Ottolenghi und die Männer, die zu viel marinierten
Ottolenghi ist der Messias der Millennials mit Gusseisenpfanne. Zwischen Bio-Markt und Späti entsteht eine neue Küchenreligion – mit Sumach und Selbstoptimierung.
Es gibt in Leipzigs Küchen eine neue heilige Dreifaltigkeit: Gusseisen, Granatapfel und Yotam Ottolenghi. Wo früher Dosenbier und Tiefkühlpizza den studentischen Alltag bestimmten, wird heute fermentiert, geschmort und dekoriert. Männer Mitte zwanzig, die einst nur Spaghetti mit Ketchup kannten, reden plötzlich über Tahin-Konsistenzen und den idealen Gargrad von Auberginen.
Ottolenghi – für Uneingeweihte: israelisch-britischer Starkoch, bekannt für Rezepte mit mehr Zutaten als der durchschnittliche Wocheneinkauf – ist mehr als nur ein Name. Er ist ein Code. Wer ihn ausspricht, signalisiert: Ich bin kein Hobbykoch, ich bin mise-en-place-diszipliniert. Ich habe mich entschieden für ein Leben zwischen Foodsharing-App und Fenchelsalat.
Seine Bücher liegen in Plagwitzer WGs wie Bibeln neben dem Induktionsfeld, ihre Seiten fettglänzend vor Hingabe. Wer „Simple“ besitzt, ist Einsteiger; wer „Jerusalem“ kocht, wirft vermutlich schon mit Begriffen wie „sautieren“ oder „chaud-froid“ um sich. Ottolenghi ist der Spotify-Algorithmus des guten Geschmacks: jeder findet sich ein bisschen wieder – egal ob Veggie, Hipster oder Möchtegern-Feinschmecker.
Am Späti wird nun nicht mehr über Bundesliga, sondern über das beste Messer debattiert. Zum Geburtstag schenkt man sich Olivenöl aus Kreta, kaltgepresst, natürlich. Der Wochenmarkt in Plagwitz ist zum Catwalk der bewussten Konsumenten geworden – statt Markenlogos trägt man nun Jutebeutel mit „Fermentier dich frei“.
Natürlich geht es beim neuen Kochkult nicht nur um Essen. Es geht um Haltung. Um den Versuch, im Chaos der Gegenwart wenigstens die Kontrolle über die Marinade zu behalten. Während Inflation und Zukunftsangst an den Nerven nagen, verspricht die Küche Stabilität: Salz, Säure, Fett – das Dreigestirn der Selbstwirksamkeit.
Dass besonders Männer diesen Trend tragen, ist kein Zufall. Ottolenghi bietet eine Form von Männlichkeit, die nicht toxisch, sondern texturiert ist. Sensibel, achtsam, aber mit perfekter Messerschneide. Kochen wird zum emotionalen Workout: Man zeigt Fürsorge, aber stilvoll. Man spricht von Aromen, nicht von Gefühlen. Und man kann über Stunden Karotten massieren, ohne dass es peinlich wird.
Doch so sehr diese neue Küchenreligion nach Achtsamkeit riecht – sie schmeckt auch nach Distinktion. Zwischen Marktständen und Mörsern entsteht ein stiller Wettbewerb: Wer hat den besseren Sumach, das teurere Tahin, den wilderen Fenchel? Ottolenghi hat die Generation Youtube in die Welt der Zutatenernsthaftigkeit geführt – und nebenbei einen Trend geschaffen, der gleichermaßen nachhaltig wie narzisstisch ist.
Am Ende steht die paradoxe Szene: ein Student mit Dispo und Designer-Messer, der in seinem Fenchelsalat herumstochert, während das Konto in der Pfanne raucht. Kochen als Klassenflucht.
Und wenn dann wieder jemand sagt, Ottolenghi sei „nur ein Koch“, lächeln sie mild. Denn sie wissen: Er ist mehr als das. Er ist die Projektionsfläche für den Traum, dass das Leben – richtig gewürzt – vielleicht doch gelingen könnte.
Titelbild: Pixabay
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