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  • Frieden, Freiheit und Levi‘s

    Vergangene Woche fand der 14. Bundeskongress Politische Bildung in Leipzig statt. Eine Insiderin berichtet von einer Begebenheit abseits der Podiumsdiskussionen und Häppchen.

    Unter dem Thema „Was uns bewegt – Emotionen in Politik und Gesellschaft“ fand am vergangenen Wochenende der 14. Bundeskongress Politische Bildung in Leipzig statt. Für die aus ganz Deutschland angereisten Teilnehmenden gab es neben Diskussionen und Workshops auch lokale Angebote. student!-Redakteurin Sophie, die als Teil der Jugendredaktion vor Ort war, hat sich für einen Rundgang zur Friedlichen Revolution entschieden. Ein emotional sehr besetztes Thema und ein ehemaliger DDR-Widerstandskämpfer als Guide werden überschattet von hochmütigen Teilnehmenden und spontanen Shopping-Touren: Diese dort erlebten Geschehnisse sind ihr lebhaft in Erinnerung geblieben und sollen im Folgenden mit der Welt geteilt werden.

    „Eigentlich wollte ich ja zu einem anderen Angebot, aber da gab es wohl keine Plätze mehr“, raunt eine Frau ihrer Freundin zu. Wir stehen vor dem Hauptportal der Nikolaikirche, alle in freundlichem Abstand zueinander, der Wind weht uns um die Ohren. Während ich warte, lasse ich den bisherigen Tag Revue passieren. Seit fünfeinhalb Stunden geben wir uns nun bereits den Ausschweifungen des Bundeskongresses hin. Podiumsdiskussionen mit Professor*innen, Minister*innen, Forscher*innen, dazwischen Moderator*innen, die gestresst ihre Uhren überprüfen – bitte knapp halten und nicht überziehen! Zur Auflockerung nun ein Rundgang an der frischen Luft.

    Als selbst die Einheimischen unter uns schon daran zweifeln, am richtigen Eingang zu warten, kommt der berühmte Leipziger Historiker und Bürgerrechtler Rainer Müller um die Ecke. „Wartet ihr auf mich?“ Schließlich ist man sich einig, dass wir alle für die Führung „Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“ anwesend sind. Wir versichern Rainer auch, dass wir alle Teilnehmende vom Bundeskongress Politische Bildung sind. Dabei schlägt sich der eine oder die andere beim bedeutungsvollen Nicken fast das Kinn am Boden auf. Auf die Frage, was das für unsere Erwartungen für die Tour bedeute, ruft eine Teilnehmerin wie auf Abruf in die Runde: „Das heißt, wir sind vor allem politisch gebildet.“

    Ein Leuchten geht in Rainers Augen auf – endlich muss er einmal nicht Jahreszahlen, Abläufe, Hauptakteur*innen, kurzum, sämtliche Grundlagen zur Friedlichen Revolution, herunterspulen. Stattdessen erzählt er uns leidenschaftlich aus seinem eigenen Leben. Er redet von Pfarrer Christoph Wonneberger, wie sie gemeinsam aus den „Friedensgebeten“ die Montagsdemonstrationen organisierten. Selbst zu einem uns passierenden Mann – „Tach Rainer!“ – hat er eine  Geschichte auf Lager. Der Mann kennt eben seine Stadt. Die Teilnehmenden bis zum Schluss nicht. Wir werden mitgenommen auf eine Zeitreise zurück zum 25. September 1988, als zum ersten Mal Menschen aus der ganzen DDR in Scharen nach Leipzig strömten um gemeinsam für Freiheit und – „Schatz! Schau mal, ein Levi‘s-Store!“, flüstert eine Frau neben mir ihrem Mann zu. Sie verschwinden für zehn Minuten im Geschäft. Wer kann es ihnen verübeln, ist ja noch gar nicht so lange her, dass Jeans hier im Osten als systemgefährdend galten. Rainer redet sich immer noch die Seele aus dem Leib, ein paar nicken zustimmend. Die zitternden, schon mit Frostbeulen übersäten Gesichter der Gruppe vor sich, kapituliert er und schlägt vor, die Führung an dieser Stelle nach Drinnen zu verlegen – „Vielleicht kann ich ja dort auch reden“, ruft Rainer hoffnungsvoll. Wir haben es immerhin von der Nikolaikirche bis knapp an die Grimmaische Straße geschafft – ja, die ganzen 100 Meter.

    In der Gaststätte ist gerade noch Zeit für ein warmes Getränk, die politisch Gebildeten müssen schnell weiter. Da kann man schon mal ungeduldig werden, erst recht, wenn es Rainer eben nicht leicht fällt, direkt auf eine Frage zu antworten. Mit forderndem Blick und gelegentlichem Überprüfen der Uhr wartet eine Fragende ab, bevor Rainer nach Minuten des Kontextierens endlich auf ihr Anliegen eingeht. Verständnisvolle Blicke treffen sie, Leidenschaft wird hier wohl nicht gern gesehen. Vielleicht haben sie heute auch schon genug Referierende erlebt, die das Zeitlimit der siebenminütigen Statements sprengten  – bitte knapp halten und nicht überziehen.

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