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    Der Berlinale-premierte Film „Hysteria“ von Mehmet Akif Büyükatalay feierte Leipzig-Premiere. Die Produktion ist eine authentische Darstellung der politischen Debattenkultur – Herzrasen inklusive.

    „Die Leute haben keinen Bock mehr auf Filme, die einfache Antworten geben.“ So erklärt Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay das Konzept hinter dem Drama „Hysteriaim Publikumsgespräch nach dessen Leipzig-Premiere am 7. November 2025 in der Schaubühne Lindenfels. Und die bietet der Film, der bei der Berlinale den Europa Cinema Label Award erhielt, tatsächlich ganz und gar nicht.

    Protagonistin des Films ist die Praktikantin Elif, gespielt von Devrim Lingnau Islamoğlu, die an einem Filmset arbeitet. Der Regisseur, gespielt von Serkan Kaya, möchte die Reaktionen nach dem  rechtsextremen Brandanschlag in Solingen 1993 porträtieren und verbrennt dazu ein nachgestelltes Haus sowie einen Koran am Set. Dadurch soll eine authentische Reaktion hervorgerufen werden, die der Regisseur von den Komparsen, Bewohner einer nahegelegenen Geflüchtetenunterkunft, auch erhält.

    Praktikantin Elif ist nach dem aufregenden Drehtag damit beauftragt, das Filmmaterial in der Wohnung des Regisseurs, in der auch sie übergangsweise wohnt, zu verstauen. Panisch bemerkt Elif jedoch nachts, dass sie den Schlüssel zu der Wohnung verloren hat. Sie verteilt Aushänge und verrät einem Fremden kopflos die Adresse der Wohnung. Unterdessen verschwindet das Filmmaterial, das den verbrennenden Koran zeigt. Alsbald beginnt ein panisch-gruseliger Streit, in dem alle einander beschuldigen.

    Der Film verfolgt ein Film-im-Film-Konzept. Das ist eine Erzähltechnik, bei der innerhalb eines Filmes ein Film entsteht. Dabei glänzt „Hysteria“ besonders durch die ausgestrahlte Authentizität. Es gibt wohl keinen Ort, den ein Filmteam so lebensnah nachstellen kann, wie den eigenen Arbeitsplatz. Die Schauspieler*innen wurden dazu angehalten, so Büyükatalay im Nachgespräch, zwischen Sprachen dynamisch zu wechseln, wie sie es auch im wirklichen Leben tun. Auch die Art der muttersprachlich Deutschen, mit den sprachlichen und kulturellen Hierarchien umzugehen, ist schmerzhaft akkurat. Und nicht zuletzt Elifs krampfhaftes People Pleasing als Praktikantin ist allzu nachvollziehbar.

    Die Produktion von Büyükatalay ist genreübergreifend. Credits: Rapid Eye Movies

    In der Vermarktung erscheint der Film als Thriller, was mich in der Vorbereitung erst stutzig gemacht hat. Wie kann ein derart ernstes Thema in einem Thriller umgesetzt werden? Erst im Nachhinein wird verständlich: Die Bezeichnung Thriller passt überraschend gut. Die Zuschauer*innen verfügen über denselben Wissensstand wie die Figuren im Film, wodurch deren Handlungen unvorhersehbar wirken. Das funktioniert auch ohne, dass dem Thema – das Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und kultureller Sensibilität im politischen Diskurs – Tiefe und Aufmerksamkeit geraubt werden. Genau das ist die Kunst von Büyükatalay.

    Das Drehbuch ist Kind einer Zeit, in der Feuer als gewalttätiges Mittel verschiedenster Ideologien eingesetzt wird. Koranverbrennungen und rechtsextreme Brandanschläge rufen aufgeheizte politische Debatten hervor. Im Jahr 2024, erzählt Büyükatalay, wurde der Film aufgrund der politischen Stimmung von allen Filmfestivals, wo er eingereicht wurde, abgelehnt. Statt um ein politisches Statement geht es im Film aber darum, Vorurteile und mangelnde Kommunikation zu thematisieren. Alle Figuren kommunizieren miteinander nur so weit, wie sie ihre eigene Ansicht dadurch bestätigen können.

    Büyükatalays genreübergreifende Produktion regt zum Nachdenken an, während sie die Zuschauenden völlig in ihren Bann reißt. Auch das Ende lässt – so viel sei verraten – tausende Fragen offen.

    Titelbild: Filmfaust

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