• Menü
  • Film
  • Gemeinsam essen ist doch schöner als allein

    Vincent Graf porträtiert seine italienische Großmutter Rosa – zäh, grantig und dabei ziemlich komisch. Ihr Bed & Breakfast wird zum Denkmal einer ganzen Generation.

    Wenn das Leben im Alter klingt wie ein alter Rasentrimmer – laut, störrisch, aber unermüdlich –, dann ist Nonna die filmische Entsprechung davon. Vincent Graf widmet seiner Großmutter Rosa, genannt „Nonna“, ein 72-minütiges Porträt, das beim DOK Leipzig seine Weltpremiere feierte und im Deutschen Wettbewerb für den besten Dokumentarfilm nominiert war. Was leicht als sentimentale Familiengeschichte beginnen könnte, entpuppt sich als präzise, witzige und zutiefst melancholische Studie über Einsamkeit, Stolz und das Scheitern des Heimatbegriffs.

    Rosa, 72, stammt aus Süditalien. Als junge Frau ging sie als Gastarbeiterin nach Deutschland, arbeitete dort in der Gastronomie und zog zwei Kinder groß. Mit ihrem Mann kehrte sie später in die Heimat zurück und eröffnete ein zweistöckiges Bed & Breakfast. Seit seinem Tod im Jahr 1999 führt sie das Haus allein. Was einst als Ort der Rückkehr und des Neuanfangs gedacht war, ist heute ein Symbol der Entfremdung: Das B&B steht zum Verkauf, der Garten verwildert, Rosa und ihr Bruder Giova liegen sich wegen Banalitäten wie einem kaputten (oder vielleicht doch nicht kaputten?) Rasentrimmer tagelang in den Haaren. Man lacht – und verdrückt dabei eine Träne.

    Graf, der schon seine Bachelorarbeit über die Gastarbeitergeneration schrieb, blickt auf seine Nonna mit Zärtlichkeit und ironischer Distanz. Seine Kamera liebt Oberflächen: die kräftigen Farben von Nonnas Oberteilen, das gelblich-matte Licht des italienischen Winters, das Salzwasserblau des Meeres.

    Trotz Rosas lauer, fast dröhnender Stimme ist Nonna ein stiller Film. Viel passiert nicht – und genau das ist das Kunststück. Graf beobachtet, statt zu erklären. Seine Nonna sitzt, starrt, schimpft, telefoniert. Das Smartphone ist ihr ständiger Begleiter. Über FaceTime spricht sie mit Tochter, Schwester, Freundinnen – und doch scheint sie mit jeder Verbindung ein Stück einsamer zu werden. „Sie begreift gar nicht, was dieser Film bedeutet“, sagte Graf nach der Premiere. Ein bisschen traurig? Vielleicht. Aber gerade diese Ahnungslosigkeit verleiht dem Film seine Unschuld. Rosa spielt keine Rolle. Sie ist.

    Die stärksten Momente sind beiläufig: Giova antwortet beim gemeinsamen Frühstück auf Rosas Frage, ob er denn nicht finde, dass in Gesellschaft zu essen viel schöner sei, trocken mit: „Nein.“ Rosa hängt mit Ali, einem Helfer im Bed & Breakfast, eine Deutschlandfahne falsch herum auf. „Egal“, sagt Ali. „Nicht egal!“, ruft Rosa. Das Publikum in Leipzig lachte laut – liebevoll. Diese Nonna ist anstrengend, aber echt. Eine Frau, die nie grüßt, nie umarmt, immer klagt – und doch in jedem Satz die ganze Härte und Würde eines Lebens mitschleppt.

    Formal überzeugt der Film mit einem klaren, fast gemäldehaften Blick. Graf verweilt auf den Personen: der schlafenden Rosa auf dem Sofa, dem Zeitung lesenden Giova, dem schwer bepackten Ali. Die Langsamkeit ist Programm. Sie zwingt uns, in Rosas Rhythmus zu denken – dem Rhythmus einer Frau, die keine Eile mehr hat, aber auch kein Ziel. Nonna ist ein Porträt des Stillstands – aber eines, das lebt, pulsiert, widerspricht.

    Dass der Film offenlässt, ob Rosa ihr Haus verkauft, ist eine kleine Grausamkeit. Im anschließenden Gespräch verriet Graf jedoch, dass das B&B im Juni tatsächlich verkauft wurde – an die im Film kurz auftauchenden Interessenten. „Manchmal freut sie sich, manchmal nicht“, sagte er. Kann es ein passenderes Ende geben? Zwischen Besitz und Verlust, Heimat und Entwurzelung, Lachen und Seufzen pendelt Nonna hin und her wie das Meer, das Rosa liebt. Und wir, das Publikum, stehen am Ufer und wissen: So sieht gelebte Geschichte aus.

    Vielleicht ist das Schönste an diesem Film, dass er aus Liebe gemacht ist, aber nie sentimental wird. Graf feiert seine Großmutter nicht als Heldin, sondern als Mensch – störrisch, witzig, einsam, lebendig. Seine Mutter nennt Rosa „rüstig und zäh“. Das trifft es. Und Nonna ist genau das: ein rüstiger, zäher Film. Kein Denkmal aus Marmor, sondern eines aus Alltagsstaub und Seifenwasser.

    Wer beim DOK Leipzig lachte, tat das nicht über Rosa, sondern mit ihr. Nonna zeigt, was passiert, wenn die großen Geschichten Europas – Migration, Familie, Arbeit, Alter – auf die Größe einer Küche mit Wachstuchdecke schrumpfen. Tragisch, komisch, wahr. Und eben sehr nonna.

    Titelbild: Nonna Rosa in Rot – grantig, stolz und unbeirrbar. / (c) DOK 2025  Vincent_Graf

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    „Film ist eine Kulturarbeit, die man durchaus auch mit einer politischen Haltung gestalten kann“

    Verfolgung und Flucht stehen in Kurdistan auf der Tagesordnung, belasten die gesamte Region. Ein Leipziger Filmfestival macht darauf aufmerksam.

    Film | 28. Mai 2025

    Wo wir hinsehen müssen

    Laute Kunst zeigt uns, was wir zu oft übersehen: Macht, Normen, Ausgrenzung – und konfrontiert uns mit dem Unbequemen, das wir lieber ignorieren.

    Kultur | 1. November 2025