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  • Wie du als Ersti an der Uni überlebst

    Du hast die Schule geschafft, bist deinen Helikoptereltern entflohen. Doch Uni funktioniert nach anderen Regeln als deine alte Gesamtschule. Ein Überlebens-Guide für die ersten vier Wochen am Campus

    Woche 1

    Wohnheim in Leipzig

    Blick aus der Leere

    Am Anfang ist noch alles aufregend. Nachdem du voller Euphorie mit Zug oder Fernbus am Hauptbahnhof gelandet bist, wirst du am Ende des ersten Tages erst einmal mit Reizüberflutung zu kämpfen haben. Deswegen hier zunächst die wichtigsten Stationen:

    Wohnheim

    Für einen Großteil von euch ist der erste Gang zur Entgegennahme des Wohnheimzimmers. Hier lauert schon die erste fiese Falle. Die meisten Zimmer wurden vorher nicht besichtigt und die Symbolbildchen im Web geben nicht zwingend den Ist-Zustand der Wohnzellen wieder, gerade weil sich auch viele unrenovierte Wohnungen tummeln, bei denen man anhand der Gebrauchsspuren im Linoliumboden die Bewohnerhistorie archiviert sieht. Du solltest dir also schon mal einen Tag IKEA einplanen, um das Ästethikvakuum zu füllen.

    Der Zimmernachbar ist ebenfalls ein heikles Thema. Wenn du Glück hast, wohnst du neben dem Zahnmediziner Tom, der geräuschlos in seinen Standardwerken versinkt und mit dem du auch mal Einen trinken kannst. Im Worst-Case-Szenario wohnst du neben Sportwissenschaftsstudent Micha, der auf Cloud-Rap steht und nachts als Barkeeper jobbt. Laute Beschallung und nächtlicher Krach sind vorprogrammiert. Da du etwas eigen bist und auf zwei Stunden Nachtruhe bestehst, ist Micha direkt genervt von dir und ignoriert dich ab diesem Zeitpunkt. Im Küchenverschnitt gibt es jeden Gegenstand doppelt, da er natürlich nicht will, dass „du Lauch“ seine wertvollen Utensilien verschleißt. Hier hilft nur Geduld, da du erst nach einem Jahr ausziehen kannst.

    Campus

    Zentrale Anlaufstelle deiner nächsten Zeit wird der Hauptcampus sein. Dort befinden sich die meisten Hörsäle, die größte Mensa, das Seminargebäude, das Uni-Rechenzentrum, der StudentInnenrat (StuRa), die Campusbibliothek und ein schön moderner post-brutalistischer Innenhof mit Naturelementen. Zur Fortbewegung zwischen den Örtlichkeiten sei dir studententypisch wahlweise ein schnittiges Rennrad ohne jeglichen Anspruch an Verkehrssicherheit oder Funktionalität empfohlen, oder aber auch ein dir viel zu großes Hollandrad, das eher mit dir fährt als du mit ihm fährst.

    Mensa

    Spätestens wenn du feststellst, dass Mutti nicht mehr für dich kocht und du deine drei täglichen McDonald’s-Mahlzeiten satt hast, wird die Mensa eine attraktive Option. Klar, dein erster Gedanke wird der an lauwarm aufgekochte Fertigpampe sein, wie du sie aus der guten alten Schulspeisung kennst. Doch dem ist nicht so. Das Sortiment gibt alles her, von der Wokpfanne bis zum Nudelteller für schlanke 1,90 Euro. Auch als Nicht-Fleischfresser hast du eine große Auswahl und das passende Pils zur deftigen Sauerkrautmahlzeit ist auch am Start.

    Was dich jedoch zunächst abschrecken wird, ist die schiere Masse an Studis, die sich zwischen 12 und 13 Uhr in der Mensa am Park um einen Tisch prügelt oder sich in Folge ineffizienter Architektur beim Ankommen und Gehen über Kreuz rempelt.

    Wg-Essensreste sind lecker

    Wenn dir das Mensa-Angebot mal nicht zusagt, geht immer noch die kalte Pizza von der WG-Party vorvorgestern.

    SSZ

    Wenn du im Vollrausch deine Unikarte verloren hast, dich fachlich neuorientieren willst, oder auch nach mehreren Heulkrämpfen das BAföG-Formular nicht ausgefüllt bekommst, findest du im Studenten Service Zentrum (SSZ) eine freundliche Sachbearbeiterin. Das SSZ ist auch deine Anlaufstelle, wenn du schon nach einer Woche feststellst, dass dir das Medizinstudium, welches dir deine spießbürgerlichen Eltern aufgezwungen haben, doch nicht liegt und du eigentlich viel lieber nach Goa trampen würdest, um dort auf oder unter einem Baum zu leben. Hier kannst du dich exmatrikulieren oder beurlauben lassen.

     

    Woche 2

    Auf dem UL-Campus

    Schulgelände mit Alkoholerlaubnis

    Da du dich nun am Campus eigenständig orientieren kannst, die erste Welle Papierkram überstanden, dein erstes BILLY-Regal aufgebaut und den Unterschied zwischen dem Kopier- und Mensaguthaben verinnerlicht hast, wirst du ab der zweiten Woche auch mit Menschen in Kontakt kommen. Damit du dich nicht direkt komplett blamierst und für den Rest deiner Zeit als Persona non grata giltst, seien dir folgende Tipps gegeben:

    Vorlesungen

    Die Vorlesung ist neben der örtlichen Trinkhallen-Happy-Hour jene Veranstaltung, bei der du zu Beginn deines Studiums die meiste Zeit verbringen wirst. Gerade bei größeren Studiengängen bist du dabei vollkommen anonym, weshalb es keine Seltenheit ist, dass die Leute um dich herum Fortnite zocken, Dosenbier trinken oder mit dem Kopf auf den Ausklapptischen wegnicken. Allerdings sollten diese Leute nicht dein Maßstab sein und die meisten von denen wirst du nach den Weihnachtsferien nicht mehr wiedersehen.

    Seminare

    Diese sind ideale Gelegenheiten um sich an die gute alte Abi-Zeit zu erinnern. Je nach Studiengang und Personen im Raum wirst du vielleicht sogar Zeuge einer tiefgründigen Diskussion, in der du mit deinem Fachwissen imponieren kannst. Wenn du Pech hast, ist es Frontalunterricht und du wirst regelmäßig aufgerufen, kannst also nicht in Ruhe einnicken.

    Kommilitonen

    Die Hackordnung der Schule gibt es in der Uni nicht mehr. Jeder sucht sich eine Bezugsgruppe mit der er fortan abhängt. Abseits davon ist die soziale Interaktion in den Vorlesungen oder Seminaren geringerer Natur. Das hat vor allem den Vorteil, dass du unliebsamen Personen gut aus dem Weg gehen kannst und dir wenig Gedanken machen musst, ob du jemanden durch deine politische Meinung oder Hose-Pullover-Kombi vor den Kopf stößt. Eins noch dazu: Dass du nach deinem Abi ein Kulturimperialismus-Jahr in einem nepalesischen Waisenhaus absolviert hast, von dem ausschließlich die Anbieter profitierten, ist ja nett und so, nur solltest du damit niemanden nerven. Denn im Gegensatz zu deinem Provinznest ist eine solche Vita hier nicht wirklich etwas Besonderes.

     

    Woche 3

    Mate trinken und socialisen

    Mate trinken und socialisen

    Nachdem du nun weißt, was fachlich auf dich zu kommt, dein Squad gefunden hast und auch festgestellt hast, dass Club Mate nach einem Brauerzeugnis aus Aschenbechern schmeckt, du es aber trotzdem täglich konsumierst, wird es nun Zeit, etwas tiefer in den Studienalltag einzutauchen.

    Hochschulsport

    Ein weiser Kommilitone sagte einst zu mir: „Jura lernt man nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Arsch.“ Das trifft auf viele Studiengänge zu (außer vielleicht Philosophie) und impliziert, dass du insbesondere während der Prüfungszeit viel herumsitzt und wenig Bewegung haben wirst. Deshalb ist das breite Angebot an Hochschulsport der perfekte Ausgleich und gut zur Stressprävention. Dieses bietet Sportarten wie Kickboxen, Akrobatik, Fechten, Aquajogging und sogar Improtheater oder E-Sports. Und wir alle wissen ja, nichts ist ausgleichender als eine Runde League of Legends, vor allem wenn du Informatik studierst.

    Bibliothek

    Der wohl faszinierendste Ort im Uni-versum ist die Bibliothek. Neben den fachspezifischen Objekten gibt es die pittoreske Bibliotheca Albertina, die vor allem Fans von Klassizismus und großen Tischen begeistern dürfte. Am Hauptcampus befindet sich auch noch die Campusbibliothek aka Campusbunker. Dort kannst du aktuelle Zeitschriften lesen und dir so das SPIEGEL-Abo sparen oder nach dem Feiern auf nicht ganz unbequemen Sofas ausnüchtern, denn die Bibliothek ist 24 Stunden geöffnet.

    Die Uni-Bibliotheken, insbesondere der sogenannte „Saal der einsamen Herzen“ in der Albertina, sind zudem der ideale Ort um deinen zukünftigen Lebensabschnittsgefährten zu matchen. Aber aufgepasst, du wirst mit fortlaufender Zeit ohnehin immer mehr Bekanntschaften machen, deren Begegnungen dir aus verschiedensten Gründen unangenehm sein kann. Es kommt nicht selten vor, dass du dieser Person dann regelmäßig im Bib-Treppenhaus oder im einzigen schmalen Eingang unausweichlich über den Weg läufst – ein emotionales Stahlbad.

    Klos auf dem Hauptcampus der Universität Leipzig

    Diskussionskultur auf zwei Quadratmetern

    Studentenjobs

    Es wird dich jetzt vielleicht schockieren, aber ein Studium kostet Geld! Und wenn du kein BAföG bekommst, weil der Sohn des Großonkels des Freundes deiner Eltern mit seinem Ebay-Antiquariat fünf Euro zu viel verdient, musst du dich womöglich finanziell selbst versorgen. Nach der ersten Monatsabrechnung schmerzend festzustellen, dass dein täglicher Konsumexzess bei Starbucks oder Primark deinem Budget ziemlich zugesetzt hat und du nun doch nicht mehr die 50 Euro für den geplanten Ryanair-Trip nach Barcelona auftreiben kannst, ist schon echt hart. Deswegen schafft dir ein Minijob Abhilfe. Das Studentenwerk pflegt täglich neue Angebote auf seiner Website ein. Egal ob du dich als Nachhilfelehrer versuchen möchtest, dir als Umzugshelfer das Kreuz brechen willst oder dich für einen Promotionsjob komplett zum Vollhorst machen willst, hier findest du eine breite Auswahl.

     

    Woche 4

    Der StuRa ist so hip und kann Jugendsprache

    Personelle Dauerbaustelle

    Wenn du es bis hier her geschafft hast ohne zu verzweifeln, ist das – naja – ehrlicherweise noch nicht wirklich eine Leistung. Aber jetzt wird es Zeit, dich über das eigentliche Studium hinaus zu engagieren.

    Hochschulpolitik

    Das Schöne an der Uni ist, dass sich viele Menschen dort in ihrer Persönlichkeit frei entfalten. Die ganz harten Gesellen treten einer politischen Hochschulgruppe bei. Deren Primärzweck ist es, sich einmal im Jahr zum Wahlkampf gegenseitig auf Facebook zu beleidigen und so viele Parteisoldaten wie möglich im Hochschulsenat und StuRa zu parken, um dann in Letzterem jeden zweiten Dienstag über die Dauer eines Mittelstreckenfluges hinweg mit Diskursterroristen und rhetorischen Selbstdarstellern Utopien und argumentative Kartenhäuser über immer die gleichen drei Themen zu bauen, während man sich nebenher auf Twitter anpöbelt, mit Geschäftsordungsanträgen drangsaliert und sich alkoholische Getränke reinzieht.  Und eigentlich nur darauf wartet, dass es vorbei ist. Wenn es dir jedoch nur darum geht, dich irgendeiner edgy Gruppe anzuschließen, heuere lieber bei der Kleinmützenträgergang oder Bauchtaschenfraktion an. Das ist stressfreier.

    Engagement

    Wenn du keine Lust auf politische Grabenkämpfe hast, aber trotzdem ein guter Mensch sein willst oder deinen Horizont und dein Netzwerk erweitern möchtest, kannst du dich auch einer der unzähligen Hochschulgruppen anschließen. Willst du was mit Medien machen, komme zu uns (zwinker), bist du musikalisch, gehe zum Unicorchester, oder willst du über kulturelle Aneignung diskutieren, gehe zu einem der Faschings-Elferräte.

    Du musst im Übrigen auch nicht in der Regelstudienzeit fertig werden, damit du mit 22 ins schon reserviertes Hamsterrad einsteigst. Neben dem Studium etwas an Engagement mitzunehmen schadet nie und bringt dir vielleicht sogar mehr als das Studium selbst.

     

    Fotos: Annika Seiferlein

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