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  • Schwarze Krähe im Lyrik-Wohnzimmer

    Wie ein schummriger Krähenabend im Herbst bleibt die Lyrik-Lesung von Ulf Stolterfoht und Elmar Schenkel zum Gedichtband „rückkehr von krähe“ in der Alten Post Lindenau in Erinnerung.

    Das kalte Treppenhaus der Alten Post Lindenau riecht am Abend des 24.Oktobers nach frischen Äpfeln, die unten in Holzkisten gelagert werden. Hier findet in einem schwach beleuchteten, wohnzimmerartigen Raum die Lesung „Lyrikhotel Eins“ statt. Die Veranstaltung ist aus dem Programm des Literaturfestivals „Literarischer Herbst“. Viele Bücherregale, einige Sofas und aufgereihte Stühle füllen den Raum. Eine schwarze Krähe hängt von der Decke herab. Sie verkörpert das Thema des heutigen Abends: „From the Life and Songs of the Crow. Ein Krähenabend“. Elmar Schenkel leitet mit Fragen durch den Abend, während Ulf Stolterfoht aus seinem Gedichtbuch liest. Beide sind Lyriker und zudem ist Stolterfoht Professor für Englische Literatur und Schenkel Übersetzer.

    Krähe in der Alten Post in Lindenau. Foto: Naomi Yuval

    Inspiration für Stolterfohts Gedichtbuch „rückkehr von krähe“, ist das Gedichtbuch „Crow“ von Ted Hughes aus dem Jahre 1970. Elmar Schenkel übersetzte es 1986 ins Deutsche. Durch eine Buchbesprechung in einer Literaturzeitschrift erfuhr Stolterfoth von Hughe‘s Langgedichten. Seitdem meinte er, habe ihn Hughes Buch „Crow“ nicht mehr losgelasse n. Und nun 2025, fast vierzig Jahre später, erscheint Ulf Stolterfohts eigenes Gedichtbuch “rückkehr von krähe” in Anlehnung an „Crow“ beim kookbooks Verlag.

    Bei der Lesung referierten Schenkel, der Übersetzer von „Crow“, und Stolterfoht abwechselnd über die Entstehungsgeschichte von „rückkehr von krähe“.

    Ted Hughes, der Autor von „Crow“, so erfahren wir, war Ehemann von Sylvia Plath, der berühmten Autorin von Werken wie „Die Glasglocke“, die sich später das Leben nahm. Hughes Gedichtband „Crow“ erschien, nachdem sich auch seine zweite Ehefrau samt Kind das Leben genommen hatte. All dieses Leid sei in „Crow“ enthalten, was die Gedichtsammlung so traurig, schwarz und abgründig mache , so Stolterfoth. Dieses unvergleichbare dunkle, menschliche Grauen sei es, was Stolterfoht so viele Jahre beschäftigt habe und nun zum eigenen Gedichtbuch führte.

    Doch „rückkehr von krähe“ ist lange nicht so leidvoll, dunkel und böse wie „Crow“. Dies kann und soll es auch nicht sein. Die Gedichte handeln vom gleichen Protagonisten, Krähe, und knüpfen an „Crow“ an. Sie sind jedoch mit anderen Motiven und Zitaten durchzogen und in einem völlig anderen Kontext entstanden. Thematisiert wird auch das Motiv der Krähe als Todesvogel und Sinnbild für alles Böse, Schreckliche und Hässliche .

    In der Poesie „rückkehr von krähe“ sind Wörter und Sätze aus unterschiedlichsten Kontexten – von Popkultur und Geschichte über Philosophie und Digitalisierung bis hin zur Religion – aneinandergereiht und miteinander verbunden. Krähe ist Trickstar, Komiker, Zauberer und aus dem Ursprungsmaterial „Crow“ zurückgeblieben. Krähe verwirrt und eckt an. Krähe führt hinters Licht, über den Berg hin zum sicheren Hafen. Möglicherweise veräppelt Krähe die Lesenden auch.

    Vielleicht sind die Gedichte beim ersten Hören in der Alten Post Lindenau nicht für alle sofort verständlich. Doch als erster Eindruck bleibt, dass die Gedichte schön schräg und schrullig sind. Viele der Wortkombinationen wirken fast zufällig, und treffen zugleich den Ton einer modernen und postfaktischen Gegenwart, in der Wahrheit und Fakten kaum mehr Bedeutung haben. Zum Beispiel tauchen plötzlich Tom und Jerry auf, aber stehen im Kontext von schwarzen Krähen und Todeskult. So sind die Gedichte ein Raum für unbegrenzte Assoziation zu Krähen in der Mythologie, Kunst, Literatur und natürlich Ted Hughes „Crow“. Ulf Stolterfoht erzählt wie von sich selbst überrascht, dass die 14 Gedichte durch ihre Sprache und Rhythmik bedingt wie „HipHop und Rap“ geworden sind, also völlig anders als ihre düstere Inspirationsquelle „Crow“. Sie sind wie ein Comic zu „Crow“ mit Gegenwartsbezügen und Komik. Ebenso ähnlich, wie das Tom und Jerry Cartoon. Das Publikum amüsierte sich bei der Lesung und lachte über die skurrilen, wilden Wortaneinanderreihungen in den vorgelesenen Gedichten.

    Am Ende der Lesung gab es Sekt und Gedichtbücher zu kaufen. Die schwarze Krähe an der Decke wurde ausgiebig fotografiert. Ulf Stolterfoht und Elmar Schenkel waren schnell in Gespräche mit dem fachkundigen Publikum verwickelt.

    Die Lesung “Lyrikhotel Eins” mit Ulf Stolterfoth und Elmar Schenkel im Rahmen des Literaturfestivals Literarischer Herbst fand am 24. Oktober 2025 um 20 Uhr in der Alten Post Lindenau statt. Eintrittspreis an der Abendkasse war 7/9 Euro. Das Gedichtbuch “rückkehr von krähe” erschien 2025 bei kookbooks und kostet 26 Euro.

     

    Titelbild: Naomi Yuval

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