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  • Die Wut, die trägt – und was sie kostet

    „The Woman Who Poked the Leopard“ zeigt die ugandische Aktivistin Stella Nyanzi zwischen Mut, Selbstinszenierung und familiären Brüchen. Eine eindrucksvolle Doku mit begrenzter inhaltlicher Tiefe.

    Es ist kalt in der Osthalle des Leipziger Hauptbahnhofs. Der Ton hallt, irgendwo tropft Wasser von der Decke. Menschen sitzen auf ihren Jacken, lehnen an Wänden, teilen Snacks. Ein paar Studierende balancieren Bierflaschen auf den Knien. Es riecht nach Zugluft und Pisse. Dann beginnt „The Woman Who Poked the Leopard“, und für 107 Minuten verstummt das übliche Getöse der Bahnhofshalle.

    Stella Nyanzi schreit, lacht, dichtet, provoziert. Sie ist eine Frau, die das Wort „Tabu“ offenbar nie gelernt hat. Mit einem obszönen Gedicht über den ugandischen Präsidenten Museveni landet sie im Gefängnis, kommt wieder heraus – und kandidiert für das Parlament. Der Film zeigt sie in diesem Kampf: ohne Geld, ohne Rückhalt, aber mit einem trotzigen Selbstbewusstsein, das an Größenwahn grenzt. Die Kamera folgt ihr auf die Straßen von Kampala, in Gerichtssäle, auf ihr staubiges Grundstück, wo Polizisten sie bedrängen. Und man denkt: „Das ist keine Figur, das ist eine Naturgewalt.“

    Doch genau darin liegt die Ambivalenz dieser Dokumentation. Regisseurin Patience Nitumwesiga lässt sich von ihrer Protagonistin mitreißen, dass sie ihr kaum widerspricht. Das ist verständlich – wer Nyanzi erlebt, hat Mühe, Luft zu holen, geschweige denn, kritische Distanz zu wahren. Aber manchmal wünscht man sich genau das: ein Innehalten, ein Moment der Reflexion. Stattdessen wird der Film zum Spiegel seiner Protagonistin – laut, energiegeladen, atemlos. Und wie Nyanzi selbst, überfordert er damit bisweilen.

    Die Gerichtsszene, in der Nyanzis Mikro abgeschaltet wird und sie daraufhin ihre Brüste entblößt, ist bezeichnend: ein Akt der Rebellion, aber auch ein Akt der Überforderung. Nitumwesiga inszeniert ihn nicht voyeuristisch, aber fast ehrfürchtig – als ob jedes Aufbegehren per se heroisch wäre. Dabei wäre gerade hier eine skeptische Kamera spannend gewesen, die fragt: Wann kippt Selbstermächtigung in Selbstinszenierung? Wann wird der Protest zur Pose?

    Trotzdem: Es gibt Momente, die tief berühren. Vor allem die Beziehung zwischen Stella und ihrer Tochter Baraka. Inmitten des Lärms, der politischen Reden und Polizeieinsätze ist diese Mutter-Tochter-Dynamik das leise, verletzliche Zentrum des Films. Baraka hält die Familie zusammen, schminkt die Mutter, kritisiert sie, schützt sie – und wirkt dabei älter, als sie sollte. Diese Szenen zeigen, was politische Radikalität im familiären Umfeld anrichtet. Der Film deutet das an, vertieft es aber nicht genug. Vielleicht, weil er Nyanzi zu sehr bewundert, um sie zu befragen.

    „The Woman Who Poked the Leopard“ überzeugt durch seine Energie. Die Handkamera ist ständig in Bewegung, die Montage rhythmisch, getragen von Stellas Gedichten, die sie im Off spricht – wütend, poetisch, schneidend. Es gibt kaum Pausen. Das ist beeindruckend, aber auch anstrengend. Wie ein Konzert, das keine Ballade kennt. Die Konsequenz, mit der Nitumwesiga diese Form durchzieht, verdient Respekt, doch manchmal sehnt man sich nach einer anderen Tonlage – nach einem Moment des Zweifelns, des Einordnens, des Atmens.

    Vielleicht lag es auch an der Umgebung – der zugigen Bahnhofshalle, in der die Stimmen der Zuschauer*innen mit dem Film verschmelzen –, dass am Ende der Eindruck bleibt, etwas Intensives erlebt zu haben, aber nicht unbedingt etwas ganz Durchdachtes. „The Woman Who Poked the Leopard“ ist wuchtig, mutig und dringlich. Aber es ist auch ein Film, der seine eigene Wucht nicht mehr hinterfragt.

    Trotz dieser Schwäche bleibt das Porträt von Stella Nyanzi faszinierend. Sie ist unbequem, inspirierend, anstrengend – und gerade deshalb sehenswert. Nur die Kategorisierung im Deutschen Wettbewerb Dokumentarfilm wirkt bizarr. Ein Film, der so tief in Kampala verwurzelt ist, der von ugandischer Politik, Sprache, Körperlichkeit erzählt, wird hier in einen Rahmen gepresst, der ihm kaum gerecht wird. Vielleicht symptomatisch: Auch das europäische Festivalpublikum braucht offenbar seine eigene Projektion der Rebellion.

    Am Ende bleibt das Bild einer Frau, die sich weigert, still zu sein. Und eines Films, der diese Wut großartig einfängt – aber kaum begreift, was sie mit den Menschen um sie herum macht. Nitumwesiga schenkt uns kein geschlossenes Porträt, sondern ein Stück Unruhe.

    Titelbild: Stella Nyanzi, ganz im Blau ihrer Partei, verwandelt Wut in Widerstand. © DOK Leipzig 2025 / The Woman Who Poked The Leopard / Patience Nitumwesiga

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