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  • Meine Murmel, deine Murmel

    Eine Leipziger Wissenschaftlerin hat in einer Studie untersucht, wie Kinder Eigentum wahrnehmen. Dafür wurden diese vor eine Murmelbahn und auf die Probe gestellt.

    Den Laptop mal schnell in der Bib lassen, wenn man Kaffeedurst verspürt? An sich kein Problem, der ist schließlich meins. Die Sitznachbar*innen wissen, dass er nicht ihres ist. Doch das mussten wir erst lernen. Wie und wann Kinder Eigentum wahrnehmen und lernen zu respektieren, hat jetzt eine Studie untersucht. An ihr hat auch die Wissenschaftlerin Patricia Kanngießer mitgearbeitet. In Leipzig hat sie eine Vertretungsprofessur für Frühkindliche Entwicklung und Kultur inne, ihr hauptsächlicher Arbeitsbereich ist die Kulturvergleichende Entwicklungspsychologie. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem MaxPlanckInstitut für evolutionäre Anthropologie Leipzig durchgeführt und ist im August 2019 im Developmental Psychology Journal erschienen.

    Schon während ihrer Promotion hat sich Kanngießer mit der Frage beschäftigt, wie Kinder Eigentum wahrnehmen. Dieses Thema ist laut der Wissenschaftlerin „in der Entwicklungspsychologie nicht so stark erforscht wie zum Beispiel Hilfsbereitschaft“. Das liege vor allem daran, dass Eigentum etwas sehr Abstraktes ist. „Das Kind muss erst einmal herausfinden, wem das Objekt gehört, das ist oft nicht sofort klar“, sagt Kanngießer. Vor allem ging es in der Studie jedoch darum, wie Kinder in einem wenig besitzbezogenen Umfeld mit Eigentum umgehen. Viel Forschung werde in amerikanischen und europäischen Städten betrieben. Deshalb wurden für diese Studie vier Regionen ausgesucht, drei davon ländlich: Akhoe Haillom in Nord-Namibia, Kikuyu in Zentral-Kenia und Wíchí in Nord-Argentinien. Als Vergleich dienten Kindergruppen aus Leipzig.

    Um herauszufinden, wie Kinder Eigentum wahrnehmen, wurden sie in Zweierteams eingeteilt, um mit ihrem*ihrer Partner*in am Experiment teilzunehmen. Die Kinder waren alle zwischen fünf und sieben Jahre alt, denn jüngere Kinder stellten sich als zu schüchtern heraus und verstanden den Versuch oft nicht. Das Experiment wurde mithilfe einer Murmelbahn durchgeführt, an dessen Ende sich die zwei Kinder befanden. Jedem Kind wurde eine Farbe zugeteilt, mit der auch die Murmel und die Tüte am Ende der Bahn gelabelt waren. Markiert mit einem Sticker ihrer Farbe auf der Hand, wurde je ein Kind auf jeder Seite platziert. Dabei hat die Forscher*innengruppe darauf geachtet, kein besitzanzeigendes Wort wie deins oder meins zu verwenden, damit die Kinder selbst Eigentumsansprüche geltend machen – oder eben nicht. Durchgeführt haben die Wissenschaftler*innen das Experiment in Anwesenheit und Abwesenheit des*der Partner*in, um zu sehen, ob Kinder sich jeweils anders gegenüber dem Eigentum anderer verhalten.

    Vor allem in Anwesenheit des*der Partner*in achteten die meisten Kinder darauf, nur die ihnen zugeteilte Murmel zu nehmen, in Abwesenheit ging das Ergebnis mehr auseinander. Vor allem die Kinder der indigenen Akhoe Haillom aus Namibia nahmen sich auch die Murmel mit der anderen Farbe. Kanngießer erklärt: „Bei den Haikom in Namibia gibt es sehr wenig persönlichen Besitz.“ Die Kinder seien es gewohnt, zu teilen. Die Kinder aus Leipzig nahmen ihre Murmeln in den Versuchen und nur ihre, in fast allen Fällen respektierten sie das Eigentum anderer. Auch zeigte sich, dass Mädchen mehr als Jungen das Eigen anderer in Ruhe lassen. Ein Grundverständnis für Eigentum zeigten jedoch alle Kinder.

    Die Studie dient dazu, die „Wissensbasis über Entwicklungsprozesse zu erweitern“, sagt Kanngießer. So gewinne man Einblicke in die Prozesse, wie Kinder Normen und Werte erlernen. Deutlich würden aber auch kulturelle Unterschiede. Daran sieht man, wie abstrakt und konstruiert so manche Vorstellungen der Gesellschaft doch sind.

     

    Foto: flickr, Ron Bushaw

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