• Menü
  • Leipzig
  • Kultur
  • Film
  • Wechselbad der Gefühle

    Am dritten Tag auf dem DOK stehen Körperlichkeit und Emotionen im Mittelpunkt.

    Der dritte Tag auf dem DOK beginnt erst nach dem Mittag, geht dafür aber umso länger. Insgesamt acht Filme stehen – eigentlich – auf dem Programm, vier davon sind Kurzfilme von maximal 30 Minuten, die jeweils vor den längeren Dokumentationen gezeigt werden. Das Motto ist zum Donnerstag auf jeden Fall der Iran, da die Regisseure in der Mehrzahl aus diesem Land stammen oder dort zumindest Wurzeln haben.

    “Happiness” und “Akt”

    Der erste Kurzfilm „Khoshbakhti“ („Happiness“) zeigt diverse Super-8-Aufnahmen, die in ihrer typischen fehlerhaften und verschwommenen Art kleine Alltagsszenen einfangen – eine Karussellfahrt, laufende Füße, eine Straße bei Nacht. Über diese Bilder hinweg spricht ein Mann auf Arabisch darüber, was für ihn Glück bedeutet und über die etymologische Bedeutung des Wortes auf Farsi und Deutsch. „Wir leben hier alle nicht in dem Maße glücklich wie wir es eigentlich sein müssten“, sagt Regisseurin Zara Zandieh über ihren Film. Von ihr erfährt man auch, dass es sich bei der Männerstimme um Zandiehs aus dem Iran stammenden Vater handelt. Dem sechsminütigen Kurzfilm folgt direkt im Anschluss die Dokumentation „Akt“ – Naked Beauty“.

    Die vier Hauptdarsteller haben nicht wirklich etwas gemeinsam, außer ihrer Heimat Leipzig und der Tatsache, dass sie alle bereits für einen Aktzeichenkurs Modell gestanden haben. So viel zur Nähe zum Filmtitel, danach hört sie aber auch fast schon auf. Der Zuschauer erfährt interessante, tragische wie luAkt_02stige, Details aus dem Leben der Protagonisten. Zwischendurch sind die Menschen auch immer mal wieder nackt zu sehen. Jedoch erfährt man beinahe nichts über die Motivation, als Aktmodell zu arbeiten, wie es sich anfühlt, nackt vor einer Gruppe Studenten zu stehen und was eine ungewöhnliche Tätigkeit wie diese mit einem macht. Diese Fragen werden zwar offenbar in den Interviews gestellt, wie ab und zu in den Erzählungen deutlich wird. Davon kommt jedoch beim Zuschauer nur sehr wenig an. Vielmehr erzählen die Porträtierten von schwerer Kindheit mit sieben Geschwistern, Gaumenspaltenoperationen und problematischen Partnerschaften. Die Frage, was eben diese Personen qualifiziert, Protagonisten einer „Akt“-Dokumentation zu sein, bleibt unbeantwortet und der Film bleibt aus diesem Grund insgesamt ein wenig unbefriedigend.

    Iranisches Filmpaar: “Ayan and the White Balloon” und “Wedding: A Film”

    Das nächste Filmpaar passt gleich aus zwei Gründen zusammen. Erstens kommen beide Regisseure aus dem Iran. Zweitens sind beide Filme keine Dokumentation über ein bestimmtes Thema, sondern Dokumentation darüber, wie der jeweilige Filmemacher versucht seinen Film zu machen. In „Ayan and the White Balloon“ erzählt die Filmemacherin Vida Dena, wie sie nach fünf Jahren in Europa in den Iran zurückkehrt, um mit ihren Freunden eine Dokumentation für Europäer darüber zu machen, wie das Leben im Iran wirklich aussieht. Während der Erzählung werden Szenen von fröhlichen jungen Menschen gezeigt, die jedoch inhaltlich oft nicht mit dem Erzählten übereinstimmen.

    Am Ende driftet die Geschichte in den fiktionalen Bereich ab, als die Regisseurin erzählt, warum ihre Freundin Ayan schließlich titelgebend für die Geschichte wurde. „We have been very good friends. But she was against one special scene and wanted it to be cut. So I had to throw her metaphorical from the roof“, erklärt Dena den erdachten Abschluss ihres Films. Entsprechend mutet der Film sehr viel mehr wie ein Kunstwerk an, denn wie eine eigentliche Dokumentation. Dafür eines in sehr schönen Bildern. Er zeigt aber auf seine subtile Art auch den Kampf zwischen den Dagebliebenen und den Fortgegangenen, den Kampf zwischen Klischee für westliche Augen und Wirklichkeit für junge iranische Frauen und Männer.

    ??????????

    Die zugehörige lange Dokumentation „Wedding: A Film“ hat einen ebenso passenden wie doppeldeutigen Titel. Es ist ein Film darüber wie der Regisseur Mohammadreza Farzad einen Film über Hochzeitsvideos macht. Die Idee des Filmes ist der Versuch Farzads, anhand seines eigenen Hochzeitsvideos zu erkennen, ob seine wenige Jahre später vollzogene Scheidung anhand des Bildmaterials vielleicht vorhersehbar gewesen wäre. Anlass für diese Überlegung war, dass Farzads Exfrau nach eigenen Angaben sehr unglücklich an ihrem Hochzeitstag gewesen sei, was er nicht bemerkt hatte.

    Bei seinen Recherchen schaut er sich viele Hochzeitsvideos von Verwandten und Freunden an und versucht in ihnen Anzeichen für späteres Unglück zu finden. Dabei unternimmt er auch einen Ausflug in seine eigene Kindheit inmitten des Krieges. Doch die fröhlichen Bilder von tanzenden Menschen in ihrer besten Kleidung erweisen sich als festes Bollwerk gegen den vor den Türen herrschenden Krieg; sie erscheinen auch nach gründlicher Analyse als wahrhaft glückliche Tage, die ein „für immer“ und kein „bis zur Scheidung“ versprechen.

    Der dritte Block sollte sich in „War in Peace“ und „Café Waldluft“ eigentlich mit Krieg und dem zur Zeit besonders aktuellen Flüchtlingsthema auseinandersetzen. Tut er aber nicht, denn er fällt wegen einem Wasserschaden im Kinosaal aus.

    Medizin beim DOK: “Procedere” und “Wie die anderen”

    Bleiben noch „Procedere“ und „Wie die anderen“ („Like the others“), zwei Filme im grob medizinischen Bereich. Die Filme laufen im bisher größten und gleichzeitig am besten besuchten Kinosaal des Tages. Der Kurzfilm ist erneut nur sechs Minuten lang. In seiner Kürze zeigt er jedoch mit hoher Ausdruckskraft den Alltag unter dem Antidepressivum Zoloft. In einer Kombination aus Filmaufnahmen – wiederum Super-8 – und gezeichneter Animation werden abstrakt Aufzeichnungen aus einer Patientenakte dargestellt und Bruchstückhaft geflüstert vorgelesen. Der experimentelle Charakter ist hier sehr gut gelungen und stellt die Problematiken von bestimmten Zwangsstörungen überraschend anschaulich dar.

    Der letzte Film des Tages führt schließlich in den Alltag einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich. Der Film ist mit seiner überwiegend unaufgeregten Erzählweise der berührendste Film des Tages und gleichzeitig derjenige, der einer „klassischen“ Dokumentation am nächsten kommt; auch wenn die Konvention eines Sprechers aus dem Off praktisch ausgestorben scheint. „Wie die Anderen“ bewegt sich ausschließlich innerhalb der Mauern der psychiatrischen Einrichtung. Die zur stationären Therapie aufgenommenen Kinder und Jugendlichen haben erwartungsgemäß jedes für sich große Probleme und besondere Bedürfnisse die durch das Personal jederzeit versorgt sein müssen.

    Doch auch die Psychologen und anderen Mitarbeiter haben ihre großen und kleinen Sorgen, die sie neben der Arbeit mit ihren Patienten bewältigen müssen. Neben verständnislosen Eltern und Widerständen bei den Behörden, ist auch der chronische Personalmangel scheinbar ein unlösbares Problem für die Klinik. Regisseur Constantin Wulff gelingt es meisterhaft, die teilweise quälende Zähigkeit einer Therapiestunde und die Schwierigkeit der richtigen Worte einzufangen. Dabei gestaltet er weder den Film langweilig, noch gibt er die jungen Patienten der Lächerlichkeit Preis.

    Insgesamt sind die angesehenen Filme des Donnerstags allesamt recht zurückhaltend und mit wenig Effekthascherei inszeniert. Außerdem wird in allen Filmen eine kleine Gruppe Menschen in den Mittelpunkt gerückt und deren Geschichte erzählt. Doch gerade das macht die meisten von ihnen besonders sehenswert.

    “Happiness” und “Akt”laufen nochmal am 31.10 um 22 Uhr auf der Schaubühne Lindenfels”
    “Ayan and the White Balloon” und “Wedding: A Film” laufen nochmal am 31.10. um 22.30 Uhr im Cinestar
    Procedere” läuft nochmal am  30.10 um 19.30 Uhr in den Passage Kinos und am 31.10  um 16:00 im Cinestar
    “Wie die anderen” läuft nochmal am 31.10 um 18 Uhr im Cinestar 
    “Café Waldluft”läuft nochmal am 30. 10 um 10 Uhr im Cinestar und am 31.10 um 17 Uhr auf der Schaubühne Lindenfels
    “War in Peace” läuft nochmal am 30.10 um 22 Uhr in den Passage Kinos und am 31.10 um 17 Uhr auf der Schaubühne Lindenfels

    Fotos:  “Akt” – Mario Schneider, “Ayan an the White Balloon” – Vida Dena, “Wedding – A Film” – Mohammadreza Farzad

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.