Biodiversität – das grüne Kapital einer zukunftsfähigen Wirtschaft
Die „Hauptstadtimpulse“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt zeigen, dass wirtschaftlicher Wohlstand von einer intakten Biodiversität abhängig ist. Können Natur und Wirtschaft langfristig koexistieren?
Der Wald und die Kohle, die Grünen und die FDP – die Biodiversität und die Wirtschaft: zwei Begriffe im ewigen Zielkonflikt. Die Teilnehmer*innen des Hauptstadtimpulses der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) sehen das anders. Das Ziel der Veranstaltungsreihe, die in Kooperation mit wechselnden Partner*innen digital oder vor Ort in Berlin stattfindet: Umweltschutz in Geschäftsmodelle und die Umsetzung politischer Strategien zu integrieren und so zu einer nachhaltigeren Zukunft beizutragen. Im Februar und Juni kamen in diesem Rahmen Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, um gemeinsam den Erhalt eines der wohl wichtigsten Naturgüter der Erde voranzutreiben – der biologischen Vielfalt. Sie waren sich einig: Zu wenig sei passiert in den letzten Jahren, zu stiefmütterlich sei ein Thema verhandelt worden, dessen Brisanz schon lange nicht mehr zur Debatte steht. Denn: „Die Biodiversitätskrise ist kein Problem ‚der Anderen‘ und kein Problem, das Aufschub verträgt“, so Katrin Böhning-Gaese, wissenschaftliche Geschäftsführerin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und seit 2021 Trägerin des Umweltpreises der DBU. Besonderer Schwerpunkt der Hauptstadtimpulse war es, die Abhängigkeit einer florierenden Wirtschaft von einer intakten Natur sichtbar zu machen. DBU-Generalsekretär Alexander Bonde formulierte das so: „Biodiversität ist Existenzgrundlage menschlichen Lebens – und Rückgrat für Betriebe.“ Andersherum ist diese sprachliche Gleichung weniger simpel zu lösen. Ob langfristig der Erhalt biologischer Vielfalt möglich ist in einer Gesellschaft, die schier unaufhaltsam Richtung Wachstum strebt – dazu gehen die Meinungen auseinander.
Doch um zu verstehen, wie wir die biologische Vielfalt erhalten können müssen wir uns zunächst fragen: Was ist Biodiversität überhaupt? Das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (CBD) beschreibt die Biodiversität als die Vielfalt aller Arten, der von ihnen gebildeten Ökosysteme, und der genetischen Information innerhalb einer Art.
Biodiversitätskrise auf allen Ebenen
Trotz unterschiedlicher Perspektiven ist eins allen bewusst: Wir befinden uns in einer Biodiversitätskrise. Vom mikroskopisch kleinem Bodenbakterium bis hin zum vom Aussterben bedrohten Sumatra-Elefanten, von den Algen der Ozeane bis hin zur artenreichen Vegetation der schwindenden Brachflächen Leipzigs – hätte das Leben auf der Erde eine Stimme, so wäre der Krisenzustand schon vor langem ausgerufen worden. Darin sind sich die meisten Wissenschaftler*innen mit Hinblick auf die aktuellen Zahlen globaler und nationaler Biodiversitätsstudien einig. Christian Wirth ist Professor für spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität an der Universität Leipzig. 2024 veröffentlichte er gemeinsam mit 149 weiteren Autor*innen aus 75 Institutionen den Faktencheck Artenvielfalt – die wohl bisher umfassendste Bestandaufnahme der biologischen Vielfalt in Deutschland. Das Ergebnis: Rund ein Drittel der untersuchten Arten war in seinen Beständen gefährdet. Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind im Oktober 2025 48.646 Arten global vom Aussterben bedroht.
Und nicht nur auf Ebene der Arten und Ökosysteme steht es um die Biodiversität nicht gut. Auch die genetische Diversität nimmt drastisch ab. „Generosion“ nennen Wissenschaftler*innen diesen Prozess, der insbesondere bei Nutzpflanzen stark ausgeprägt ist. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist es weltweit zu einem Sortenschwund von 75 Prozent der Nutzpflanzen gekommen, zeigen Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO). In der EU sind es sogar noch mehr. Hier spricht die FAO von rund 90 Prozent.
Dass auch wir Menschen, als fester Teil der gefährdeten Ökosysteme, die Auswirkungen dieser Krise tragen, versuchten die Wissenschaftler*innen bei den Hauptstadtimpulsen aufzuzeigen. „Fast alles, was wir als Lebensgrundlage benötigen, stammt aus der Natur: die Luft, die Nahrung, sauberes Trinkwasser, Medikamente, Bauholz, auch die Erholung für psychisches Wohlergehen“, so Böhning-Gaese.
Die Hauptstadtimpulse geben der Biodiversität eine Stimme
Am 19. Februar fand anlässlich der vorgezogenen Bundestagswahlen am 23.02.2025 der erste Hauptstadtimpuls zum Thema Biodiversität unter dem Slogan „Warum Wirtschaft und Wissenschaft eine mutige Biodiversitätspolitik erwarten“ statt. Vertreter*innen des Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar und Meeresforschung, der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen (GEGM), des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) aus Leipzig, des Vereins Biodiversity in Good Company Initiative sowie das Museum für Naturkunde Berlin (MfN); sie alle liehen an diesem Tag der Biodiversität ihre Stimme, um an die Parteien zu appellieren.
Politisch hat sich seit den Wahlen viel geändert und doch sehr wenig für die Biodiversität. Schon am 15. Juni kamen das UFZ aus Leipzig und der Verein Biodiversity in Good Company Initiative erneut unter Anleitung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt zusammen. Dieses Mal lag der Fokus der Veranstaltung noch stärker auf der Rolle der Wirtschaft. „Der Schutz biologischer Vielfalt muss viel mehr als bisher fester Bestandteil von Geschäftsmodellen in Unternehmen werden“, forderte die Bundesstiftung Umwelt.
Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte einte beide Hauptstadtimpulse eine Grundannahme: Gesellschaftlicher Wohlstand und eine gesunde Wirtschaft sind abhängig von einer hohen Biodiversität. Doch können Biodiversität und Wohlstand in unserem aktuellen wachstumsorientierten Wirtschaftssystem überhaupt langfristig koexistieren? Diese Frage beantwortet Niko Paech mit einem klaren „Nein“.
Niko Paech: Ohne grundlegende Transformationen ist unsere Gesellschaft nicht zukunftsfähig
Paech ist Volkswirt, Naturschützer und außerplanmäßiger Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Er ist eines der bekanntesten Gesichter der wachstumskritischen Szene in Deutschland und gilt als Begründer der Postwachstumsökonomie. Diese sieht als einzigen Weg in eine nachhaltige Zukunft nicht eine Hinwendung der Gesellschaft zum grünen, innovationsbasierten Wachstum, sondern in einem System das sich langfristig ohne Wirtschaftswachstum erhalten kann. Denn unendliches Wachstum sei nicht möglich auf einem endlichen Planeten – und weil wir uns darüber hinwegsetzen, sei unser Wohlstand auf den Schultern der Ökosphäre und des globalen Südens erbaut, postuliert Paech.
Technologiebasierte Strategien, wie sie unter anderem als Lösungsansätze bei den Hauptstadtimpulsen vorgestellt wurden, bestünden in „einem unerfüllbaren Versprechen, weil sie suggerieren, eine ökologische Entlastung bei gleichzeitig unverändertem Lebensstil sei möglich“, so Paech. Ein Wandel hin zu Regionalität, Genügsamkeit und kreativer Selbstversorgung sei unabdingbar, wenn unsere Gesellschaft wieder ökologisch überlebensfähig werden soll. Dafür sei „kein Hoffen auf Staat und Politik, sondern ein stärkeres Engagement der Zivilgesellschaft und insbesondere ökologisch verantwortbare Lebensführungen notwendig.“
Johannes Förster: Komplexe Lösungen für ein komplexes Problem
Johannes Förster hat selbst als Vortragender am Hauptstadtimpuls im Februar teilgenommen. Er ist Wissenschaftler des Departments Umweltpolitik am UFZ in Leipzig und Teil der UFZ Science-Policy Expert Group. Neben der Forschung lehrt er seit 2017 „Economics of Global Environmental Change“ an der Universität Bayreuth. Die Perspektive zu wechseln, das ist fester Teil seines Jobs. Auch Förster weiß: „Von wissenschaftlicher Seite ist klar, dass ein systemischer Wandel stattfinden muss.“ Die Ziele dieses Wandels seien bereits definiert, so zum Beispiel durch die 1992 ins Leben gerufenen Rio-Konventionen über Klimawandel, biologische Vielfalt und Wüstenbildung. Diese stellten „wichtige Richtlinien bereit, zeigen Visionen auf und bieten einen stetigen Orientierungspunkt“ – auch für Unternehmen. Denn um die Gesellschaft auf allen Ebenen zu transformieren, sei die „Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren essentiell.“ Und das, so stellt Förster klar, sei auch Leitgedanke der Hauptstadtimpulse.
Statt nur die Differenz zwischen dem Angestrebten und dem Umgesetzten zu sehen, regt er dazu an, auch die bereits angestoßenen Prozesse wahrzunehmen. Dazu gehören naturbasierte Verfahren CO2 langfristig zu speichern, genauso wie eine verbesserte Nachhaltigkeitsberichterstattung. Denn die Offenlegung von Informationen über die Auswirkung unternehmerischer Tätigkeiten auf ihre Umwelt sowie ihre Abhängigkeit von der Umwelt ist bereits für viele Unternehmen Pflicht.
In den Gesprächen mit Paech und Förster wird schnell klar: Beide haben sich dem gleichen Ziel verschrieben. Die Wege hingegen, von denen sie berichten, basieren auf unterschiedlichen Überzeugungen. Wo Paech einen grundlegenden transformativer Wandel der Gesellschaft fordert, erarbeitet Förster Strategien um unser aktuelles Wirtschaftssystem schrittweise nachhaltiger zu machen. Ob es nun bei einem Impuls aus der Hauptstadt bleibt, wie wir den Wandel hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft gestalten – feststeht: Naturschutz heißt auch Menschenschutz.
Titelbild: Rosa Holmer
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