

    Geburtstage waren noch einfacher, als es nur um das Auspacken der Geschenke ging, findet Kolumnistin Sophie.

    Manche Paare bleiben nach der Trennung befreundet, feiern zusammen Scheidungspartys und in seltenen Fällen vielleicht sogar noch Weihnachten. Andere brechen den Kontakt völlig ab. Nichts davon ist eindeutig richtig oder falsch, geschweige denn einfach. In den meisten Fällen wird nicht nur das gemeinsame Leben wieder auseinanderdividiert, sondern zwangsläufig auch der Rest der Familie. Als Kind hängt man dann immer irgendwie dazwischen, richtet entweder nur noch Grüße aus oder, und das ist meiner Meinung nach schlimmer, fragt sich, ob die Eltern wieder zusammenfinden.

    In meiner Familie ist alles vergleichsweise glattgelaufen. Zwischen beiden Seiten herrscht zwar höfliche Funkstille, aber beide Elternteile sind mittlerweile wieder glücklich vergeben und ich könnte mir meine Familie auch nicht mehr anders vorstellen als in ihrer jetzigen Konstellation. Vielleicht kam gerade daher mein Gedanke, dass jetzt genug Zeit vergangen ist, über Vergangenes hinwegzusehen und zu alten Gewohnheiten zurückzukehren. Doch im letzten Jahrzehnt hat sich eine neue Realität herausgebildet, genauer gesagt eine neue Normalität. Für beide Seiten ist es längst wieder normal, unter sich zu bleiben. Die Erinnerung, dass es jemals anders war, ist für die meisten Familienmitglieder kaum noch greifbar. Es scheint also eher eines dieser Scheidungskind-Klischees zu sein, die hinter meinem Wunsch gesteckt haben als der praktische Zweck, mit dem ich ihn begründet habe.

    Sicherlich kann man bis zu einem gewissen Grad erwarten, dass Eingeladene sich zusammenraufen und zumindest Regel Nummer 1 („Wir reden nicht über Politik“) befolgen. Auf der anderen Seite sollte man aber trotz des eigenen Mehraufwands oder Wunschdenkens nicht aufhören, Rücksicht auf die Gefühle der Anderen zu nehmen. Und das heißt eben manchmal, komplexe Sitzplatzierungen auszuklügeln, das nervige Geschwätz einer Plus-Eins für einen Abend der dazugehörigen Person zuliebe auch mal auszuhalten und in meinem Fall wieder auf das System „Zwei Feiern organisieren“, aber dafür auch zweimal Kuchenessen, zurückzugreifen.

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